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Aristophanische Vital-Komik und Marthes komische Krug-Rede
ОглавлениеKleist griff noch zu besonderen Mitteln, um Komik zu erzeugen. Dabei diente ihm die Komödie des Aristophanes zum Vorbild. Im Juni 1803 entlieh er aus der Dresdner Bibliothek die Wolken des Aristophanes in der Übersetzung von Schütz (1798). Nach den Wolken konzipierte er schon den komischen Anfang, denn diese Komödie beginnt, wie dann auch der Zerbrochne Krug, mit einer sogenannten Lever-Szene voll komischen Morgenjammers. Aristophanisch-komisch ist vor allem der Charakter des Richters Adam, denn gerade das Deftige, das ungenierte Ausleben des Sexuellen und überhaupt die Affinität zum Animalischen ist typisch aristophanisch. Nicht nur, daß der Dorfrichter Evchen sexuell attackiert und deren Adam werden möchte, was dann zu einem kräftigen Adamsfall führt. Zur aristophanischen Vital-Komik gehört es auch, daß in seiner Registratur, die eigentlich den Akten vorbehalten sein sollte, Schinken und Würste liegen, die er schleunigst wegzuschaffen sucht, als der Inspektor Walter sein Kommen ankündigt. Und als es in der Gerichtsverhandlung für ihn brenzlig zu werden droht, sucht er dem Inspektor mit Schnäpsen, Limburger Käse und pommerscher Räuchergans beizukommen. Eine geradezu verräterische Rolle spielen generell Tiere in seinen Reden. Als der Schreiber Licht genußvoll durchschaut, was für einen Adamsfall der Richter erstmals aus einem Bett hinaus getan hat, verfällt der in die Bredouille Geratene auf folgende amüsante Ausrede, um seine Kopfwunden zu erklären:
Mit dem verfluchten Ziegenbock,
Am Ofen focht ich, wenn Ihr wollt. Jetzt weiß ichs.
Da ich das Gleichgewicht verlier, und gleichsam
Ertrunken in den Lüften um mich greife,
Fass ich die Hosen, die ich gestern Abend
Durchnäßt an das Gestell des Ofens hing.
Nun fass ich sie, versteht Ihr, denke mich,
Ich Tor, daran zu halten, und nun reißt
Der Bund; Bund jetzt und Hos und ich, wir stürzen,
Und Häuptlings mit dem Stirnblatt schmettr’ ich auf
Den Ofen hin, just wo ein Ziegenbock
Die Nase an der Ecke vorgestreckt. (V. 50 – 61)
Der Ziegenbock symbolisiert die sexuelle Gier, und so bringt Richter Adam sogleich seine tiefere Identität zum Vorschein. Diese in der Anstrengung des Verhüllens geschehende Enthüllung kennzeichnet sein gesamtes Verhalten und Handeln – und daraus entsteht Komik.
Der zweite, nicht weniger amüsante Ausrutscher ins Tierisch-Sexuelle läßt nicht lange auf sich warten. Denn als die Magd Adams Perücke nicht zu finden vermag, hat Adam auch für dieses Fehlen des seiner richterlichen Würde so dringend notwendigen Attributs eine Ausrede parat: Er habe die Perücke vor dem Schlafengehn auf einen Stuhl gehängt, von dem sei sie in der Nacht herabgefallen, darauf habe dann die Katze sie ins Maul genommen, unters Bett getragen und ihre Jungen darin zur Welt gebracht. Nicht zuletzt solches Erfinden immer neuer phantastischer Geschichten macht den Richter Adam zur komischen Figur. Ochs, Esel, Perlhuhn, Schwein und eine ganze Reihe anderer Tiere komplettieren das Spektrum seiner charakteristischen Vital-Komik, und als der Schreiber Licht augenzwinkernd auf Adams nächtliches Abenteuer anspielt, läßt dieser in seiner Replik, ebenso augenzwinkernd, einen Eisbären auftreten:
Mein Seel! Es ist kein Grund, warum ein Richter,
Wenn er nicht auf dem Richtstuhl sitzt,
Soll gravitätisch, wie ein Eisbär, sein. (V. 156ff.)
Für solche Situations- und Charakterkomik also inspirierte sich Kleist bei Aristophanes – besonders für das Vital-Deftige. Aber auch die Wortkomik zeigt ihn immer wieder in der Schule des Aristophanes, der es liebt, groteske Wortungeheuer zusammenzuballen, um Heiterkeit zu erregen. Und prompt erfindet auch Kleist groteske Wortungeheuer wie die „Rhein-Inundations-Kollekten-Kasse“ (V. 348), womit er zugleich die typische Ausgeburt von bürokratischen Wortmonstern karikiert, wie sie ihm als Juristen vertraut waren und wir sie etwa im „Steuervergünstigungsabbaugesetz“ bestaunen. Im übrigen baut er das Spektrum der Wortkomik hauptsächlich durch Wortspiele aus.30
Das komische Glanzstück ist Frau Marthes Preisrede auf den zerbrochenen Krug, der erst dadurch wahrhaft zum Titelhelden aufrückt. Im siebten Auftritt wird die Gerichtsverhandlung eröffnet und nach einigem Vorgeplänkel Frau Marthe aufgefordert, ihre Klage vorzutragen. „Das Reden ist an Euch“ (V. 643) sagt Adam zu ihr, und nun ist sie nicht mehr zu halten. Was in der tragischen Heroen-Welt der Ilias die berühmte Beschreibung von Achills Schild, das ist in der komischen Kleinwelt dieses Geschehens ihre Beschreibung des Krugs und seiner Schicksale.
Viel Tiefsinniges ist dazu angemerkt worden, etwa, daß die auf dem Krug ursprünglich repräsentierte alte Ordnung der Dinge als eine zerstörte und buchstäblich in Scherben geratene Welt erscheine. Somit symbolisiere der zerbrochene Krug den geschichtlichen Übergang aus dem heilen in einen heillosen Zustand oder sogar den Verlust der Geschichte.31 Und folglich sollen Adam und Eve zusammen den dazu passenden Sündenfall figurieren, mit dem doch andererseits die Menschheitsgeschichte erst so recht begann. Mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt sich sagen, daß Kleist mit dem auf dem Krug einst vorhandenen Historienbild, obwohl es ein Ereignis der niederländischen Geschichte fixierte32 , Assoziationen der aktuellen deutschen Geschichte weckte. Beim sogenannten Reichsdeputationshauptschluß hatte Napoleon im Jahre 1803 alle geistlichen Fürstentümer beseitigt – daran mußten die Verse über den in seiner Pracht verschwundenen Bischof von Arras die Zeitgenossen erinnern. Und wenn auf dem zerbrochenen Krug auch vom Kaiser nur noch die Beine zu sehen sind, so dürften die Zeitgenossen an die Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch Kaiser Franz II. am 6. August 1806 und an das damit offizielle Ende des alten Reichs gedacht haben. Doch erhält das Politische und Historische keinen pathetischen Eigenwert, im Gegenteil, es ist komisch gebrochen, und dies nicht nur, weil die große politische Welt, die schon miniaturisiert auf dem Krug erschien, nun zum komischen Histörchen im Munde der geschwätzigen Frau Marthe gerät. Der Kontext verstärkt die Komik noch in einer geradezu kaskadischen Kadenz, denn der Krug mit der auf ihm präsentierten Staatsaktion ging von der Hand Childerichs des Kesselflickers auf Fürchtegott den Totengräber über, dann auf Zachäus, Schneider in Tirlemont usw. Das Große und Wichtige erscheint in der Froschperspektive des Kleinen und Unwichtigen, indem es auf einem Krug miniaturisiert und zum Erbstück von Kesselflickern, Totengräbern und Schneidern und nun gar am Ende noch zum Streitobjekt in einer dörflichen Zänkerei wird. Die Weltgeschichte wird an der Dorfgeschichte zuschanden. Die gezielte Disproportion dient der Herstellung des Komischen, indem sie sogar Züge des Grotesken und Burlesken zur Geltung bringt. Die Grundoperation ist, wie auch in mehreren anderen Bereichen des Komischen33 , Depotenzierung. Daß dennoch Marthes Krugrede so reichlich als Anlaß für die Entfaltung von heilsgeschichtlicher, geschichtsphilosophischer, zeichentheoretischer und nicht zuletzt dekonstruktivistischer Emphase genommen wurde, verkehrt die zur Erzeugung des Komischen so kunstvoll verfolgte Strategie Kleists geradezu ins Gegenteil und wirft die Frage nach dem Angemessenen auf.
Ein zweites Element des Komischen entsteht durch die an Frau Marthe ins Werk gesetzte Typenkomik. Denn ihre endlose, auf alle Einzelheiten eingehende Darstellung der Krug-Geschichte ist typisch für einfältige Leute, die das Wesentliche nicht vom Unwesentlichen unterscheiden. So kommt auch hier wieder als Grundelement des Komischen eine sehr exakt konstruierte Disproportion zum Vorschein. Denn das Wesentliche, daß der Krug nach ihrer Meinung von Ruprecht, Evchens Verlobtem, zerbrochen wurde (kein anderer Mann darf ihn zerbrochen haben!), bringt Frau Marthe erst ganz am Schluß mit wenigen dürren Worten zur Sprache. Dem Unwesentlichen, der bildlichen Darstellung auf dem Krug und seiner abenteuerlichen Geschichte in der Abfolge seiner Eigentümer, widmet sie dagegen ein bunt ausgeschmücktes Epos im Kleinen. Damit erscheint Frau Marthe als Repräsentantin der ins Nebensächliche und Weitschweifige abrutschenden Geschwätzigkeit der Frauen aus dem einfachen Volk. Kleist demonstrierte an ihr ein Musterbeispiel jener Art von umständlicher Erzählfreude, die man umgangssprachlich als Erzählen „vom Stöckchen zum Steinchen“ bezeichnet. Er schrieb damit dem Geschehen einen besonders liebenswürdigen Zug des Komischen ein, der auch sonst für den Zerbrochnen Krug charakteristisch ist. Er verlieh ihm ein spezifisch volkstümliches Kolorit.
Und dennoch inszenierte Kleist hier nicht nur ein Musterstück von Komik. Marthes Krug-Rede hat eine psychologische Dimension jenseits des Komischen. Die übermäßig ausführliche Beschreibung des Kruges ist ein verdecktes Reden über Evchens Mädchenehre, die durch das nächtliche Spektakel in ihrer Kammer ebenso gelitten hat wie der Krug, der dabei zerbrochen wurde. Zwar sieht es zunächst so aus, als verliere sich Frau Marthe an die Merkmale und die Geschichte des Kruges.34 Aber das ist nur der äußere Anschein, der in diesem doppelbödigen Spiel der komischen Wirkung dient. Ihre wahren Motive kommen schon vor der Krugbeschreibung zum Vorschein, als Evchen sie von dem öffentlichen Engagement für den Krug abhalten will. Darauf antwortet Frau Marthe (V. 487 – 497):
Du sprichst, wie dus verstehst. Willst du etwa
Die Fiedel tragen, Evchen, in der Kirche
Am nächsten Sonntag reuig Buße tun?
Dein guter Name lag in diesem Topfe,
Und vor der Welt mit ihm ward er zerstoßen,
Wenn auch vor Gott nicht, und vor mir und dir.
Der Richter ist mein Handwerksmann, der Schergen,
Der Block ists, Peitschenhiebe, die es braucht,
Und auf den Scheiterhaufen das Gesindel,
Wenns unsre Ehre weiß zu brennen gilt,
Und diesen Krug hier wieder zu glasieren.
Es geht für Marthe also gerade nicht um den Krug als solchen, sondern um Evchens guten Namen und die Wiederherstellung ihrer Ehre. Nur weil sich Eves Ehre und das Schicksal des Kruges so eng verbinden, beschäftigt sie sich mit ihm so einläßlich und hartnäckig. Die Beschreibung des Krugs erhält geradezu metonymische Qualität. Die weltgeschichtliche Totalität der bildlichen Darstellung auf dem Kruge deutet auf Marthes Ein und Alles: auf Evchen und ihren guten Namen. In ähnlicher Weise aufschlußreich ist es, daß sie so ausführlich darstellt, wie der Krug durch alle Fährnisse gerettet wurde, bis er schließlich in der unglückseligen Nacht das Opfer eines Rüpels wurde. Die Rede ist im ganzen eine uneigentliche Rede, in der Terminologie der literarischen Rhetorik: eine oratio figurata. Frau Marthe wählt die Ebene des Uneigentlichen, weil sie sich scheut, über die Ehre ihrer Tochter in offener Gerichtssitzung zu sprechen. Der letzte Auftritt des Lustspiels, in dem sie nach dem glücklichen Ausgang laut Regie-Anweisung „empfindlich“ fragt, wie nun dem Krug sein Recht geschehen könne, zeigt sie als komisch Gefangene ihrer Redefiktion, an der sie bis zum Schluß festhalten zu müssen glaubt.
Im ganzen ist demnach für Frau Marthe jenes enthüllende Verhüllen charakteristisch, das auch an Adams Lügenspiel auffällt. Nur sind im Unterschied zu Adam ihre Gründe die allerehrbarsten. Aus der ständig durchschaubaren Spannung zwischen dem Bereich des eigentlich Gemeinten – Evchens Mädchenehre – und dem Bereich des Uneigentlichen, wo es um den Krug geht, erhält Marthes Krug-Rede ihren untergründigen Reiz.