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Das Salz-Schlickgras wurde als Wellenbrecher und zur Sedimentierung des Watts angepflanzt.

Salz-Schlickgras

Spartina anglica

Familie der Süßgräser

(Poaceae)

Bei diesem 30 bis 130 Zentimeter hohen, in dichten, homogenen Bulten und Flächen wachsenden Salz-Schlickgras (Spartina anglica) scheiden sich die Geister. Und genau hier wird es nachfolgend ziemlich kompliziert. Da müssen Sie jetzt durch, ich muss das erzählen, das ist jetzt echt etwas Hardcore-Botanik!

In Süd- und Mittelengland existiert eine Bruderpflanze, das Meer-Schlickgras (Spartina maritima). Das wuchs dort an den schlickigen Küsten im Tidebereich immer so freudig vor sich hin. Dies war den Leuten aber nicht genug, und sie führten aus Nordamerika zudem das Wechselblütige Schlickgras ein (Spartina alterniflora). Obwohl sich diese Süßgräser nicht kannten, vereinigten sich beide um 1870 zu einem sterilen Bastard (andere Quellen sprechen von 1890), einer Hybride also, dem Townsend-Schlickgras (Spartina x townsendii). Hybriden markieren wir immer mit einem »x« zwischen den lateinischen Namen). Aber damit nicht genug, fand danach eine sogenannte Autoploidisierung statt, eine Art Mutation, die Chromosomenzahlen verdoppelten sich. So entstand nun dieses Englische Schlickgras, jetzt sogar fruchtbar (fertil), also eine rezente Evolution innerhalb kürzester Zeit. Ein schönes Beispiel für Artenbildung sozusagen im Rekordtempo.

1927 führte man dieses als Schlickfänger und Bodenerhöher dann nach Deutschland ein – zuerst auf Juist, in der Leybucht und vor Neßmersiel (alle Niedersachsen). Ob es sich jetzt um das Englische Schlickgras oder noch um den Bastard gehandelt hat, ist dabei völlig unklar.

Jedenfalls ist das Englische Schlickgras, das von einem Autor 1970 als »Jetzt auf allen Inseln und an der Küste verbreitet und zunehmend« bezeichnet, von einem anderen Autor dagegen 1990(!) als »selten im Wattenmeer, spontan und gepflanzt als Wattenbefestiger«, zum erfolgreichsten Neophyten längs der Nordseeküste aufgestiegen. Es kommt zwischen Esbjerg und dem Dollart in breitem Streifen vor und fehlt heute wohl auf keinem 100-Meter-Küstenabschnitt.

Längs der Ostsee jedoch fehlend, ist es ein ausgesprochener Halophyt, nämlich ganz an vorderster Front vor allen anderen Gewächsen im nährstoffreichen Schlick- und Sandwatt. Eben ein bei Neophyten typischer Borderliner, dorthin exportiert gelangen nur noch Quellerarten. Den Bastard hat im Grunde in Deutschland noch nie jemand gesehen, es gibt davon keine Fotos und keine Arealkarte. Ein wirkliches Phänomen.

Inzwischen zählt dieses von Juli bis September blühende, derbe Gras zu den europa- und weltweit invasiven Arten, was ich so bisher nicht bestätigen kann. Meist wächst es völlig allein, da wo vorher gar nichts wuchs, oder es mischt mit, wenn auch kräftig. Denn auch alle Übrigen in seiner Umgebung haben ihr Wurzelwerk gelernt!

An der Nordsee wird das Schlickgras, das hier als Neuling eine eigene, fast monophytische Pflanzengesellschaft bildet (Schlickgras-Wiese), vor allem gefördert durch nun schon lange ausbleibende Beweidung, wodurch die Vegetation der unteren bis mittleren Salzwiese immer dichter und höher aufwächst. Andel, Salz-Sode, Strand-Grasnelke und Englisches Löffelkraut können darunter durchaus mal leiden. Spartina hält das abziehende Wasser auch länger zurück.

Aber all dies ist menschengemacht. Das Salz-Schlickgras kann wie alle anderen Wanderpflanzen überhaupt nichts dazu. Es wurde absichtlich angepflanzt, dicke Rhizome und bis 2 Zentimeter breite, bläuliche Blätter brechen Wellen und sedimentieren Watt. Es ist in meinen Augen daher ein trotzdem nützliches Gras zwischen den Lahnungen der Nordsee. Dekorativ zur Blütezeit mit bis zu 2 Zentimeter langen, weiß-cremefarbenen Staubgefäßen, die lustig im Wind flattern. Immer ein frischgrüner Kontrapunkt im öden Braun und Grau des Schlicks.

Zu allem Überfluss ist dieses Gras zudem Wirt vom Purpurbraunen Mutterkornpilz (Claviceps purpurea), welcher zumindest giftverdächtig sein soll. Forschungen zur Giftigkeit des Pilzes laufen noch. Alarm wird jedenfalls in Niedersachsen noch nicht geschlagen, auch nicht für die doch nur noch sporadisch im Deichvorland zu sehenden Weidetiere. Den Wattwürmern und stochernden Wattvögeln wird bestimmt durch das Schlickgras etwas Raum entzogen. Doch eine Förderung für hier brütende Vögel ist noch gar nicht untersucht.

Aber was andererseits der ewig bauende Mensch schon an Küstenlebensräumen abgrub, jetzt schon über 1000 Jahre lang, das wird dagegen nie bilanziert. Das wurmt mich, um es freundlich auszudrücken.

Der Segen der Einwanderer

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