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3.2 Die Glücksspielstörung als Form einer Verhaltenssucht

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Substanzgebundene Abhängigkeitserkrankungen zeichnen sich auch durch eine bestimmte neurochemische Wirkung aus, welche die konsumierte psychoaktive Substanz entfaltet. Jene Substanzwirkung kann bei dem Konsumierenden etwa erregende oder auch sedierende Effekte ausüben, in jedem Fall aber führt die chemische Zusammensetzung der Droge zu einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Veränderung im Erleben und der Wahrnehmung. Natürlich stellt dies einen Unterschied zur Gruppe der Verhaltenssüchte dar, die nicht ohne Grund auch als substanzungebundene Abhängigkeitserkrankungen bezeichnet werden.

Im Falle der Verhaltenssucht fällt die neurochemische Wirkung der Droge weg, die unmittelbare zumindest, denn durch die Verhaltensausführung wird sehr wohl auch eine Veränderung des psychischen Zustands des Handelnden erzielt. Für diese Annahme sprechen Forschungsbefunde aus zahlreichen Teildisziplinen der Psychologie.

Auch wenn gerade die Kritiker des Verhaltenssuchtkonzepts dies gerne außen vor lassen, treten Verhaltenssüchte nicht im Zusammenhang mit »allen möglichen« Verhaltensweisen auf. Man denke an die ewig wiederholte zynische Allegorie von der »Lesesucht«. Präzise ausgedrückt: Die Anzahl an Verhaltensweisen, die mit für ein Suchtverhalten charakteristischen Symptomen wie Kontrollverlust, Toleranzentwicklung und Entzugsgeschehen einhergehen, ist durchaus überschaubar. Die größte Evidenz existiert für die Teilnahme an Glücksspielen sowie die Nutzung von Computerspielen. Aus diesem Grunde sind es eben die Glücksspielstörung sowie die Störung durch Computerspielen, die im DSM-5 (APA 2013) bzw. bald auch im ICD-11 (WHO 2018) als eigenständige Störungsbilder geführt werden. Bislang zwar nicht als eigenständiges Störungsbild anerkannt, jedoch ebenfalls immer besser durch empirische Fakten und klinische Beschreibungen untermauert sind die Kaufsucht, die Sexsucht sowie, mit Abstrichen, die Sportsucht (Bilke-Hentsch et al. 2014; Müller et al. 2017).

Was aber führt genau dazu, dass bestimmte Verhaltensweisen außer Kontrolle geraten können? Diese sehr wichtige Frage ist unglücklicherweise auch eine, die sich derzeit noch nicht gut beantworten lässt.

Wir wissen, dass bereits auf motivationaler Ebene Unterschiede zu verzeichnen sind zwischen Patienten, die unter einer Verhaltenssucht leiden, und solchen, die das Verhalten zwar auch ausführen, jedoch kontrolliert und nicht exzessiv. Am Beispiel Glücksspielstörung konnten diese Unterschiede in der Nutzungsmotivation auch zwischen Patienten und professionell Spielenden belegt werden. Weinstock et al. (2013) verglichen Patienten, welche die Kriterien für eine Glücksspielstörung erfüllten, mit einer Gruppe professioneller Spieler, die über die Glücksspielteilnahme (hauptsächlich das Kartenspiel) die Hälfte ihres Durchschnittsjahreseinkommens erspielte und mindestens zweimal pro Monat am Glücksspiel teilnahmen. Bei professionell Spielenden lag das Hauptnutzungsmotiv ganz pragmatisch im Geldverdienen. Demgegenüber stand bei der Patientengruppe die Regulation aversiver emotionaler Zustände sowie das Erzeugen eines Gefühls der Erregung im Vordergrund.

Neurochemisch scheint vor allem dem Neurotransmitter Dopamin Bedeutung beigemessen werden zu müssen. Dass sich bestimmte Verhaltensweisen, wie etwa Essen, Sex, aber auch Sport sowie das Spielen von Computerspielen auf die dopaminerge Transmission wirken, konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden (Koepp et al. 1998; Wang et al. 2011; Hull et al. 2004). Obwohl Dopamin ein wichtiger vermittelnder Botenstoff bei der Entstehung oder der Aufrechterhaltung von Suchtverhalten darstellt, ist er nicht alleinverantwortlich für das komplexe biopsychosoziale Suchtgeschehen.

Grundsätzlich scheint dem Prinzip der Immersion und des Flows eine große Bedeutung innezuwohnen. Unter Immersion versteht man das Eintauchen in ein bestimmtes Medium bzw. ein Erlebnis. Im Falle der Glücksspielstörung äußert sich Immersion dahingehend, dass Patientinnen und Patienten das Gefühl haben, völlig in der Spielteilnahme aufzugehen. »Die Welt besteht einzig und allein aus mir und dem Automaten« ist beispielsweise ein typischer Satz eines Betroffenen, der das Phänomen der Immersion umschreibt.

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