Читать книгу Jesus war kein Europäer - Kenneth E. Bailey - Страница 51
Die sechste Seligpreisung
ОглавлениеGlückselig, die reinen Herzens sind,
denn sie werden Gott schauen.
Der Schwerpunkt, den Jesus hier setzt, ist in seiner Welt bemerkenswert. In den Psalmen ist tatsächlich davon die Rede, dass wir innerliche Reinheit brauchen – ein reines Herz. In Psalm 24,3-4 heißt es:
Wer darf hinaufsteigen auf den Berg des HERRN
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
Der unschuldige Hände und ein reines Herz hat […]
Äußerliche Reinheit (reine Hände) reicht nicht aus; sie muss von innerlicher Reinheit (reines Herz) begleitet sein. Wie hier zu sehen ist, konnte Jesus in der Tradition auf beide Aspekte von Reinheit zurückgreifen. Die sich entwickelnde rabbinische Tradition maß allerdings dem ersteren einen deutlich höheren Stellenwert bei. In der Mischna gibt es einen ganzen Abschnitt zu diesem Thema, der mit „Toharot“ (Reinheiten) überschrieben ist. Er erstreckt sich über circa zweihundert Seiten und umfasst zwölf Traktate.84 Hier kommt auch der große Rabbi Hillel zu Wort, der eine Generation vor Jesus lebte. Diese ausführliche Diskussion über Reinheit war offenbar im ersten Jahrhundert immer noch im Gange. Es gibt Abhandlungen über Gefäße, Zelte, Tauchbecken und Hände, aber nicht über Herzen. Es werden drei Stufen von Unreinheit erörtert, und Hände sind immer auf der zweiten und dritten Stufe. In diesem Fall übt Jesus keine Kritik an den sich entwickelnden Gesetzen zur zeremoniellen Reinheit, sondern trifft die mutige Entscheidung, sein gesamtes Augenmerk auf die Reinheit des Herzens zu legen. Was jedoch ist mit dem Herzen gemeint?
Søren Kierkegaard, der große dänische Philosoph und Theologe des 19. Jahrhunderts, ist bekannt für seine Aussage: „Die Reinheit des Herzens ist, Eines zu wollen.“ Er erkannte, dass hinter dem menschlichen Verhalten oft eine Vielzahl an Beweggründen liegt. Die „reinen Herzens“ sind, bekommen, was sie sehen. Sie haben nur einen Beweggrund für ihr Handeln und verfolgen keine Hintergedanken.
Doch was genau ist das „Herz“ in der biblischen Literatur? Die moderne westliche Kultur begrenzt das Wort Herz auf die Gefühle. Doch im hebräischen Denken umfasste das Herz das gesamte Innenleben eines Menschen. Gefühle, Verstand und Wille gehörten alle zum „Herzen“.85 Die glücklich Gepriesenen zeichnen sich durch Reinheit in allen drei Aspekten ihrer inneren Welt aus. Diese Reinheit öffnet den Weg zu einer Transparenz, die als Herzensreinheit bezeichnet werden kann.
Doch wie kommt es, dass sie „Gott schauen“ werden? Dieser Ausdruck hat etwas mit der Kenntnis Gottes oder einer inneren Sicht von Gott zu tun und nicht mit körperlichem Sehen. In Johannes 1,18 heißt es: „Niemand hat Gott jemals gesehen.“ Doch Gott zu kennen und eine Vorstellung von ihm zu haben, ist ein Vorrecht, das den Engeln vorbehalten ist – und denen, die ein reines Herz haben.