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4. Patriotisches Engagement und Preußische Reformen

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Bei der nahezu anarchistischen Sicht seiner frühen Jahre ist Kleist nicht stehengeblieben. In seinen letzten Werken, vor allem im Prinzen Friedrich von Homburg, nimmt er zu Staat und Gesellschaft eine zwar nicht affirmative, aber doch kritisch-konstruktive Haltung ein. Das Recht des Individuums auf Selbstverwirklichung gibt er nicht auf, doch mißt er es an den nun auch berechtigt erscheinenden Interessen und Belangen des Staates. Diese neue Entwicklung seines Denkens über den Staat – nicht über Kirche und Religion – hat zwei Gründe: die militärische Katastrophe Preußens in den Napoleonischen Kriegen und die Preußischen Reformen.

Nachdem Napoleon am 2. Dezember 1805 in der Schlacht bei Austerlitz einen entscheidenden Sieg über die verbündeten österreichischen und russischen Truppen errungen hatte, nachdem dann am 12. Juli 1806 unter seinem Protektorat der sogenannte Rheinbund errichtet worden war, dem die meisten deutschen Staaten außer Österreich und Preußen beitraten, ließ sich der Zerfall des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation nicht mehr aufhalten. Besiegelt wurde er, als Kaiser Franz II. am 6. August 1806 unter Napoleons Druck die deutsche Kaiserkrone niederlegte. Das war das offizielle und förmliche Ende des alten Reiches, dessen Macht schon seit Jahrhunderten durch die Herausbildung der fürstlichen Landeshoheit in den einzelnen Territorien ausgehöhlt worden war. Napoleons Ziel war die endgültige Auflösung des Reiches in eine Anzahl relativ machtloser und von ihm völlig abhängiger Mittelstaaten: Österreich und Preußen sollten in ihrem Territorium reduziert und aus dem übrigen Deutschland verdrängt, der Rest unter französische Führung gestellt werden. Daß dies nur die Vorstufe einer expansiven Annexionspolitik war, darauf deutete die Einverleibung der Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck in das ‚Grand Empire‘ und der Ausgriff bis nach Erfurt. Von Anfang an bekämpfte Napoleon die sich gegen seine Deutschlandpolitik formierende deutsche Nationalbewegung, wie die brutale Hinrichtung des Buchhändlers Palm am 26. August 1806 demonstrierte. Nach der Konstituierung des Rheinbundes und nach dem Sieg über Österreich standen ihm auf dem Kontinent zunächst nur noch Preußen und Rußland gegenüber. In Preußen aber folgten auf Friedrich den Großen schwache Regenten, die eine miserable Außenpolitik betrieben, und vor allem lähmten innere Mängel des reformbedürftigen Staates und Heeres die Entfaltung eines tatkräftigen Widerstands. Am 14. Oktober 1806 besiegte Napoleon das preußische Heer in der Schlacht bei Jena und Auerstedt, Preußen brach militärisch zusammen. Am 27. Oktober 1806 marschierte der Eroberer in Berlin ein, das Königspaar floh in die alte preußische Krönungsstadt Königsberg.

Kleists briefliche Äußerungen, aber auch die politischen Schriften, die er in den nun folgenden Jahren verfaßte, lassen erkennen, daß diese äußerste Bedrohung bei ihm wie auch bei anderen Zeitgenossen das patriotische und politische Engagement weckte, das dann schließlich zu den Befreiungskriegen führte. Die bedeutendsten dichterischen Zeugnisse dieser neuen politischen Leidenschaft sind die Hermannsschlacht und, auf etwas vermitteltere Weise, Prinz Friedrich von Homburg. Die akute Bedrohung, die an den Lebensnerv des Vaterlandes ging, bewog Kleist, der sich bisher unter Berufung auf Rousseau radikal gesellschaftsfeindlich und gegenüber den staatlichen Institutionen prinzipiell ablehnend verhalten hatte, zu einer patriotischen Identifikation. Insofern vollzog er eine grundsätzliche Wende. Allerdings bejahte er Preußen nicht in seiner Staatlichkeit und in seiner gesellschaftlichen Struktur, vielmehr handelte es sich um ein elementares Engagement für die Heimat. Aber dieses Engagement führte Kleist doch zu ganz neuen Reflexionen über den Staat und seine Verfassung. Dabei geriet er in den Bann der Preußischen Reformen.

Das Signal gab die Nassauische Denkschrift des Freiherrn vom Stein im Jahr 1807, ein Jahr nach Preußens Zusammenbruch. Mit ihrem Konzept der Mitverantwortung und der Teilnahme des Einzelnen am staatlichen Leben wollten die preußischen Reformer lebendige Identifikation mit dem Staat ermöglichen. Sie versuchten den preußischen Staat von innen her so weit zu stärken, daß er die Kraft zum erfolgreichen Kampf gegen Napoleon gewann. Mit der gleichen Grundtendenz wenden sich Kleists spätere Werke dem Staat und den gesellschaftlichen Problemen zu. Im Bannkreis der Preußischen Reformen kultiviert er nicht etwa bloß einen blindwütigen Patriotismus, wie dies bei isolierter Betrachtung der Hermannsschlacht scheinen könnte, vielmehr reflektiert er kritisch, aber nun mit konstruktiver Absicht die Mißstände des Staates und der Gesellschaft, um einen neuen, besseren Zustand herbeiführen zu helfen. Seine von Rousseau ausgehende, anfänglich radikal ablehnende Kritik, die wegen ihrer Grundsätzlichkeit auch sehr allgemein geblieben war, wandelt sich in eine Kritik, die mehr auf bestimmte und konkrete und damit auch korrigierbare Mißstände abzielt. Das wird vor allem am Michael Kohlhaas zu sehen sein.45

Als ein im engeren Sinn politischer Hauptmißstand galt ihm allerdings die zögerliche und mutlose Haltung des preußischen Königs gegenüber Napoleon. In den Jahren 1808 und 1809 wandten sich deshalb seine Hoffnungen auf Österreich, das in der Tat am 9. April 1809 die Kriegshandlungen begann. Mit einigen Gesinnungsgenossen wollte Kleist die österreichische Erhebung publizistisch unterstützen. Die Hermannsschlacht und mehrere Gedichte riefen leidenschaftlich zum Krieg gegen die Franzosen auf, die am 13. Mai Wien besetzten. Nach dem Sieg des Erzherzogs Karl über Napoleon in der Schlacht bei Aspern besichtigte Kleist zusammen mit Friedrich Christoph Dahlmann, dem später berühmten Historiker, das Schlachtfeld am 25. Mai. Als Napoleon am 6. Juli 1809 bei Wagram über die Österreicher siegte, versuchte Kleist die in Österreich durchaus noch aktive Kriegspartei zu unterstützen, er verfaßte den Aufruf Über die Rettung von Österreich46 , um die österreichische Führung und den Kaiser zur Mobilisierung der letzten Kräfte zu bewegen. Als am 14. Oktober 1809 der Frieden von Schönbrunn geschlossen wurde, sah Kleist seine Hoffnungen gescheitert. Die letzte Lebenszeit, 1810 und 1811, verbrachte er in Berlin, wo er die beiden Bände mit seinen Erzählungen, das Käthchen und den Zerbrochnen Krug herausbrachte und in seinem letzten, nicht mehr zum Druck gelangenden Werk, Prinz Friedrich von Homburg, seine Hoffnungen nochmals auf Preußen richtete, auf eine preußische Erhebung gegen Napoleon, zugleich aber auf ein Preußen, das aus dem Geist der Reform schon beinahe so utopische Züge47 annahm wie die zwischen Wirklichkeit und Traum schwebende Gestalt des Prinzen, in dessen Todesbereitschaft Kleist auch seine eigene, aus verzweifelten Bedrängnissen entschiedene, aber schon lang vorhandene gestaltete.

Heinrich von Kleist

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