Читать книгу Big Ideas. Das Mathematik-Buch - John Farndon - Страница 8
ОглавлениеGENAUES RECHNEN: KENNTNIS ALLER DINGE DIESER WELT
DER PAPYRUS RHIND
IM KONTEXT
SCHLÜSSELZIVILISATION
Altes Ägypten (um 1650 v. Chr.)
SCHWERPUNKT
Arithmetik
FRÜHER
um 2480 v. Chr. Steinritzungen halten die Nilfluten fest, gemessen in Meh (Königsellen, etwa 52,4 cm) und Schesep (Handbreiten, 7,5 cm).
um 1850 v. Chr. Der Papyrus Moskau 4676 enthält Lösungen für 25 mathematische Probleme, darunter die Berechnung der Oberfläche einer Halbkugel und des Volumens einer Pyramide.
SPÄTER
um 1800 v. Chr. Der Berliner Papyrus zeigt die Verwendung einer quadratische Gleichung.
6. Jh. v. Chr. Der Grieche Thales von Milet reist nach Ägypten und studiert dort die mathematischen Theorien.
Der Papyrus Rhind im Britischen Museum in London gibt einen faszinierenden Einblick in die Mathematik des alten Ägypten. Er wurde nach dem schottischen Anwalt und Ägyptologen Alexander Henry Rhind benannt, der ihn 1858 in Ägypten erwarb. Der Text wurde von dem Schreiber Ahmose vor über 3500 Jahren von anderen Dokumenten kopiert. Der Papyrus ist 32 cm mal 200 cm groß und enthält 84 Probleme der Arithmetik, Algebra, Geometrie und der Vermessung. Dieser Papyrus sowie der etwas ältere Papyrus Moskau 4676 und einige weitere Fragmente dokumentieren Techniken zur Berechnung von Flächen, Verhältnissen und Volumen.
Das Auge des Gottes Horus war ein Symbol der Macht und des Schutzes. Mit Teilen des Symbols repräsentierte man auch Bruchzahlen, deren Nenner Potenzen von 2 sind, der Augapfel etwa für ¼ und die Augenbrauen für 1/8.
Zahlensymbole
Das ägyptische Zahlensystem war das erste System mit der Basis 10, aber kein Stellenwertsystem. Es nutzte Striche für die Einerziffern und verschiedene Symbole für Potenzen von 10, andere Zahlen wurden aus diesen Symbolen zusammengesetzt. Bruchzahlen stellte man durch einen Punkt über der Zahl dar. Damit ließen sich aber nur Stammbrüche bilden – also Brüche der Form 1/n, wobei n eine positive, ganze Zahl ist. Andere Brüche musste man als Summe von Stammbrüchen schreiben: 2/3 etwa war in ägyptischer Notation ½ + 1/6 (nicht 1/3 + 1/3, da man den gleichen Stammbruch nicht wiederholte).
Die 84 Probleme des Papyrus Rhind illustrieren damalige mathematische Methoden. So fragt Problem 24, welche Zahl, wenn man sie zu ihrem siebten Teil addiert, 19 ergibt. Als Gleichung ist dies x + x/7 = 19. Das angegebene Lösungsprinzip nennt man heute Regula-falsi-Methode (Latein: »Regel des Falschen«). Sie war bis ins Mittelalter verbreitet und basiert auf Versuch und Annäherung: Man wählt einen »falschen« Wert (»Ansatz«) für die Variable und nähert ihn dann durch Multiplikation mit einer Zahl (tatsächliches Ergebnis geteilt durch falsches Ergebnis) an.
Die alten Ägypter repräsentierten die Zahlen 1 bis 9 mit vertikalen Strichen. Zehnerpotenzen, vor allem in Steininschriften, wurden als Hieroglyphen (Bildsymbole) dargestellt.
In Problem 24 ist ein Siebtel einfach für die Zahl 7 zu berechnen, also wählt man 7 als »Ansatz« für x. Das Ergebnis, 7 + 7/7, ist 8 statt 19. Um herauszufinden, wie weit man vom richtigen Wert entfernt ist, berechnet man Folgendes: 19 geteilt durch 8. Das ergibt 23/8, notiert als 2 + ¼ + 1/8. Nun muss man den ursprünglichen, »falschen« Ansatz (7) mit dieser Zahl multiplizieren, was x = 165/8 bzw. 16 + ½ + 1/8 ergibt. Damit hat man bereits die Lösung gefunden: 165/8 + (165/8) : 7 = 19.
Viele Probleme des Papyrus handeln von Waren oder Ländereien. Problem 41 berechnet das Volumen eines zylindrischen Getreidespeichers mit einem Durchmesser von 9 Meh (Ellen) und einer Höhe von 10 Meh. Dazu findet man die Fläche eines Quadrats mit einer Seitenlänge von 8/9 des Durchmessers und multipliziert sie mit der Höhe. Denn ein Kreis mit Durchmesser 9 hat etwa die gleiche Fläche wie ein Quadrat mit Seitenlänge 8. Dies wird auch in Problem 50 zur Berechnung der Fläche eines Kreises genutzt: Ziehe 1/9 vom Kreisdurchmesser ab und berechne die Fläche des Quadrats mit der resultierenden Seitenlänge.
Näherungswert für Pi
Seit der griechischen Antike berechnet man die Fläche A eines Kreises, indem man das Quadrat des Radius (r2) mit der Zahl Pi (π) multipliziert, also A = πr2. Die Ägypter hatten kein Konzept von Pi, aber der Papyrus Rhind zeigt, dass sie dem Wert schon sehr nahe kamen. Die Kreisflächenberechnung lässt sich als (8/9 · 2r)2 ausdrücken (der Durchmesser ist der doppelte Radius), also 256/81 · r2, was effektiv einen Wert für Pi von 256/81 ergibt. Das ist nur 0,6 % größer als der wahre Wert von Pi.
Lehrbücher
Die Papyri Rhind und Moskau 4676 sind die am vollständigsten erhaltenen mathematischen ägyptischen Texte. Sie entstanden im bzw. kurz nach dem Mittleren Reich. Schreiber, die sich gut mit Arithmetik, Geometrie und Messwesen auskannten, kopierten sie sorgfältig. Man verwendete die Texte wohl als Übungen in Schreiberschulen. Zwar gaben diese vermutlich den höchsten Stand der Mathematik wieder, galten damals aber nicht als Wissenschaftswerke. Vielmehr waren es Handbücher für Handel, Buchhaltung, Bauwesen und andere Tätigkeiten, bei denen man messen und rechnen musste.
Baumeister nutzten Mathematik etwa beim Pyramidenbau. Der Papyrus Rhind zeigt die Berechnung einer Neigung mit der Einheit Seked – dem horizontalen Abstand (in Handbreiten), bei dem eine geneigte Linie um 1 Meh (Königselle: 52,4 cm) abfällt. Je steiler die Pyramidenseite sein sollte, desto weniger Seked musste man abmessen.
Der Autor des Papyrus Rhind verwendete die hieratischen Schrift- und Zahlzeichen. Dieser kursive Schreibstil war kompakter und praktischer als Hieroglyphen.