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Biologische Radikale

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Dem menschheitserhaltenden biologischen Radikal schlechthin begegnen wir in Hannelore Valencaks Roman „Die Höhlen Noahs“. Nach einer vernichtenden Katastrophe ist der alte Anführer einer Gruppe zum Antinatalisten geworden und sieht mit Sorge, wie „die Natur“ unter den Jüngeren ihren auf Erneuerung drängenden Lauf nimmt:

„Der Alte schloss die Augen vor der Sonne, die ihm auf einmal zuviel wurde. Was konnte er tun? Ließ sich diese innigste und natürlichste Bindung zwischen Mann und Frau im Keim ersticken? Er hatte sein Äußerstes getan. Die Kinder hatten wie Bruder und Schwester miteinander gelebt und waren in einer seligen Unschuld des Leibes groß geworden. Er hatte sich lange mit der Hoffnung beruhigt, sie würden nicht zur Liebe erwachen, wenn niemand sie ihnen vorlebte. Waren nicht Menschen in allem darauf angewiesen, dass man es sie lehrte: im Laufen, im Sprechen und in den Möglichkeiten, sich Nahrung zu verschaffen? Gab es in diesen wurzellosen Geschöpfen noch Triebe, stark genug, um von selber durchzuschlagen?“ (Valencak, Die Höhlen Noahs, S. 82)

Eine Antwort auf diese von Valencaks aufgeworfene Frage bietet Hans Jonas in seinem „Prinzip Verantwortung“, wo er eine Schulddissipation anstrebt: „Ein Element unpersönlicher Schuld wohnt der Seinsverursachung (der radikalsten aller Kausalitäten eines Subjekts) bei und durchdringt alle persönliche Verantwortung gegenüber ihrem vorher nicht befragten Objekt. Mitschuldig sind alle, denn die Tat der Erzeuger war generisch und nicht von ihnen erdacht (vielleicht nicht einmal gewußt), und die Anklage der Kinder und Enkel wegen versäumter Verantwortung – die umfassendste und praktisch vergeblichste alle Anklagen – kann jeden jetzt Lebenden treffen. Ebenso auch der Dank.“ (S. 241 f)

Es scheint, als würde Jonas – da er die Fortzeugung als einen generischen Akt darstellt, in dem die biologische Art sich gleichsam durch das Individuum hindurch erhält – eine entschuldigendes Indienstgenommensein des Einzelnen (Anthropodizee) durch biologische Radikale versuchen. Bei biologischen Radikalen handelt es sich um erblich-angeborene Bereitschaften zum Agieren, Reagieren und Empfinden. Biologische Radikale können mittels Erziehung gefördert oder zurückgedrängt, nicht aber völlig getilgt werden. Es ist einigermaßen verblüffend und das Konzept der Menschenwürde unterminierend, wenn Jonas, der Philosoph der Verantwortung, das Prinzip Verantwortung unterminiert, um an diesem Prinzip festhalten zu können: Er weiß, dass es verantwortungslos ist, Kinder in eine Welt mit Leidübergewicht und eine ungewisse Zukunft hineinzustellen. Um die Fortzeugung gleichwohl nicht verantwortungslos nennen zu müssen, redet er von „unpersönlicher Schuld“ (des von biologischen Radikalen erfassten) des sich fortpflanzenden Individuums. Wo aber bleibt hier der freie Wille zum Neinsagenkönnen, ohne den alle Ethik doch bodenlos wird?

Ganz andere Ziele als der die Verantwortungslosigkeit absolutierende Jonas setzt hier Rudolf Bilz, der den Begriff des biologischen Radikals prägte: „Es sollte für den Menschen wichtig sein, diese teilweise recht undurchsichtigen Zusammenhänge klar zu erfassen, da sie unserer Selbsterkenntnis zu dienen geeignet sind und nicht zuletzt der – Menschenwürde. Die höchste Aufgabe, die uns gestellt ist, glaube ich darin sehen zu dürfen, dass wir mehr und mehr, von Generation zu Generation, vom hominiden zum humanen Wesen werden.“ (Bilz, Wie frei ist der Mensch?, S. 176). Dies aber beinhaltet, den bioaxionomen Imperativ des Gattungserhalts mit eben der Radikalität zu hinterfragen, wie er biologisch radikal ist.

Schulddissipation, Terror der Biologie, Urschuld

Antinatalismus

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