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3.Subjektiver Tatbestand

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50Hier gewinnt vor allem die Abgrenzung des vorsätzlichen Totschlags in Form von dolus eventualis zur fahrlässigen Tötung i. S. d. § 222 an Bedeutung. Eventualvorsatz liegt nach h. M. vor, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges für möglich hält und diesen billigend in Kauf nimmt bzw. sich mit diesem abfindet127. Lediglich bewusste Fahrlässigkeit soll hingegen anzunehmen sein, wenn der Täter trotz der erkannten Möglichkeit des Erfolgseintritts128 ernsthaft und nicht lediglich vage auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolgs vertraut hat. Eventualvorsatz kann auch dann vorliegen, wenn dem Täter der Erfolg an sich unerwünscht ist, er sich aber, um das erstrebte Ziele zu erreichen, notfalls auch damit abfindet129.

51a) Nach Ansicht der Rechtsprechung liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen (etwa Schüssen130, Messerstichen131, Würgen132 oder Brandstiftung an einem Wohnhaus133) nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs gerechnet und einen solchen vor allem auch gebilligt hat134. Deshalb soll es grundsätzlich möglich sein, von der objektiven Gefährlichkeit der Handlung auf bedingten Vorsatz zu schließen. Die objektive Gefährlichkeit ist jedoch kein allein maßgebliches Kriterium, da es letztlich einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des konkreten Einzelfalles, einschließlich der Persönlichkeit des Täters, seiner psychischen Verfassung und Tatmotivation, bedarf135. So kann etwa bei einer Alkoholisierung des Täters, die die Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt, oder bei spontanen und unüberlegten Handlungen der Vorsatz nicht ohne weiteres aus der Gefährlichkeit der Tathandlung hergeleitet werden136. Insoweit ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung (nur) ein gewichtiges Indiz für einen bedingten Vorsatz, welches nicht vorschnell beiseite geschoben werden darf, selbst wenn man bei Tötungsdelikten von einer erhöhten Hemmschwelle ausgeht. Bei lebensgefährlichen Gewalthandlungen erfordert die Verneinung des Vorsatzes daher tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut hat, dass das Opfer nicht zu Tode kommt. Der Tatrichter darf den Beweiswert von offensichtlich lebensgefährlichen Verhaltensweisen nicht so gering einstufen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung im Urteil verzichtet wird137. Dabei ist der Vorsatz aufgrund der konkreten Vorstellungen des Täters zu ermitteln, da ihm trotz gewisser Normativierungstendenzen im Vorsatzbereich138 ein nicht vorhandener Vorsatz nicht einfach zugeschrieben werden darf139.

Hinweis: Ein bloßer Verweis auf die sog. Hemmschwellentheorie ist zur Verneinung des Vorsatzes keinesfalls ausreichend. Insoweit relativiert der BGH in einer jüngeren Entscheidung die Bedeutung dieser Theorie140: „Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine ‚Hemmschwellentheorie‘ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt. Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche ‚Theorie‘ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll (…).“ Nach Ansicht des BGH erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO141.

51aBsp. (Berliner „Raser“-Fall):142 A und B führen – nach spontaner Verständigung an einer Kreuzung – nachts im innerstädtischen Bereich Berlins ein Autorennen durch. Dabei überfahren sie elf ampelgeregelte Kreuzungen, die zumindest teilweise auf Rotlicht geschaltet sind. Schließlich fahren sie fast nebeneinander bei Rotlicht und mit Geschwindigkeiten von 139 bis 149 km/h bzw. 160 bis 170 km/h in einen Kreuzungsbereich ein. Dort kollidiert der auf der rechten Fahrbahn fahrende A mit dem Jeep des O, der bei „grün“ von rechts kommend in die Kreuzung eingefahren war, wobei dessen Fahrer zu Tode kommt. Durch den Aufprall wird das Fahrzeug des A auf das Fahrzeug des B geschleudert, wobei dessen Beifahrerin schwer verletzt wird. A und B werden leicht verletzt.

Das objektiv enorm gefährliche Verhalten der beiden Rennteilnehmer weist zunächst in Richtung (eventual-)vorsätzlichen (Tötungs-)Handelns. Wer im – wenn auch nächtlichen – innerstädtischen Verkehr einer Großstadt Ampelsignale missachtet und die zulässige Höchstgeschwindigkeit drastisch überschreitet, wird die Möglichkeit eines Unfalls (unter Einbeziehung Dritter) nicht ausschließen können, sodass bei einem Weiterhandeln eine gewisse Gleichgültigkeit hinsichtlich möglicher Folgen naheliegt. Zu beachten ist freilich – da die Gefährlichkeit nur ein Indiz ist – der Gesichtspunkt der Eigengefährdung: Bei einer Kollision drohen naturgemäß auch den Rennteilnehmern erhebliche Gefahren für Leib und Leben. Dies spricht dafür, dass die Handelnden auf einen guten Ausgang vertrauen143. Insoweit sind wiederum aus den objektiv drohenden Unfallszenarien Rückschlüsse auf die innere Haltung der Handelnden zu ziehen: Je gravierender das drohende Unfallszenario (etwa: Zusammenstoß mit einem Bus oder Lkw) sich aus Sicht des Täters darstellt und je weniger der Täter selbst geschützt ist (etwa Fahrt mit einem Motorrad144), desto eher wird von einem Vertrauen auf einen guten Ausgang – und damit (bewusst) fahrlässigem Handeln – auszugehen sein145. Allerdings dürfte es nicht immer ganz einfach sein, solche konkreten Vorstellungen eines Rasers zu ermitteln.146 In seiner zweiten Entscheidung zum Berliner Raserfall geht der BGH insoweit davon aus, dass die Bewertung der Eigengefährdung – abhängig vom Vorstellungsbild des Täters – abgestuft sein kann. Der Fahrer hielt demnach zwar einen Frontalaufprall mit einem PKW für möglich, billigte dies aber, weil er sich selbst trotz nicht angelegter Sicherheitsgurte aufgrund der Sicherheitstechnik seines Fahrzeugs (Airbags) sehr sicher fühlte. Selbst wenn er eine Kollision mit einem LKW usw., die zu einer größeren Eigengefahr geführt hätte, nicht gebilligt hätte, soll dies unerheblich sein, da sich in der konkreten Kollision jedenfalls das von ihm gebilligte Risiko realisierte147.

52b) Hinsichtlich der vorzunehmenden Vorsatzprüfung ist nochmals in Erinnerung zu rufen, dass ein bei der Vornahme der Tathandlung nicht mehr aktueller Vorsatz (dolus antecedens) und ein erst später gefasster Vorsatz (dolus subsequens) unbeachtlich sind und es für den Vorsatz gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 auf den Zeitpunkt der Tathandlung ankommt148. Nach § 8 S. 1 ist für die Zeit der Tat die Tathandlung und nicht etwa der Eintritt des Erfolges (§ 8 S. 2) entscheidend. Mit Blick auf den Berliner Raserfall (Rn. 51a) ergab sich hier die Besonderheit, dass nach den Feststellungen des LG bei der ersten Verurteilung die Angekl. die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs des Rennens erst erkannten und billigend in Kauf nahmen, als sie in die Unfallkreuzung einfuhren; zugleich seien sie zu diesem Zeitpunkt „absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren“. Damit fehlte es aber zu diesem Zeitpunkt, zu dem der Vorsatz hinzutrat, an einer strafrechtlichen Handlung, weil das Geschehen nicht mehr beherrschbar und damit nicht willensgetragen war149. Zuvor lag zwar eine Handlung vor, jedoch hatte das LG insoweit keinen Vorsatz festgestellt. Auch in Fällen, in denen der Täter vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergeht, kommt es daher darauf an, dass gerade die den Tod herbeiführenden Handlungen vom Tötungsvorsatz erfasst sind150.

Strafrecht - Besonderer Teil I

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