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Die Einleitung zum Vaterunser

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Die erste Bitte im Vaterunser leuchtet auf wie der erste Blitz eines Sommergewitters.

Unser Vater, der ist im Himmel,

lass geheiligt werden deinen Namen. [eigene Übersetzung]

Die oben angedeutete Wortstellung erhält den Satzfluss der semitischen Sprache, wie sie im griechischen Grundtext nachempfunden ist und so auch in die drei syrischen Versionen des Evangeliums übersetzt wurde.

Die Tefilla ist in hebräischer Sprache verfasst. Heute herrscht in Fachkreisen der Konsens, dass das ursprüngliche Vaterunser mit dem aramäischen Wort abba begann. Daher können wir davon ausgehen, dass Jesus seine Jünger lehrte, in der Alltagssprache Aramäisch zu beten anstatt im klassischen Hebräisch der geschriebenen Texte.90 Der aramäischsprachige Jude des ersten Jahrhunderts war es gewohnt, seine Gebete auf Hebräisch zu rezitieren, nicht auf Aramäisch. In ähnlicher Weise rezitieren muslimische Gläubige ihre traditionellen Gebete immer im klassischen Arabisch des siebten Jahrhunderts. Im Islam müssen alle Gebete auf Arabisch, der Sprache der koranischen Offenbarung, gesprochen werden, da sie sonst nicht gültig sind und nicht von Gott angenommen werden. Solch eine Vorschrift besteht im Christentum nicht. Diese Tatsache ist von enormer Bedeutung.

Der Gebrauch von Aramäisch als Gottesdienstsprache stellte für die Zeit Jesu einen riesigen Umbruch dar. Es bedeutete, dass es für Jesus keine heilige Sprache als „Sprache Gottes“ gab. In der christlichen Welt gibt es alle möglichen Witze über Menschen, die meinen, eine bestimmte Sprache sei die göttliche Sprache. Meine armenischen Freunde erzählen mir, dass Gott einen sehr gelehrten armenischen Mönch als Privatsekretär hat. Dieser Mönch kennt alle Sprachen der Welt, und wenn Gebete von irgendwo auf der Welt zu Gottes Thron aufsteigen, übersetzt dieser kluge Mönch sie sofort ins klassische Armenisch, damit Gott sie verstehen kann! Noch vor einer Generation gab es viele englischsprachige Christen, die sich sehr sicher waren, dass Gott das Englisch der 1611 erstmalig herausgegebenen King-James-Bibel spricht. Meine fromme britische Mutter gestand mir einmal, wie geschockt sie als Teenager war, als sie herausfand, dass der Apostel Paulus kein Englisch sprach!

Jesus lebte in einer Welt, in der die öffentliche Lesung der Heiligen Schrift nur auf Hebräisch geschah, und Gebete in dieser Sprache gesprochen werden mussten. Als Jesus den riesigen Schritt machte, Aramäisch als Sprache für Gebet und Gottesdienst gutzuheißen, ermöglichte er dadurch, dass das Neue Testament auf Griechisch (nicht Hebräisch) aufgeschrieben und dann in andere Sprachen übersetzt wurde.

Wenn es also keine heilige Sprache gibt, dann gibt es demzufolge auch keine heilige Kultur. All dies ist eine natürliche Fortführung der Menschwerdung Jesu. Wenn das Wort vom Göttlichen ins Menschliche übersetzt und Fleisch wird, steht die Tür offen dafür, dass das Wort auch in andere Kulturen und Sprachen übersetzt wird. Diese These wurde von Lamin Sanneh in seinem wegweisenden Buch Translating the Message hervorragend untersucht.91 Hierin liegt der Grund, dass heute einer weltweiten Gemeinde von mehr als zwei Milliarden Menschen die Bibel in ihrer eigenen Sprache zur Verfügung steht. Damit ist es Gläubigen möglich, in ihrer Herzenssprache in die Gegenwart Gottes zu treten. Wir sind so an dieses Erbe gewöhnt, dass wir kaum seinen Ursprung wahrnehmen, als Jesus sich für Aramäisch als Sprache des Vaterunsers entschied. Jesus erklärte seine Botschaft für übersetzbar, als er dieses Gebet mit dem großen Wort abba begann, dessen Bedeutung wir nun näher ansehen wollen.

Jesus war kein Europäer

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