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3. Amphitryon

Die Dramenhandlung und ihre mythologisch-literarischen Muster. Amphitryon als Tragikomödie

Kleists zweites Lustspiel erschien 1807 im Druck, seine Entstehungsgeschichte reicht aber möglicherweise bis auf das Jahr 1803 zurück.41 Die Fabel, die seinen drei Akten zugrunde liegt, ist relativ einfach: Der höchste Gott Jupiter, der auf Liebesabenteuer mit sterblichen Frauen ausgeht, erscheint der jungverheirateten Alkmene in der Gestalt ihres Ehemannes Amphitryon, weil er nur in dieser Gestalt ihre Liebe erlangen kann. Er verbringt eine Liebesnacht mit Alkmene, dann kehrt ihr wirklicher Mann Amphitryon aus dem Kriege zurück. Alkmene gerät in vollständige Verwirrung, und nicht nur äußerlich, weil sie sich mit zwei Amphitryonen konfrontiert sieht, sondern auch innerlich, weil sie ihrem Gefühl nicht mehr trauen zu können glaubt. Ihre Selbstgewißheit wird im selben Maße erschüttert, wie sie über die Identität des wahren Amphitryon in Zweifel gerät. Nicht weniger fühlt sich der heimkehrende Feldherr Amphitryon irritiert, als ihm sein göttliches Double in der Rolle des Ehemanns gegenübertritt. Ähnliches Malheur stößt seinem Diener Sosias zu: Den soeben Heimgekehrten verprügelt ein Doppelgänger, der behauptet, er sei der wahre Sosias und der andere möge gefälligst nicht mehr den Anspruch auf die „Sosiasheit“ erheben. Und Charis, die Frau des Sosias, ist natürlich auf das Double hereingefallen, in dessen Haut der Gott Merkur steckt. Merkur hat sich mit dem höchsten Gott Jupiter zu dessen verliebter Eskapade als Begleiter auf die Erde herabbegeben und mit Charis sein eigenes Liebesabenteuer inszeniert. Den äußeren Höhepunkt der Handlung bildet die Entscheidungsszene, in der Alkmene kundtun muß, welchen von den beiden Amphitryonen sie für den wahren hält. Nachdem sie sich für Jupiter-Amphitryon entschieden hat, beginnt der echte Amphitryon zu verzweifeln, weil ihm nun jeder identitätsichernde Halt fehlt, vor allem aber weil er seine junge Frau verliert. Doch hat die Qual bald ein Ende, denn der göttliche Nebenbuhler verabschiedet sich, um samt Merkur in den Himmel zurückzukehren, nicht ohne Amphitryon und Alkmene über alles aufzuklären. Dabei legt er die Amphitryon-Rolle ab und offenbart sich als Jupiter. Zum Trost für alles erlittene Ungemach verheißt er Alkmene und Amphitryon einen ruhmreichen Sohn: Herakles, den größten aller antiken Helden, den er in der betrügerischen Liebesnacht mit Alkmene gezeugt hat.

Daß Jupiter mit Alkmene den Herakles gezeugt hat, gehört als Kernbestand der Fabel schon der ältesten griechischen Überlieferung an. Bereits Homer und Hesiod erzählen davon.42 Vom fünften vorchristlichen Jahrhundert bis in die Gegenwart wurde dann diese Fabel in zahlreichen Dramen traktiert, ähnlich wie die anderen Sagenstoffe. Jean Giraudoux nannte sein im Jahre 1929 in Paris uraufgeführtes Amphitryon-Drama Amphitryon 38, weil er schon 37 Vorgänger zählen konnte (in Wahrheit waren es noch mehr). Inzwischen sind noch eine Anzahl neuerer Bearbeitungen hinzugekommen.43 In der Antike war der Amphitryon-Stoff zunächst Gegenstand der Tragödie. Sophokles schrieb eine nicht überlieferte Amphitryon-Tragödie, Euripides eine Alkmene-Tragödie, von der bildliche Darstellungen auf griechischen Vasen zeugen. Vielleicht ebenfalls schon in Griechenland vollzog sich der entscheidende Umschwung von der Tragödie zur Komödie. Das Doppelgänger-Motiv und die Hahnreischaft Amphitryons, nicht zuletzt Jupiters Liebesabenteuer, boten gute Ansatzpunkte für eine komödienhafte Umgestaltung. Indes sind griechische Amphitryon-Komödien so wenig erhalten wie die entsprechenden Tragödien des Sophokles und des Euripides44 , dessen Drama wie ein ebenfalls verlorenes des Aischylos den Titel Alkmene trug.

Erst mit dem Amphitruo des römischen Komödiendichters Plautus (254 – 184 v. Chr.) ist uns eine antike Amphitryon-Komödie, ja überhaupt das erste Amphitryon-Drama überliefert. Von nun ab geht der Amphitryon-Stoff als Komödien-Stoff in die Weltliteratur ein. Aber auch in den drei wichtigsten Komödien, im Amphitruo des Plautus, in Molières Amphitryon (1668) und in Kleists Amphitryon, bleibt das Erbe der Tragödie wirksam: Nicht nur bei Kleist, auch schon bei Molière und Plautus fallen tragische Schatten in das Lustspielgeschehen. Von allgemein gattungsgeschichtlichem Interesse ist es, daß Plautus im Prolog seines Stücks, den er dem Gott Merkur in den Mund legt, erstmals in der Geschichte der Literatur von einer „tragicomoedia“ spricht. Mit seiner Definition der Tragikomödie verbindet er eine aufschlußreiche Argumentation, wenn er Merkur sagen läßt:

Nun hört die Fabel unsres Trauerspiels.

Ihr runzelt eure Stirnen, weil ich sagte,

Es wird ein Trauerspiel? Ich bin ein Gott,

Ich kann es ändern, wenn ihr wollt! Ich mache

Sofort ein Lustspiel aus dem Trauerspiel,

Und ohne einen einz’gen Vers zu streichen!

Was wollt ihr haben? – Doch ich bin ein Tor:

Als ob ein Gott nicht wüßte, was ihr wollt!

Ich kenne ja die Wahl, die ihr getroffen!

Tragikomödie soll dies Stück drum werden.

Es ganz ins Komische zu wenden, wäre

Nicht recht, da Helden hier und Götter spielen;

Doch da auch Sklaven in dem Stück agieren,

Will ich’s halb komisch und halb tragisch bringen.

Plautus leitet also das Recht, sein Stück als „tragicomoedia“ zu bezeichnen, aus der Einführung des Sklaven Sosias ab, der dann auch noch bei Molière und Kleist erscheint. Traditionell galt die poetische Konvention, daß in der Tragödie als einer hohen Gattung auch nur hohe Personen, vorzugsweise Götter, Könige und Helden aufzutreten haben, in der Komödie als einer niederen Gattung hingegen nur Personen niederen Standes. Diese sogenannte ‚Ständeklausel‘ wurde erstmals im ‚bürgerlichen Trauerspiel‘ des 18. Jahrhunderts aufgehoben: Fortan konnten in der Tragödie nicht bloß Personen hohen Standes agieren, sondern auch Bürger. Die Tragikomödie aber, wie sie Plautus mit seinem Amphitruo erfand, ermöglichte schon die Mischung der Stände. Nicht zuletzt aus der Kontrastierung von Herr und Diener, von Amphitryon und Sosias, gewinnt nun bis hin zu Kleist das Amphitryon-Spiel seine spezifisch tragikomischen Möglichkeiten. Das ans Tragische grenzende Geschehen um Amphitryon und Alkmene wird durch das burlesk-realistische Dienerspiel um Sosias dramatisch ausbalanciert.45

Noch aus einem anderen Grund erscheint das Drama als tragikomisch: Je nachdem, ob der Leser oder Zuschauer die Perspektive des gequälten Menschen oder die des Gottes Jupiter einnimmt, der mit den Menschen seine Liebesscherze treibt, gerät das Spiel mehr ins Tragische oder Komische. Die jederzeit mögliche Doppelperspektive macht es grundsätzlich ambivalent.

Heinrich von Kleist

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