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Kapitel 4 Die Bank

Die Angebote interessieren ihn nicht wirklich. Verdrossen wirft der distinguiert aussehende Mann den Auktionskatalog für Antiquitäten auf den Schreibtisch. Er will nur eines, dem Arbeitszimmer entfliehen und zieht erneut seine goldene Taschenuhr aus der Westentasche. Diesmal ist er zufrieden mit der Chronometeranzeige. Seine Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln. Mittagspause! Obwohl er als Chef, er Pause machen könnte, wann er wollte, aber er hat so seine Prinzipien. Was würde Mutter sagen! Beschwingt klappt er den Deckel der alten Uhr zu, nicht ohne kurz über die kunstvollen Intarsien zu streichen. Heiter durchschreitet er die Verkaufsräume seines Antiquitätengeschäftes, während er die Uhr zurücksteckt. Beim Betrachten der kostbaren Errungenschaften glänzen seine Augen vor Stolz. Er liebt den Laden, mit den exquisiten Antiquitäten. Manchmal jedoch fühlt er sich eingeengt. Dann erträgt er die Räumlichkeiten nicht, muss raus, Weite und Luft spüren. Vor der Tür des Ladengeschäftes, das in der hannoverschen Altstadt liegt, hält er für einen Moment geschockt inne. Die Hitze prallt ihm entgegen, als liefe er gegen eine Feuerwand. Geblendet schließt er die Augen. Er will das Jackett abzulegen, als die Geisterstimme seiner Mutter ertönt. Ein Mann, der auf sich hält, muss stets ordentlich, korrekt aussehen. Von Kindheit trichterte sie ihn das an ein. Als wäre diese Erinnerung eine Aufforderung liefert ihm sein Gehirn jetzt unaufgefordert Bilder aus der Vergangenheit: Es kommen Gäste. Mama legt ihm Anzug und Krawatte hin. Er muss sich fein machen. Das gefällt ihn nicht, andererseits ist er glücklich, weil sie ihn beachtet. Er gibt den wohlerzogenen Sohn, begrüßt die Besucher, gibt jeden die Hand, dazu eine leichte Verbeugung, wie Mama es ihm beibrachte. Das liebt sie. Zufrieden steht sie neben ihm. Sieht jemand zu ihnen hin, legt sie liebevoll ihre Hand auf seinen Kopf oder streicht ihm sanft über die Wange. Obwohl er weiß, warum sie das tut, genießt er es. Mama mag es, wenn die Leute über den großen Jungen staunen, den man ihr gar nicht ansieht, manche sagen sogar, er stünde ihr gut! Seine wunderschöne Mama strahlt, nimmt ihn in den Arm. Dann wünscht er, sie hätten öfter Gäste.

Die Hitze lässt die Luft vor seinen Augen flimmern. Er stöhnt. Die tropischen Temperaturen könnte er ertragen, wären sie nur nicht so schweißtreibend. Er liebt den Sommer, weil er dann die Mittagspause ins Freie verlegen kann.

In letzter Zeit bevorzugte er den Welfengarten. Diese Parkanlage, im Stil englischer Landschaftsgärten angelegt, grenzt direkt hinter dem Hauptgebäude der Leibniz-Universität. Mit dem Rad ist er schnell da. Auf der Stelle steuert er die Sitzbank unter einer Kastanie an, die er als die seine betrachtet.

Im Begriff Platz sich zu setzen, bemerkt er die großzügigen Ausscheidungen, die Vögel dort hinterlassen hatten. Er unterdrückt den aufkommenden Ärger. Bestimmt taten sie das nicht, weil sie wollten, sondern weil sie es mussten. Dieser Gedanke lässt ihn schmunzeln. Achselzuckend nestelt er ein Taschentuch aus einer Packung Papiertaschentücher. Prüfend wischt er über die Sitzfläche, ob die Hinterlassenschaften auch wirklich trocken sind. Das fehlte noch, dass er sich schmutzig macht. Undenkbar! Mutter mag überhaupt nicht, wenn er nicht sauber ist. Er leidet, wenn sie böse auf ihn ist. Und Mutter wird schnell böse. Anfangs verbringt er seine Pause im Park, weil er hier superentspannt. Im Grünen zu sitzen ist wesentlich angenehmer als im düsteren Büro. Altbau eben! Obwohl als Besitzer könnte er kommen und gehen, wie er möchte. Aber das widerstrebt ihm. Als Chef musst du mit gutem Beispiel vorangehen, hätte Mutter gesagt. Oft liest er in der Tageszeitung und isst nebenbei ein belegtes Brötchen, manchmal Obst. Meistens jedoch schaut er nur sinnend in das Geäst der Bäume und lässt seine Gedanken schweifen. Er fantasiert, was sich wohl schon alles unter ihnen abgespielt haben mag. Wie das war, als die gehobene Schicht hier flanierte. Im Park wachsen die unterschiedlichsten Bäumen, mächtige Kastanien, Buchen, Eichen, Eschen, Ahornbäumen und Platanen. Unverwüstlich erscheinen sie ihm und auf irgendeine Weise hoheitsvoll. Im Sommer spenden sie wohltuenden Schatten, den zurzeit alle suchen. Mitunter gelingt es der Sonne, durch das Blätterdach zu linsen. Dann malt sie lichte Kringel und Streifen auf die Wege. Im Herbst begeistert ihn das bunte Laub der Bäume. Er ist jedes Mal erstaunt, wie viele verschiedenen Farbtöne die Natur hervorbringt. Die verschiedenartigen Grüntöne des Blätterwerks, das Lichterspiel, wenn die Sonnenstrahlen auf das Laubwerk tanzten, fasziniert ihn. Gern beobachtet er auch die Gestalten auf den Rasenflächen, die die Stadtbewohner, oft Studenten, als Liegewiesen nutzen. Obwohl er sich von ihnen ausgeschlossen wähnt, interessieren ihn die Menschen. Oft grübelt er und versucht zu ergründen, was sie von ihm unterscheidet? Was ist so anders an ihm, dass sie ihn meiden? Erst nachdem er ein paar Mal hier gesessen hatte, nimmt er die zahlreichen Frauen, die an ihm vorbeigehen, bewusst zur Kenntnis. Dermaßen geballt treten sie sonst nur beim Shoppen auf. Die meisten besuchen wahrscheinlich die Uni, gleich um sie Ecke vermutet er. Mehr und mehr findet er Gefallen daran, sie zu betrachten. Mittlerweile kommt er ausschließlich ihretwegen. Bereits morgens, nach dem Erwachen, gilt sein erster Gedanke der Mittagspause und seinen Frauen. Er muss dann noch eine Weile liegen bleiben, bis er zu seiner üblichen Ruhe und Gelassenheit zurückgefunden hat. Die aufgeschlagene Tageszeitung auf dem Schoß sieht er in jene Richtung aus der sie kommen müssten. Ungeduldig suchen seine Augen den Weg ab. Eine dünne Schweißschicht, die nicht von der Bullenhitze herrührt, bedeckt seine Stirn. Die Luft ist schwer und träge. Seit Tagen ist es bereits unerträglich heiß. Zur Hitze kommt die extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Es ist kaum zum Aushalten. Unangenehm klebt das Hemd auf seiner Haut. Aber er harrt aus, so wie jeden Tag. Jetzt schreiten sie auf ihn zu! Bestimmt kommen sie meinetwegen hier vorbei. Sie wissen, dass ich auf sie warte und wollen, dass ich sie bewundere, sehe, wie schön sie sind! Die Mädchen lachen, kichern und tuscheln. Stundenlang hätte er sie beobachten, sich an ihnen erfreuen können. Zu schnell sind sie an ihm vorbei. Diese berauschenden Augenblicke sind wie immer zu kurz! Er kommt wieder. Morgen!

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