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Ein Gespenst am Zaun
ОглавлениеIch versuche, am Zaun auf mich aufmerksam zu machen. In meinem Neoprenanzug mit dem roten Floß über der Schulter würde ich überall auf der Welt so viel Aufmerksamkeit erregen wie ein eben gelandetes Marsmännchen samt fliegender Untertasse – hier jedoch tun die Leute so, als sei ich gar nicht da. So etwas habe ich noch nie erlebt. Sie sitzen hinter dem Zaun vor ihren Hütten, vielleicht zehn Meter von mir entfernt, und bemühen sich nach Kräften, durch mich hindurchzusehen. Ich kann mir vorstellen, dass sie nicht wissen, wie sie mit diesem als Schwimmer verkleideten Gespenst umgehen sollen. Auf keinen Fall wollen sie in Probleme verwickelt werden. Am besten gar nicht hinsehen, dann verschwindet das Gespenst sicher von selbst.
Aber sie haben nicht mit meiner Hartnäckigkeit gerechnet. Jetzt wegzugehen würde mich einen tagelangen Umweg kosten. Ich bleibe einfach am Zaun stehen und lasse das Unbehagen, das meine Erscheinung hervorruft, weiter vordringen. Immer wieder versuche ich, einen anzusprechen, und nach einer Weile weicht das blanke Ignorieren immerhin unwirschen Gesten, dass ich verschwinden soll. Man kommt nicht mehr umhin, mich wahrzunehmen. Und ich gehe einfach nicht weg. Nach vielleicht einer guten halben Stunde sind sie mürbe. Ein Mann mittleren Alters kommt an den Zaun, wohl eine Art Vorarbeiter, der ein paar Brocken Englisch spricht.
»What you do here?«
»I’m swimming to Dubrovnik, and because I wasn’t allowed to swim through the construction site, I have to pass here.«
»No, no, you go away.«
Er dreht sich auf dem Absatz um und geht wieder weg. Ich bleibe stehen. Nach einer Weile kommt er wieder.
»Why you still here? Go back!«
»I’m sorry, but I can’t. I have to pass through.«
»No, it’s impossible.«
»I only need to go to the other side, it’s only a few minutes, and then I’m away.«
»No!«
»Yes!«
»No, no!«
»Yes, yes!«
Er sieht mich an, ich sehe ihn an. Er scheint zu kapieren, dass er mich so nicht loswird. Schließlich tritt er zwei Schritte zurück und macht eine resignierte Kopfbewegung, die ich als Einladung interpretiere. Ich werfe das Floß über den Zaun und klettere schnell hinterher. Er führt mich die 200 Meter quer über das Gelände und ich muss ihm mehrmals versprechen, auf keinen Fall wieder zurückzukommen. Das kann ich guten Gewissens zusagen. Auf der ganzen Baustelle sehe ich übrigens keinen einzigen europäisch aussehenden Menschen. Offensichtlich sind hier nur Chinesen beschäftigt, keine Kroaten.
Vom Ausgang führt ein schmaler Pfad hinunter ans Ufer, sodass ich keine 100 Meter hinter der Baustelle wieder ins Wasser komme. Das hat lange gedauert, war aber eigentlich ganz leicht.
Den Rest des Tages schwimme ich einfach nur Vollgas, um gerade noch vor Einbruch der Dunkelheit den Strand des Dorfes Duba Stonska zu erreichen, wo ich mein Nachtlager aufschlage. Bis hierhin musste ich kommen, sonst hätte ich ein gewaltiges Problem – ohne Essen und mit kaum noch Trinkwasser an einer unwirtlichen Steilküste, wo es keinen Platz gibt, um sich auch nur bequem hinzusetzen, von schlafen ganz zu schweigen. Giftschlangen soll es dort auch geben.