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Kapitel 6

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Kriemhild

Das Frühstück im Hotel war reichlich und sehr süß. Weiche Brote mit Zuckerstreuseln, alle Arten von Süßaufstrich, alle Arten von Käse. Viel schwarzer Tee und Kaffee – nach einer schlaflosen Nacht genau das Richtige. Kriemhild schaute aus dem Fenster; Amsterdam bei Tag. Sara füllte sich am Buffet nach. Sie sah hübsch aus in dem kurzen Jeanskleid, wie Kriemhild fand.

„Und, was unternehmen wir?“, fragte ihre Freundin, als sie mit dem gefüllten Teller zurück am Tisch war. „Ich gehe mal davon aus, dass du nicht sofort abfahren willst?“

Kriemhild zuckte mit den Schultern. „Hm, keine Ahnung, woran hast du denn gedacht? Ma ist sicher schon ganz aufgeregt, mich wiederzusehen.“

„Und? Sie sieht dich doch heute Abend, das ist früh genug!“

Das Van Gogh Museum hätte Kriemhild gereizt, vielleicht das Anne Frank Haus – wenn sie nur nicht immer auf ihr Handy gestarrt hätte. Wie lange mochte Sam dort unten bleiben?

„Ich würde ja eine Bootsfahrt durch die Grachten vorschlagen, Süße, aber da du an dieser Wasserphobie leidest … Oder hat sich das geändert, seit du schwimmen kannst?“

„Wasser, ja. Boote, nein.“

Draußen vor dem Hotelfenster hielt ein anthrazitfarbener Jeep. Im gleichen Moment zog ihr Magen sich schmerzhaft zusammen – sie litt an Verfolgungswahn und Sara ertappte sie dabei. Ihre Freundin nahm einen Schluck Orangensaft und folgte ihrem hypnotischen Blick hinaus zu dem Wagen.

„Siehst du! Hatte ich dich nicht gewarnt?“ Sara lachte. „Du bist schneller drüber weggekommen, als ich gedacht hätte.“

„Wie bitte? Wovon redest du?“

„Na, die Sache mit deinem Sam. Oder wie erklärst du mir diesen heißen Flirt mit dem Model-Typ da draußen?“

„Ich verstehe nicht ganz, was du meinst, Sara.“

Ihre Freundin rollte mit den Augen, während Kriemhilds Blick noch immer an dem Auto hing. Erst in dem Moment bemerkte sie den Fahrer des Jeeps, der sie durch das Fenster anlächelte. Oder hätte sie es einladendes Kopfnicken nennen sollen? Sofort schaute sie weg und stocherte im Rührei herum. Sara schlug sich vor die Stirn.

„Wer bist du, und was hast du mit meiner besten Freundin gemacht?“

„Ich … ich hab nicht mit dem Typ geflirtet.“

„Nein! Ich glaub, das sieht er anders. Würde mich nicht wundern, wenn er gleich hier reinschneit.“

„Sara! Es … es ist der Wagen. Ich habe mir den Wagen angesehen.“ Ihre Freundin prustete und zeigte ihr einen Vogel.

„Ja klar, Gelände-Herbie! Seit wann stehst du auf Offroad, Kriemhild?“

„Weißt du … Sam fährt genau dasselbe Modell – auch in anthrazit.“

„Das ist es also!“ Sara sank schnaufend in die Stuhllehne. „Und ich dachte schon, es bestehe noch Hoffnung für dich.“

„Anscheinend nicht.“

„Na los, was gibt es sonst noch über den geheimnisvollen Samuel, das ich wissen sollte? Ich meine, nur für den Fall, dass ich nochmal was nicht mitbekomme, wenn du diese riesigen Löcher in die Welt starrst.“

„Es ist besser, wenn du nicht gleich alles erfährst. Glaub mir, du würdest mich erschlagen.“

Ihre Freundin stellte die Kaffeetasse so unsanft auf dem Tisch ab, dass es schwappte.

Du bist schwanger!“

„Nein! Natürlich nicht!“

„Gut, denn dann hätte ich dich wirklich erschlagen! Also? Ich bin ganz Ohr.“

Kriemhild fühlte nach der Kette unter ihrem Shirt. Ihre Freundin schaute sie erwartungsvoll an.

„Da ist nichts weiter.“

„Nichts weiter? Komm schon, Kriemhild, du weißt, dass ich dich gut genug kenne, um zu wissen, dass da was ist!“

Sie dachte an die vergangene Nacht zurück und daran, wie Sara auf die ganze Sache mit Sam reagiert hatte. Wie verständnislos und abfällig ihre Freundin geredet hatte. Wenn sie ihr auch noch von der Hochzeit erzählen würde, dann … Auf der anderen Seite – irgendwann musste sie es ja erfahren. Und um wie viel schlimmer konnte es schon noch werden?

„Was? Sagst du es mir jetzt oder nicht?“

„Meinetwegen, aber bitte schrei nicht, einverstanden?“

„Was ist jetzt mit diesem Sam?“

„Sam ist … Sam ist mein Mann. Er und ich, wir sind verheiratet.“

Stille. Es hatte sich seltsam angefühlt, es vor ihr auszusprechen. Doch es war raus, was sich wiederum erleichternd anfühlte. Sara verarbeitete die Worte offenbar noch immer in ihrem Kopf. Dann verzog sie das Gesicht zu einem Lachen – nein, zu einem Grölen. Sie schlug sich auf den Schenkel. „Jetzt hast du mich, Kriemhild! Der war gut! Mann, voll der Schocker am Morgen! Mach das nie wieder, kapiert?“

„Es ist die Wahrheit. Wir haben am vergangenen Freitag geheiratet, in Falmouth. Hört sich irre an, ist aber so.“

Sara fiel die Kinnlade herunter. Ihr Gesicht versteinerte und wurde blasser. Offenbar wartete sie darauf, dass Kriemhild lachte und ihr damit versicherte, dass es nichts weiter gewesen war als ein übler Scherz. Doch Kriemhild schwieg und zog die Kette hervor, während sie jede einzelne Perle durch ihre Finger gleiten ließ.

„Sie ist sowas wie ein Ehering, weißt du? Ist ‘ne alte Familientradition meines Mannes. Darum habe ich sie dir auch nicht gegeben.“

„Das … das glaub ich jetzt nicht.“

„Kann ich verstehen. Tut mir leid, wenn du schockiert bist, aber du wolltest es ja wissen.“

Ihre Freundin schüttelte den Kopf. Sie holte die Zigaretten raus und wollte sich eine anzünden.

„Hey, hier drinnen ist Rauchverbot.“

„Du bist ver…? Sag mal, … spinnst du? Du bist neunzehn Kriemhild! Und kennst diesen Typ gerade mal zwölf Wochen!“

„Elfeinhalb, um genau zu sein.“

„Und wieso hast du nichts gesagt? Ich meine, nicht mal deine Ma hat mir was verraten. Das ist traurig! Ich bin deine beste Freundin, Kriemhild! Ich wäre extra für dich nach Boston gekommen. Weißt du, wie oft heiratet man im Leben? Im besten Fall ein Mal! Ich … ich wäre gern dabei gewesen – aber nicht jetzt! Vielleicht in zehn Jahren oder so. Bitte, sag, dass das ein Scherz war!“

„Es war kein Scherz. Und ich wünschte auch, du wärest dabei gewesen. Ich habe dich vermisst! Es war unbeschreiblich. Und was meine Ma angeht …“

„Was ist mit deiner Ma?“

„Sie weiß nichts davon. Wir haben es ihr nicht gesagt.“

Was?“ Sara wäre beinahe vom Stuhl gefallen. „Sie weiß es nicht? Deine Ma weiß nicht, dass du verheiratet bist? Wieso … wieso weiß sie es nicht? Ist das dein Ernst? Willst du sie umbringen? Was ist denn da nur in dich gefahren? Ich fass’ es nicht! Du heiratest – und niemand weiß davon, nicht mal deine Mutter? Warum, sag mir, warum macht man sowas? Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll! Ich bin total platt, Kriemhild.“ Sie zog sich eine Zigarette aus der Schachtel, zündete sie an und nahm einen tiefen Zug. Gleich darauf einen hastigen zweiten hinterher. Daraufhin kam jemand vom Hotelpersonal an ihren Tisch herüber und bemühte sich um Diskretion.

„Entschuldigen Sie, aber hier drinnen ist Rauchverbot“, sagte er mit freundlicher Stimme. „Würden Sie das bitte ausmachen? Dort hinten gibt es einen abgetrennten Raucherbereich.“

Er deutete lächelnd in Richtung der Rezeption.

„Was ist los?“ Sara starrte ihn an, als würde er von einem anderen Stern kommen. „Ach so, sorry, hab ich vergessen.“ Sie drückte die Zigarette auf der Untertasse aus und las den Namen des Angestellten auf seinem Schild. „Sagen Sie, Maarten, rauchen Sie? Nein? Hören Sie, wenn Ihr bester Freund Ihnen eben das erzählt hätte, was meine beste Freundin mir gerade erzählt hat, dann würden Sie rauchen! Glauben Sie mir.“

Er grinste. Saras Art schien ihm zu gefallen.

„Los, Kriemhild, lass uns an die frische Luft gehen. Ich halt’s hier drinnen nicht länger aus.“

Das Flüstern der See

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