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Ernsthaftes Reisen

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Die Wagen wurden neu beladen, Wochenrationen an Kleidung und Sonstigem aus den Rucksäcken sortiert, die großen, tageweise entbehrlichen Gepäckstücke auf »Tarzans« Dach verzurrt. Wir hofften, die Plane darüber möge dicht sein. Der Sitzraum war allerdings immer noch derart hoffnungslos überfüllt, dass auch die schweißtreibende Umschichtungsaktion nur wenig zusätzlichen Raum schuf. Wenigstens aber würden uns die beklemmenden Anflüge von Klaustrophobie fortan erspart bleiben, und wir würden an unser Hab und Gut gelangen, ohne in Tobsuchtsanfälle ausbrechen zu müssen, weil gerade in dem Augenblick, da man etwas Wichtiges suchte, auch der Nachbar etwas noch Wichtigeres zu suchen trachtete. Und wenn nur der Fotoausrüstung nichts passierte!

Die Route durch Algerien sollte fünfzehn bis achtzehn Tage in Anspruch nehmen. Was noch in Wien klar gewesen war, ergab nun, da wir noch nicht einmal die algerische Grenze überschritten hatten, Konfliktstoff. Bei Plaudereien kamen wir darauf, dass es keine Garantie dafür gab, dass die Pisten durch entlegenen Wüstenabschnitte fern den Hauptrouten gut sein würden. Vielleicht war es das erste Erleben von Weite und Hitze, das uns plötzlich nachdenklich machte und unseren abenteuerlustigen Mutwillen verwässerte. Bert verließ sich auf Informationen, die er angeblich in Tunis eingeholt hatte und behauptete, wir würden keine Probleme haben. Über Tozeur sollte es gegen Libyen hin eine Piste ins Tassili-Gebirge zur berühmten Wüstenstadt Djanet geben. Herrlich, hatten wir uns schon in Wien ausgemalt, tagelang Wüste und dann das Erlebnis einer wunderschönen, alten Festungsstadt inmitten einer malerischen Oase! Allerdings kursierten Gerüchte, unterwegs nach Djanet seien erst kürzlich wieder Touristen umgekommen, und die Pisten seien aufgrund von Verwehungen kaum noch zu finden. Obgleich wir uns unter »Pisten« noch nichts vorstellen konnten, beunruhigten uns diese Gerüchte, die irgendjemand aus der Gruppe aufgebracht hatte.

»Lächerlich,« urteilte Armin, »... wir sind im einundzwanzigsten Jahrhundert!«

Ich hatte keine Angst vor der Wüste und war ebenfalls der Meinung, wer sich an die Markierungen hielte und genügend Treibstoff- und Wasservorräte mit sich führte, hätte wohl nichts zu befürchten. Bert nannte mich mutig und bei gesundem Verstand und knurrte, Feiglinge hätte bei dieser Tour eigentlich nichts zu suchen. Diese Grobheit war unpassend, denn es war verständlich, dass das eine oder andere Gruppenmitglied ängstlichen Respekt vor der Wüste empfand. Der eine fürchtete die Hitze, der andere das Wasser .... schade, dass wir nicht mehr voneinander wussten. Wir hätten besser miteinander reden können.

*

Schaf- und Ziegenherden wurden von Hirten mit scharfen, dunklen Gesichtszügen und bunten Gewändern über staubige, endlos öde Steppenebenen getrieben. Abschnitte von Schotter- und Steinwüste wechselten einander ab. Frisch geschlachtete, an den Beinen zum Ausbluten vor den Hütten neben den Straßen aufgehängte Ziegen und Schafe bildeten bizarre Staubfänger neben Holzbaracken, kahlen Betonbauten, rostigen Drahtverschlägen und Autowracks und waren bewunderte Fotomotive für uns Touristen. Nomaden, so selten sie hinter den Hügeln oder als kleine Punkte mitten in der Ebene auftauchten, wirkten traurig unpassend inmitten dieses Chaos aus Einöde und Ausläufern einer rohen Zivilisation.

Lärm und Gestank prägten unseren Aufenthalt in Kairouan, einer für Moslems heiligen Stadt. Schwer war es, den trägen Körper nach stundenlangem Sitzen in Bewegung zu zwingen. Nie hätte ich gedacht, dass so viele penetrant Abgase verströmende Lastfahrzeuge in den schmalen Straßen zwischen offen zum Kauf angebotenem Fleisch und Orangen und anderen Früchten und Wurzeln Platz zum Manövrieren finden könnten. Wir badeten unsere Blicke wie benommen in dieser bewegten Versammlung von Menschen, die tatsächlich vollkommen anders zu sein schienen, als wir mit ihrer seltsamen Mode aus wallenden Gewändern und modernen Kleidungsstücken, aus Turbanen, Tüchern und Hüten, mit ihrer Gelassenheit, einerseits und ihren leidenschaftlichen Gesten zum anderen. Das Summen vieler Stimmen, die Gerüche nach Gewürzen, Holzkohle und Gebratenem, die selbst den Abgasgestank übertönten, der Anblick des Bunten überall, überschütteten uns mit einem ersten Eindruck des Fremden, sodass wir stark Herzklopfen bekamen, als uns aufging, dass unsere Heimat nun wahrhaftig schon fern war.

Das Zentrum von Kairouan, in meiner Vorstellung süß duftend, lichtdurchflutet und von Leuten wie Aladdin mit der Wunderlampe besiedelt, versank nahezu in stinkendem Nebel der Abgase. Wie schade, dass ganze Berge klebriger, sirupgetunkter Sesamkuchen dieserart geräuchert wurden, denn ich wagte angesichts der Vergiftung nicht, meine kulinarischen Streifzüge zu beginnen. Händler verkauften Datteln samt den biegsamen Zweigen, an denen sie gereift waren. Die erste Begegnung mit diesen orientalischen Köstlichkeiten, denen ich mich entgegen gesehnt hatte, bescherte mir bitter unerfüllbares Verlangen, das durch begehrliches Schauen noch verstärkt, aber kein bisschen wettgemacht wurde. Ringsumher wogte die Menge der Marktbesucher, und ich drängte mitten zwischen sie, neugierig betrachtet und zuweilen angestoßen. Weit vor mir entdeckte ich die Stoffhändler, links Schuhverkäufer, Fleischer ... Berge von grauem, rotem, gelbem, grünem, schwarzem Pulver in Körben, Erbsen, Zwiebel, tausenderlei Sachen ... Die Datteln sahen wirklich verdächtig staubig aus. Männer warfen mir unter ihren Turbanen hervor spöttische Blicke zu, aber ich konnte nicht anders und schaute und schaute und ließ mich mit der Menge fortschieben ... Irgendjemand aus der Gruppe rief meinen Namen ... Und ich hatte gelesen, welche Darmkrankheiten der empfindliche Europäer sich durch den Genuss roher Nahrungsmittel schon auf den nordafrikanischen Märkten holen kann ... ein Händler in gelbem Kaftan und weißem, schmutzigem Turban hielt mir grinsend eine Dattel hin. Seine Finger sahen aus wie mit Pergament bezogen, die Nägel waren rosig, lang und eingerissen ...

»Goutez!« murmelte er, kosten sollte ich, ... nein, danke, jetzt nicht ... goutez, c’est bon, beharrte er mir Reibeisenstimme und durchbohrte mich mit dunklem Blick ... ja, ja, sicher sei die Dattel gut. Ich spürte mich verlegen grinsen und wusste mich beobachtet von den anderen Marktbesuchern und ein paar fremden Touristen, die sich mit ihrem Kameras über Gewürze und Wurzeln beugten und daran rochen, ... ja, ja ... ich winkte ab, später ... aber die Dattel in seiner Hand war dick und gelb. Und ... sie schmeckte auch dick und gelb und süß. Die Marktleute wickelten klebrige Kuchen und Datteln in Zeitungspapier, dessen Druckschwärze sofort auf Waren und Finger abfärbte ... adieu, penible, antiseptische Welt ...

»Mädel, Mädel ...« schüttelte Karli den Kopf und zog mich an der Hand fort, hinter der Gruppe her durch die Altstadt, »... was du dich traust! Willst du dieses Zeug vielleicht auch noch essen?«

Vom warmen, frechen Blick des Händlers befreit und nach einem »Merci, Thank you« mit schlechtem Gewissen, weil ich dem freundlichen Mann nun doch keine Datteln abkaufen würde, tauchte ich wieder in den Straßenverkehr ein und musste meine Begeisterung für orientalisches Flair, den bunten Trubel und die Nähe des Schwarzen Afrika mit kleinen Details und Szenen füttern, um dem Grausen vor den Auswüchsen der Zivilisation zu wehren.

Wir betrachteten pflichtschuldigst und möglichst rasch die Sehenswürdigkeiten, denn Bert hatte einen viel zu kurzen Stopp in dieser Stadt genehmigt, obwohl die Große Moschee Kairouans zu den bedeutendsten der islamischen Welt gehört. Einige der Kameraden versuchten hartnäckig höflich, eine Gruppe aus drei Frauen und einem alten Mann mit runzeligem Gesicht zu einem Foto zu überreden. Sie boten sogar ein Geld dafür. Kopfschütteln. Die vier lagerten am Rand eines großen Platzes, dessen Mitte ein Springbrunnen und herrliche Blumen zierten. Als ich begeistert auf den Brunnen zu schritt, wurde ich – wohl auf Arabisch – angeschnauzt, und man deutete zornig auf meine Schuhe. Ausziehen, hieße das, erklärte mir ein attraktiver junger Mann, durchaus modern gekleidet, in leidlich verständigem Französisch. Unter Herzklopfen vor Schreck wegen des Geschreis, nur, weil ich unwissend meine Schuhe angelassen hatte, verzichtete ich auf die Betrachtung des Brunnens und kehrte kleinlaut zu den anderen zurück. Die malerische Jausengruppe lagerte immer noch auf einer zerschlissenen Decke, gehüllt in prächtig pink-, rot- und goldgefärbte Gewänder, sodass sie die Blicke aller auf sich zogen. Dabei gaben diese Leute vor, sich allein ihrem Mittagsmahl aus Datteln und Brot zu widmen. Die Frauen schoben sich das Essen vorsichtig hinter den Schleier und saßen da wie Babies im Laufstall, mit leicht gespreizt ausgestreckten Beinen unter Röcken und Tüchern, bewundernswert aufrecht. Ich hätte zu gerne gewusst, ob ihre Gesichter hübsch waren. Der alte Mann patrouillierte um sie herum, aß ab und zu eine Dattel und hielt ansonsten eine heisere Rede, die Hände auf dem Rücken verschränkt, was ihm das Gehabe eines hageren Gockel verlieh. Die Frauen schüttelten nur immerzu grinsend den Kopf, als wir versuchten, sie anzusprechen. Der Alte verscheuchte uns wie Fliegen mit einem Fuchteln seiner Hände.

»Warum das Theater,« wollte Elsie wissen, »... wir hätten doch auch nichts dagegen, wenn bei uns zu Hause jemand ein Erinnerungsfoto von uns schießen wollte!«

Gerald riet, in solchen Fällen heimlich mit dem Teleobjektiv aus dem Wagenfenster zu fotografieren. Wer sich erwischen ließ, musste jedoch wohl mit öffentlichem Aufsehen und viel Empörung rechnen. Gerald wagte es und blieb unentdeckt.

»Ich will auch ein Foto,« tat Karli kund und schlich unter die nahen Bäume, um es von dort aus heimlich zu versuchen.

»Ach, lasst sie doch,« meinte Anita,»... wir müssen das respektieren.« Ich verzichtete, denn der Angriff wegen der Schuhe hatte mir gereicht. Mein Herz war immer noch erschrocken, weil Fremde mich angeschrien hatte. Wenigstens war der tröstlich süße Geschmack der Dattel in meinem Mund verblieben.

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