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Brüderschaft des Todes

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Nietzsche scheint zu ahnen, dass ein allgemeines Innewerden der ungeheuren Sterbenszumutung, die alle Eltern ihren Kindern auferlegen, eine Brüderschaft des Todes konstituieren würde, die dazu fähig wäre, gegen weitere Auferlegungen des Sterbensdiktats (Existenzgründungen) zu rebellieren. So ist er als Axiopath, der dem Höchstwert eines um Macht ringenden Lebens huldigt, dankbar dafür, dass Menschen wesentlich todesvergessen dahinleben und gleichsam naturwüchsig immerfort neue Menschen zum Quälen und Gequältwerden, Leben und Sterben, verurteilen:

„Der Gedanke an den Tod. – Es macht mir ein melancholisches Glück, mitten in diesem Gewirr der Gäßchen, der Bedürfnisse, der Stimmen zu leben: wieviel Genießen, Ungeduld, Begehren, wieviel durstiges Leben und Trunkenheit des Lebens kommt da jeden Augenblick an den Tag! Und doch wird es für alle diese Lärmenden, Lebenden, Lebensdurstigen bald so stille sein! Wie steht hinter jedem sein Schatten, sein dunkler Weggefährte! Es ist immer wie im letzten Augenblick vor der Abfahrt eines Auswandererschiffes: man hat einander mehr zu sagen als je, die Stunde drängt, der Ozean und sein ödes Schweigen wartet ungeduldig hinter alle dem Lärme – so begierig, so sicher seiner Beute! Und alle, alle meinen, das Bisher sei nichts oder wenig, die nahe Zukunft sei alles: und daher diese Hast, dies Geschrei, dieses Sich-Übertäuben und Sich-Übervorteilen! Jeder will der erste in dieser Zukunft sein – und doch ist Tod und Totenstille das einzig Sichere und das allen Gemeinsame dieser Zukunft! Wie seltsam, daß diese einzige Sicherheit und Gemeinsamkeit fast gar nichts über die Menschen vermag und daß sie am Weitesten davon entfernt sind, sich als die Brüderschaft des Todes zu fühlen! Es macht mich glücklich zu sehen, daß die Menschen den Gedanken an den Tod durchaus nicht denken wollen! Ich möchte gern etwas dazu tun, ihnen den Gedanken an das Leben noch hundertmal denkenswerther zu machen.“ (Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Aphorismus 278, S. 523) Thanatalität

Mit Nietzsche wäre dem anzufügen, dass Menschen sich nicht nur nicht als Brüderschaft des Todes wahrnehmen – sie sehen sich ebenso wenig als Brüderschaft unverschuldet auf elterliches Geheiß Leidender, deren Vorgeschichte und Verdammungsurteil Nietzsche paläoanthropologisch festmacht:

„Leiden-sehn tut wohl, Leiden-machen noch wohler – das ist ein harter Satz, aber ein alter mächtiger menschlich-allzumenschlicher Hauptsatz, den übrigens vielleicht auch schon die Affen unterschreiben würden: denn man erzählt, daß sie im Ausdenken von bizarren Grausamkeiten{34} den Menschen bereits reichlich ankündigen und gleichsam »vorspielen«. Ohne Grausamkeit kein Fest: so lehrt es die älteste, längste Geschichte des Menschen – und auch an der Strafe ist so viel Festliches!“ (Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, Werke in 2 Bd., Bd. 2, S. 808) Als Axiopath des Machtlebens macht sich Nietzsche hier zum Komplizen der sich für ihn bereits im Vormenschlichen abzeichnenden Grausamkeiten.

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