Читать книгу Der Tod lauert im Internet - Jutta Pietryga - Страница 19
ОглавлениеKapitel 10 Tatort
Am Tatort wimmelt es vor Menschen, Schaulustige und etliche Beamte des Polizeiapparates. Uniformierte Polizisten drängen die Umstehenden zurück, einer von ihnen diskutiert mit einem besonders hartnäckigen Gaffer, einem dunkelhäutigen Typen, der unbedingt fotografieren will, ein anderer rollt das blau-weiße Absperrband ab, um den Ort des Geschehens zu sichern.
Kriminalbeamte in weißen Overalls, die Kapuzen hochgezogen, bauen ihre Gerätschaften auf. Sie platzieren Schilder mit Nummern an diversen Stellen des Tatortes. Andere nehmen Bilder vom Ort und der Umgebung auf, machen von allen Seiten Aufnahmen des Mordopfers, die später der Fallakte hinzugefügt werden.
Einige suchen die Gegend nach Verdächtigem ab. Vielleicht steckt der Mörder noch in der Nähe, was durchaus möglich ist. Manche Verbrecher beobachten mit Vergnügen die Aufregung, die sie verursachen. Weitere Beamte halten Ausschau nach Spuren. Von wo ist er gekommen? In welche Richtung geflüchtet? Jedes fragwürdige Indiz sammeln sie auf, verwahren es in dafür vorgesehene Plastiktütchen, wo das Labor später nach Hinweisen auf Täter oder Tathergang forscht.
Die zuständigen Beamten der Kriminalfachinspektion 1, Abteilung Mord und Totschlag, Kriminalhauptkommissar Jens Fender sowie Kriminalkommissar Armin Lohse treffen ein. Bevor sie den Ort des Verbrechens betreten, holen sie die vorgeschriebenen Utensilien aus dem Kofferraum ihres Autos. Sie ziehen Latexhandschuhe an und stülpen Schutzbezüge über die Schuhe. Auf keinen Fall dürfen sie fremden Spuren zum Tatort tragen, diese könnten die Untersuchungen erschweren oder sogar verfälschen.
Am Fundort steht der hagere Rechtsmediziner Dr. Erik von Straaten gebeugt über der Ermordeten. Als er die Kommissare erblickt, richtet er sich ächzend auf, den unteren Rücken mit den Händen stützend. Schleppend schlurft er auf sie zu.
„Guten Morgen die Herren. Ziemlich viel Blut. Eines kann ich schon sagen. Sie ist erstochen worden. Und zwar genau hier.“
Lohse rollt mit den Augen, murmelt. „Tolle Erkenntnis.“
Unbeirrt fährt van Straaten fort. „Diverse Stiche. Das Opfer ist noch nicht lange tot sein. Die Rigor mortis, Leichenstarre, ist noch nicht voll ausgebildet. Folglich dürfte der Todeszeitpunkt bei unter sechs Stunden liegen. Alles andere später.“
Fender begutachtet die Tote. Sie ist sehr jung. Das Gesicht bestialisch zugerichtet, kaum zu erkennen. Auch er schließt aus der Kleidung des Mordopfers Rückschlüsse auf das Geschlecht. Ein Kollege der Spurensicherung tritt auf ihn zu.
„Wir wären dann soweit hier fertig. Die Leiche könnte abtransportiert werden.“
„Okay, mir reicht der Anblick auch. Bringt sie ins Rechtsmedizinische Institut.“
Grüblerisch schaut Fender den Männern zu, wie sie den Leichnam in den Zinksarg betten. Er ermahnt sich, die Sache nicht zu nah an sich heranzulassen. Er neigt dazu, Probleme mit nach Hause zu nehmen, tadelt sich oft, zu empfindsam zu sein. Ein Kriminaler darf sich das nicht erlauben, will er nicht draufgehen. Abrupt wendet er sich Armin Lohse zu. „Was sagt der Leiter der Spusi?“
Der dröhnende Bass des Kollegen hört sich fehl am Platz an, lässt ihn innerlich zusammenzucken. „Nichts! Das heißt sie haben nichts Brauchbares. Ein paar Fingerabdrücke. Ob da viel bei raus kommt? Wohnen schließlich eine Menge Leute hier, ganz zu schweigen von den Passanten. Sind längst nicht fertig mit den Befragungen. Aber bisher nichts Außergewöhnliches.“
Fender seufzt. „Also das heißt mal wieder abwarten. Lass uns zurückfahren.“
Tumult hinter ihrem Rücken lässt sie herumfahren. Eine Frau wird von zwei anderen festgehalten. Schreiend wehrt sie sich dagegen. Rasch geht Fender auf sie zu. Er ahnt, wer sie ist, sieht das Wissen in ihren Augen. Warum taucht sie erst jetzt auf, wundert er sich. Der ganze Tumult hätte sie doch längst alarmieren müssen. Als er vor ihr steht, schlägt ihm eine Fahne entgegen, was seine Frage beantwortet. Er ergreift ihren Arm, führt sie ins Haus.
Lohse fragt einen der Umstehenden nach dem Namen der Frau. Nach einer gut kalkulierten Pause folgt er den beiden. Er will vermeiden das jetzt unweigerlich folgende Drama direkt mitzuerleben. Der Blick auf die Namensschilder schockiert ihn! Er muss in den vierten Stock. Altbau! Etliche Stufen mehr zu bewältigen! Die Wärme des Sommers scheint sich in dem engen stickigen Hausflur zu konzentrieren. Bevor er die Wohnung betritt, wischt er sich mit einem riesigen, graukarierten Opataschentuch den Schweiß von der Tür. Leises Weinen dringt an sein Ohr, untermalt von der fragenden, sanften Stimme des Kollegen. Fender macht das immer so gut, denkt er, ist viel einfühlsamer als er selbst.
„Liebe Frau Kroll, es tut mir außerordentlich leid, aber ich muss ihnen jetzt ein paar Fragen stellen. Wissen sie, wo ihre Tochter gestern gewesen ist?“
Unbeholfen wartet Lohse unter dem Türrahmen, erfasst das unaufgeräumte Wohnzimmer, hört die Frau mit schriller Stimme antworten. „Ich weiß es nicht!“ Das letzte Wort schreit sie fast.
„Bitte Frau Kroll, regen Sie sich nicht auf. Wir können Sie auch später befragen, wenn sie jetzt nicht dazu imstande sind. Aber je mehr, je eher wir etwas wissen, was uns weiter bringen könnte, desto schneller klären wir das Verbrechen auf.“
Sie weint erneut. „Ich war gestern abend nicht zuhause. Ich hatte eine Verabredung. Nele auch. Soviel ich weiß, wollte sie mit ihrer Freundin Jule los ziehen.“
„Jule. Und wie weiter? Wo wohnt sie? Wir müssten sie auch befragen.“
Schniefend schlurft sie zur Anrichte, kramt in einer Schublade nach ihrem Adressbuch. Nachdem sie Fender die gewünschte Adresse gegeben hat, fragt er, ob sie jemanden benachrichtigen sollen, der sich um sie kümmert. Sie schüttelt den Kopf, sagt, sie hätte niemanden.
Nicht wohl in ihrer Haut verlassen die Kommissare die Wohnung. Auf der Treppe kommt ihnen Frau Krüger entgegen. Fender bittet sie, sich um die Nachbarin zu kümmern, was sie gerne tun würde. Das hätte sie ohnehin getan, das wäre doch selbstverständlich.
Die nächste unangenehme Befragung, die von Jule, steht ihnen bevor. Aber was ist in ihrem Beruf schon angenehm, fragt sich Fender.
Acht Häuser weiter bietet sich Lohse an, diesmal die bedauerliche Nachricht zu überbringen. In dem Wissen, wie unsensibel sein Kollege in solchen Angelegenheiten ist, winkt Fender ab. Erleichtert grinst ihn dieser an. So was ist wirklich nicht sein Ding.
Sie klingeln an der Tür, Lohse einen Sicherheitsschritt hinter Fender. Ein verschlafenes Mädchen mit verwuschelten blondem Haar öffnet. Auch hier schlägt ihnen übler Mundgeruch entgegen. „Eh, was soll das! Es ist fast Nacht.“
Sie stellen sich vor, Fender sagt. „Entschuldigung, aber wir müssen ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen.“
Das Mädchen schaut sie erschrocken an, dreht sich mit bleichem Gesicht um und läuft zu einer Tür.
„Was ist los! Warum reißt du die Tür so auf. Spinnst du!“ Hören sie eine weibliche Stimme entrüstet rufen.
„Gott sein Dank! Du bist zu Hause!“
„Warum soll ich nicht zuhause sein!“
„Ich dachte ja nur. Weil, draußen stehen zwei Polizisten mit einer traurigen Nachricht.“
„Was!“ Ruft die unsichtbare Stimme erschrocken. Gleich darauf taucht die Stimme in der Tür auf. „Aber bitte meinen Herren, kommen sie doch herein. Entschuldigen sie mein Aussehen, aber gestern ist es spät geworden.“ Während sie ihren Morgenmantel schließt, führt sie die Kommissare ins Wohnzimmer.
Mit gedämpfter, mitfühlender Stimme versucht Fender, das Geschehen schonend mitzuteilen. Als wenn so eine Mitteilung jemals schonend sein könnte. Die Augen der ihnen gegenüber sitzenden Frauen weiten sich entsetzt. „Gut, dass es nicht Jule ist,“ denkt die Mutter, schämt sich gleich darauf, weil sie das gedacht hattet. Zu laut, mit leicht euphorischer Stimme, sagt sie. „Ihr wart doch gestern zusammen unterwegs Jule. War da irgendetwas?“
Fender, der gerade selbst diese Fragen stellen wollte, blickt das Mädchen fragend an. Lohse zückt sein Notizblock, bereit Wichtiges zu notieren.
Stockend berichtet Jule von dem Abend, von einem dunkelhäutigen älteren Mann, der auffällig oft mit Nele tanzte und von dem Gefühl verfolgt zu werden. Doch, jetzt sei sie sicher, da war jemand. Ein paarmal sahen sie einen Schatten. Nein, mehr erkannten sie nicht, da es zu dunkel war. Zwischendurch stockt sie. Immer wieder muss sie die unaufhörlich fließenden Tränen wegwischen.
„Hätte ich bloß darauf bestanden, dass Nele bei uns schläft. Ich hatte so ein komisches Gefühl.“ Ihr Weinen wird stärker. Tröstend nimmt die Mutter sie in den Arm und streicht ihr beruhigend über den Rücken. Ihre Augen schauen Fender bittend an.
„Okay, das reicht dann erst mal für heute. Vielen Dank! Wenn ihnen noch etwas einfällt, was uns helfen könnte, rufen sie bitte an.“
Er gibt ihr beim Aufstehen seine Visitenkarte.
Draußen, im Treppenhaus argwöhnt Lohse. „Glaubst du, da ist etwas dran mit diesem mysteriösen Schatten?“
„Hmm...,ich weiß nicht.“
„Junge Mädchen haben manchmal die erstaunlichsten Fantasien.“
„Aber andererseits..... Auf alle Fälle sollten wir es, nicht außer Acht lassen.“