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Gebetsstil und -sprache
ОглавлениеJuden wussten, wie man betet, und die frommen – wie Daniel (Dan 6,11) – beteten dreimal täglich: bei Sonnenaufgang, um drei Uhr nachmittags und schließlich bei Sonnenuntergang. Diese Praxis war wahrscheinlich schon lange vor Jesu Zeit weit verbreitet. Doch nirgendwo in den Evangelien schreibt Jesus besondere Zeiten für das tägliche Gebet vor. Das Fehlen von Gebetszeiten ist die erste Veränderung, die an der von Jesus empfohlenen Art zu beten auffällt.
Formal begann das tägliche jüdische Gebet mit 5. Mose 6,4-5, das mit den Worten eröffnet: „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig“ (EÜ). Dann folgte eine Reihe von achtzehn Segenssprüchen (daher auch der Name „Achtzehngebet“), denen später noch ein neunzehnter hinzugefügt wurde, die Amida (Stehen) genannt wurden, weil sie stehend vorgetragen wurden. Häufig bezeichnet man diese Segenssprüche auch einfach als Tefilla (Gebet). Als Jesus auf dieser Erde lebte, war es in irgendeiner Form in Gebrauch. Noch heute wird es in Synagogengottesdiensten gebetet.89
Zwischen diesen Segenssprüchen und dem Vaterunser gibt es wichtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Beispielsweise erscheint eine Bitte um das tägliche Brot etwa an der gleichen Stelle in der Mitte der Tefilla und des Vaterunsers. Einige einleitende Formulierungen sind ebenfalls ähnlich. Beide Gebete sprechen von den Bedürfnissen der Gegenwart und beide erwähnen das kommende Reich Gottes. In beiden tauchen zum Teil die gleichen Reime und Rhythmen auf. Die Doxologien überschneiden sich. Und schließlich sind beide sowohl für das Gebet des Einzelnen als auch der Gemeinschaft gedacht. Unterschiede werden im weiteren Verlauf betrachtet werden.