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Dizee-Transformation (von der Theodizee zur Anthropodizeepflicht)
ОглавлениеUnter Dizee-Transformation verstehen wir eine Rechtfertigungs-Verschiebung: einen Übergang von der Theodizee zur Anthropodizeepflicht. Obwohl in der Epoche der Aufklärung nicht zuletzt über die Unhaltbarkeit von Theodizeen aufgeklärt wurde, hielt man aufs Ganze gesehen doch an einem Schöpfer fest. Selbst Voltaire hielt den Atheismus für gesellschaftsschädlich und formulierte den Satz, wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden (Gottesimplosion). Und auch Kant hätte aus sittlichen Erwägungen heraus gern an Gott festgehalten, konnte in ihm aufgrund seiner metaphysikkritischen Philosophie aber nur mehr ein Postulat der Vernunft sehen, das nichts über sein tatsächliches Existieren besagt. Im Folgenden soll zum einen nachvollzogen werden, wie das Durchdenken der Theodizeefrage „Wie konnte ein guter und allmächtiger Gott die den Menschen betreffenden Übel in der Welt zulassen?“ im Denken Kants in einer von ihm selbst unausgesprochenen Anthropodizeepflicht kulminiert.
In einer zweiten Betrachtung zur Dizee-Transformation zeichnen wir exemplarisch nach, wie in manchen literarischen Werken auf das Scheitern der Theodizee reagiert wurde, in denen dem nicht länger guten Gott verschiedentlich negative Attribute zugeschrieben wurden, die mit zurückgehendem Glauben an Gott an den menschenschaffenden Menschen (Eltern) und somit ebenfalls eine Anthropodizeepflicht konstituieren. In der Literatur wurden aus dem Scheitern der Theodizee resultierende negative Attribute Gottes in Gestalt der Mythologeme vom „gelangweilten“, „bösen“ oder gar „sadistischen“ Schöpfer geltend gemacht und zur Darstellung gebracht{53}, die auf all jene natalistisch aufgeklärten (Aufklärung, nativistische) Eltern zurückfallen, die der jeder Zeugung impliziten Anthropodizeepflicht nicht nachgekommen sind.