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Fallbeispiel 1: Patientin, 32 Jahre, Glücksspielstörung in Bezug auf Geldspielautomaten

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In einer Fachberatungsstelle mit einem Schwerpunkt auf Verhaltenssüchte stellt sich eine 32-jährige Angestellte vor. Die Mutter einer siebenjährigen Tochter berichtet, dass sie vor neun Jahren bereits eine stationäre Rehabilitation wegen einer Automatensucht absolviert habe. Damals habe sie mitten in ihrer Ausbildung zur Köchin gesteckt und sei nach der Arbeit mit anderen Auszubildenden des Restaurants in Spielotheken gegangen, um wenigstens nach Feierabend »noch etwas Spaß und Ablenkung« zu haben. Die Gruppe hätte das als harmloses Vergnügen erlebt, sie hätten nur um kleine Beträge gespielt und sich über die Wutausbrüche und die Versunkenheit anderer Gäste, die »stur vor ihren Automaten hockten« amüsiert.

Während einer der ersten Besuche habe die Patientin direkt Glück gehabt und den Betrag von 3.000 Euro erspielt, eine unverhoffte Aufbesserung ihres Auszubildendengehalts. Und nebenbei wären andere Gäste auf ihren Gewinn aufmerksam geworden, hätten anerkennende Kommentare gemacht und ihr ein »Naturtalent« bescheinigt. Sogar eine Cola sei ihr damals spendiert worden. So habe es langsam angefangen, dass die Patienten nicht mehr nur in Begleitung ihrer Gruppe, sondern immer häufiger auch alleine in die Spielothek gegangen sei. Sie habe bemerkt, dass sie immer ungeduldiger wurde, wenn Gewinne ausblieben, dass sie sehr wohl registriert habe, dass sie mehr Geld in den Automaten warf, als vernünftig war. Jeder neuerliche Geldverlust habe sie frustriert, gar in Panik versetzt. Sie habe sich schwindlig gefühlt, »den Kopf verloren« und wenn ihr Bargeld aufgebraucht gewesen sei, habe sie am Geldautomaten nebenan neues Geld abgehoben. Nach solchen Abenden habe sie sich am nächsten Morgen schuldig gefühlt, regelrecht elend und sich geschworen, nie mehr eine Spielothek zu betreten, zumindest nicht alleine. Doch ihre Gedanken seien schon während der Arbeitszeit immer häufiger in Richtung des Automaten abgeschweift, fast automatisch, beinahe ohne ihr Zutun. Sie habe sich an ihre Gewinne erinnert, an das wohlige Gefühl, das sie dann empfand, daran, wie schön es sei, mehr Geld als üblich zu haben, an die Bewunderung der Menschen um sie herum, an das Gefühl, sich wie eine Königin zu fühlen, wenn man mit dem Gewinn die Spielothek verließ. Dass sie schon lange nicht mehr mit einem Gewinn das Etablissement verlassen hatte, wurde ihr erst später bewusst. Wenn sie etwas gewann, erschien ihr dieser Gewinn nie genug, sondern eher als Einstieg, um »noch mehr rauszuholen«.

Nachdem sie sich wenige Monate später verliebt hatte, wurden die Besuche in der Spielothek zunächst seltener. Mit den ersten Konflikten in der noch jungen Partnerschaft bemerkte die Patientin jedoch zusehends, wie ihr das Spiel fehlte, wie gut sie vor dem Automaten »abschalten, allen Stress wegdrücken« konnte. Sie begann wieder, regelmäßig die Spielothek aufzusuchen, heimlich, sie wollte nicht, dass ihr Partner etwas davon erfuhr, sie wollte generell nicht, dass es jemand wusste. Ihr Partner wurde damals irgendwann misstrauisch, unterstellte ihr eine Affäre. Dies gab den Ausschlag. Die Patientin fühlte sich mit dem Rücken zur Wand und erzählte ihrem Partner alles. Als große Erleichterung erinnere sie dies. Da dieser selbst vor Jahren ein Alkoholproblem gehabt hatte, verstand er die Situation und unterstützte die Patientin bei ihrem Weg in die Behandlung. Die stationäre Rehabilitation in einer Fachklinik habe der Patientin damals immens geholfen.

Nach der Entlassung und der sich anschließenden ambulanten Nachsorge sei sie fast acht Jahre lang abstinent geblieben. Sie sei Mutter einer Tochter geworden und habe eine neue Ausbildung abgeschlossen. Vor zwei Jahren sei ihr Partner, mittlerweile ihr Verlobter und Vater der Tochter, rückfällig geworden, habe bereits morgens Alkohol getrunken und sei gewalttätig geworden. Die Patientin habe nicht gewusst, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Sie sei verzweifelt gewesen, habe sich allein gelassen gefühlt und habe sich daran erinnert, wie gut ihr früher, manchmal zumindest, in belastenden Situationen das Spiel am Automaten getan habe.

Als sie nach Jahren erstmalig wieder eine Spielothek betrat, habe sie sich selbstsicher gefühlt, sicher, nicht wieder in die Sucht abzugleiten. Sie habe sich an einen der kleinen Bistrotische gesetzt und lediglich einen Kaffee getrunken, einzig die Atmosphäre habe sie in sich einsaugen wollen. Als sie beobachtete, wie ein anderer Gast einen größeren Gewinn einstrich, begleitet von dem altbekannten Klirren und Surren des Automaten, sei dies wie ein »Adrenalinrausch« für sie gewesen. All die Erinnerungen an frühere Zeiten hätten mit einem Mal ihr Bewusstsein geflutet, wohlige Gefühle mit sich gebracht, ein Versprechen nach einem anderen, einem besseren Leben, nach Ruhe und Frieden.

Mehrere Monate später sei sie wieder an genau dem Punkt angekommen gewesen, an dem sie vor fast einem Jahrzehnt schon gewesen war. Dass sie das nötige Geld für den Schulausflug ihrer Tochter nicht habe aufbringen können, dass ihnen zu Hause der Strom fast abgestellt worden war, weil sie die Rechnungen nicht begleichen konnte, dass sie sich vor ihrer Tochter so sehr schämte, waren dieses Mal die Gründe, sich in der Beratungsstelle vorzustellen.

Glücksspielstörung

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