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Kapitel 2

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Tom

Am selben Abend schaute er in den Rückspiegel und wartete auf Lynn. Tom hatte den Wagen an der Promenade geparkt. Seine Frau traf sich mit irgendeiner Kollegin in der Stadt und hatte ihn darum gebeten, sie dort abzuholen.

Er ließ das Fenster herunter, während er in Gedanken versunken war. Die Sache mit Providence ließ ihn einfach nicht los. Die Gelder, die sie beantragt hatten, waren abgelehnt worden. Und das nach all den Wochen, in denen sie hart darum gekämpft hatten. Kopfschüttelnd fuhr er sich durch die Brauen. Tom verstand die Politik einfach nicht, obwohl er immer gedacht hatte, er würde es tun. Vielleicht könnte er seine neuesten Veröffentlichungen dazu nutzen, um für das Projekt zu werben. Vielleicht würde er neue Interessenten finden, die bereit waren, für eine gute Sache zu spenden. Vielleicht … vielleicht aber auch nicht.

Er schob die erdrückenden Gedanken beiseite und ließ seinen Blick in die Ortschaft fallen, um nach Ablenkung zu suchen. Falmouth war ruhiger geworden. All die Sommertouristen waren in ihre Großstädte zurückgekehrt. Das Pflaster der Touristenmeile war wie leergefegt.

Tom hatte zuvor an Samuels Gedanken bemerkt, dass auch sie abgereist war – das rothaarige Mädchen war wieder daheim in Deutschland – trotzdem ging sein Sohn ihm nach wie vor aus dem Weg. Doch sie war fort; und allein die Tatsache ließ ihn erleichtert seufzen. Wenigstens etwas, das ihn nicht länger belastete. Für einen kurzen Moment tat sein Sohn ihm leid, doch der Junge würde schon darüber hinwegkommen, früher oder später. Sobald er die Sache überwunden hatte, würde sie ihn stärker machen und dann wäre sicher wieder das eine oder andere vernünftige Gespräch mit ihm möglich.

Toms Blick wanderte über das Kopfsteinpflaster. Weiter hinten – an der Kaffeebude – hockte eine Gruppe junger Mädchen. Sie erhoben sich und liefen in seine Richtung. Er schaute weg, um seinen Sinnen mehr Menschlichkeit aufzuzwingen. Tom verabscheute sein Gehör. Er verabscheute es, immer ungewollt Zeuge fremder Gespräche zu werden, was ihn grundsätzlich in sämtliche Zwickmühlen katapultierte, wenn es um geschäftliche Dinge ging; wenn seine Partner unter vier Augen miteinander sprachen und er eigentlich gar nichts davon mitbekommen sollte. Gut, so betrachtet, barg es natürlich auch ungeahnte Möglichkeiten in sich. Aber dennoch; er hatte ständig ein schlechtes Gewissen.

Als die Mädchen näherkamen, blieb eine von ihnen plötzlich stehen. Tom sah auf und schaute in das braungebrannte Gesicht von Miss Delaware. Sie war immer mit der Rothaarigen unterwegs gewesen.

„Hey, Joyce, Kelly, seht mal“, flüsterte sie ihren Freundinnen zu. „Ist das dort drüben nicht der Dad von Sushi-Sam? Los, lasst uns mal hingehen. Es gibt da etwas, das mich brennend interessiert.“

Kurz darauf erreichten sie seinen Wagen. Miss Delaware lächelte und beugte sich ein Stück hinab, um Tom durch das heruntergelassene Fenster besser sehen zu können.

„Oh, hallo, Mister Dawson. Ein herrlicher Tag heute, nicht wahr?“, flötete sie.

Er tat unbefangen.

„Miss Delaware. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Oh, ach, wissen Sie …“, stammelte sie. „Meine Freundinnen und ich haben eben ein wenig geplaudert. Um ehrlich zu sein, fragten wir uns, was es wohl für ein wichtiger Termin gewesen sein könnte, für den Sie am Freitag die Hochzeit haben sausen lassen. Ich weiß, es ist indiskret zu fragen. Aber … ach, vergessen Sie es einfach. Dummes Gequatsche. Entschuldigen Sie bitte.“

Tom hob eine Braue. Irgendwas in ihren Worten ließ ihn aufhorchen.

Hochzeit? Von was für einer Hochzeit reden Sie denn?“ Miss Delaware wandte sich den anderen zu und lachte verwirrt. Dann sah sie ihn wieder an.

„Naja, die Hochzeit eben … Die von Ihrem Sohn und … Kriemhild.“ Er erbleichte. Hatte er das etwa richtig verstanden? Sein Puls schnellte in die Höhe und hämmerte gegen die Schläfen, während unbändige Wut in ihm aufstieg. Tom rang nach Fassung und zwang sich zu einem netten Lächeln.

„Ach, natürlich. Die Hochzeit … Wissen Sie, Miss Delaware, der Termin war tatsächlich wichtig und leider unaufschiebbar. In meinem Job kommt das dummerweise öfters vor. Einen schönen Tag noch.“ Ohne auf Antwort zu warten, fuhr er das Fenster hoch und schaute in eine andere Richtung.

Sein Herz donnerte in der Brust und sein Atem ging heftig. Vielleicht hatte er sich doch verhört? Das alles musste ein Irrtum sein. Samuel war nicht verheiratet! Nicht mit einer … Menschenfrau! Nicht ohne Toms Wissen. Seine Familie würde ihn niemals derart hintergehen. Doch ein letzter Blick in Richtung Miss Delaware ließ keinen Zweifel daran. Selbst wenn Tom sich dagegen gewehrt hätte, ihre Gedanken waren nicht zu überhören. Sie fragte sich in dem Moment, wieso er solche kühle Arroganz ausstrahlte und was für ein Termin wichtiger gewesen sein könnte als die Hochzeit seines eigenen Sohnes.

Toms Fäuste umklammerten das Lenkrad und beinahe wäre das butterweiche Leder seinem zerstörerischen Griff gewichen. Dann sah er Lynn. Sie kam über das Kopfsteinpflaster direkt auf den Wagen zu. Seine Hände zitterten so stark, dass er sich zwingen musste, die Kontrolle nicht zu verlieren.

Das Flüstern der See

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