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VIII. Strafrechtlich relevante Handlung

84Grundvoraussetzung jeglicher Strafbarkeit und damit Grundelement der Strafbarkeitsprüfung ist das Vorliegen einer Handlung im Rechtssinne. Tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft kann nur ein menschliches Verhalten sein. Daher beginnt die Prüfung, inwieweit der Tatbestand eines Strafgesetzes verletzt ist, mit der Frage, ob überhaupt eine Handlung vorliegt. In der Regel kann |29|diese Prüfung in der Klausur jedoch kurz und nur gedanklich durchgeführt werden. Nur ausnahmsweise wird schon das Vorliegen einer Handlung problematisch und in der Fallbearbeitung erörterungsbedürftig sein.

85Der Handlungsbegriff erfasst die beiden Unterbegriffe aktives Tun (Bsp.: A ersticht O mit einem Messer, § 212 Abs. 1 StGB) und Unterlassen (Bsp.: A rettet seinen Sohn nicht vor dem Ertrinken, obwohl ihm dies möglich wäre, §§ 212 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

1. Handlungslehren

86Zur Bestimmung dessen, was eine Handlung ist, sind verschiedene Handlungslehren entwickelt worden[90]:

87Nach der älteren kausalen Handlungslehre ist eine Handlung jede Verursachung oder Nichthinderung einer Veränderung in der Außenwelt durch willensgesteuerte körperliche Tätigkeit. Auf einen bestimmten Handlungssinn soll es dabei nicht ankommen. Eine Handlung wird nach der kausalen Handlungslehre naturalistisch – gleichsam als Naturereignis – begriffen. Da aber das menschliche Verhalten gerade als Anknüpfungspunkt der Strafbarkeit betrachtet werden soll, grenzen andere Lehren den Handlungsbegriff stärker ein. So stellt die finale Handlungslehre darauf ab, ob eine zielgerichtete Tätigkeit vorliegt.[91] Die soziale Handlungslehre nimmt eine strafrechtlich relevante Handlung nur an, wenn das menschliche Verhalten sozial erheblich ist.[92] Ein personaler Handlungsbegriff versteht die Handlung als Persönlichkeitsäußerung.[93] Gegen alle Handlungslehren sind verschiedene Einwände erhoben worden, z.B. gegen die kausale Handlungslehre, dass sie sinnentleert sei, gegen die finale, dass sie unbewusste Fahrlässigkeit nicht erfassen könne, gegen die soziale und personale, dass sie keinen trennscharfen Begriff lieferten. Wesentlich aber ist – ohne dass es der Entscheidung zwischen den Handlungslehren bedarf – die Aussonderung von Nicht-Handlungen, also die Feststellung von Fällen, in denen keine Handlung vorliegt. Nicht-Handlungen sind Geschehensabläufe, die ohne Steuerung oder Steuerbarkeit durch die geistigen Kräfte eines Menschen ablaufen. Keine Handlungen sind daher:

 Körperbewegungen im Zustand der Bewusstlosigkeit oder des Schlafs.

 Reine Reflexbewegungen, die nur auf körperlich-physiologische Reize zurückgehen.

 Bewegungen aufgrund von unkontrollierbaren Krämpfen.

 Bewegungen, die durch vis absoluta, d.h. unwiderstehliche Gewalt, erzwungen werden.

88|30|Bsp.: A stößt B plötzlich in eine Fensterscheibe, die zerbricht. B ist nicht wegen Sachbeschädigung, § 303 Abs. 1 StGB, zu bestrafen, weil schon keine Handlung des B vorliegt (aber Strafbarkeit des A, weil der Stoß eine Handlung darstellt).

89Von den Bewegungen, die durch vis absoluta erzwungen werden, sind solche Bewegungen abzugrenzen, die lediglich durch vis compulsiva, d.h. den Willen beugende Gewalt, erzwungen werden. Schlägt bspw. der starke A solange auf den B ein, bis dieser sich dem Willen des A beugt und die Schaufensterscheibe des Geschäfts von O einschlägt, so liegt eine Handlung des B vor. Ob er letztendlich wegen Sachbeschädigung zu bestrafen ist, betrifft die Wertungsfrage, ob er gerechtfertigt oder entschuldigt ist.

90Im Gegensatz zu reinen Reflexbewegungen sind Handlungen anzunehmen bei Affekthandlungen und bei automatisierten Verhaltensweisen. Dies verdeutlicht folgendes Bsp.: Der Autofahrerin A fliegt ein Insekt ins Auge. Durch ihre ruckartige Abwehrbewegung verliert sie die Kontrolle über ihren PKW und verursacht einen Zusammenstoß. Die Abwehrreaktion ist nicht völlig unwillkürlich, sondern willentlich, auch wenn sie unüberlegt erfolgt. Somit liegt eine Handlung im Rechtssinne vor.[94]

91Teilweise kann die Frage, ob eine strafrechtlich relevante Handlung vorliegt, von einer sorgfältigen Ermittlung des zutreffenden Anknüpfungspunktes für die Strafbarkeitsprüfung abhängen. So kann einer (straflosen) Nicht-Handlung als (strafbares) Vorverhalten eine Handlung vorausgegangen sein. Hiervon ist etwa auszugehen, wenn A eine Kerze anzündet, um im Bett zu lesen, hierbei jedoch einschläft und im Schlaf die Kerze umstößt, woraufhin das von A bewohne Mietshaus abbrennt. Zwar ist das Umstoßen der Kerze im Schlaf keine Handlung. Jedoch ist das Anzünden der Kerze vor dem Einschlafen Anknüpfungspunkt, um eine fahrlässige Brandstiftung zu prüfen (§ 306d StGB).

2. Leitentscheidungen

92BGHSt 23, 156, 159ff.; Strafrechtlich relevante Handlung: Ein KFZ-Führer, der weder Alkohol genossen noch Medikamente zu sich genommen hat und sich auch im Übrigen in einem ausgeruhten Zustand befindet, ermüdet infolge der Monotonie des Fahrtverlaufs und gerät infolgedessen von der Fahrbahn ab. – Nach Auffassung des BGH ist in dem Einschlafen eine strafrechtlich relevante Handlung zu sehen, da der Erfahrungssatz gelte, dass ein Kraftfahrer, bevor er während der Fahrt einschläft, deutliche Zeichen der Ermüdung an sich wahrnehmen und auf diese reagieren kann.

93OLG Hamm NJW1975, 657; Strafrechtlich relevante Handlung (vgl. schon Rn. 90): Eine PKW-Fahrerin verursacht bei einer Fahrt auf einer Landstraße einen Verkehrsunfall bei dem mehrere Personen leicht verletzt werden, weil sie durch eine ruckartige Handbewegung zur Abwehr einer ihr ins Auge geflogenen Fliege die Kontrolle über ihr Fahrzeug verliert und auf die Gegenfahrbahn gerät. – Die Abwehrreaktion stellt keine Reflex- bzw. reflexartige |31|Bewegung, sondern eine Handlung im strafrechtlichen Sinne dar. Reflexe sind Körperbewegungen, bei denen die Erregung der motorischen Nerven nicht vom Willen beherrschbar ist, sondern ohne Mitwirkung des Bewusstseins ausgelöst wird. Dazu gehören Krämpfe und Erbrechen. Die Abwehrreaktion mit der Hand beruht dagegen auf einer willentlichen Steuerung des Bewusstseins. Zwar gehen solche Abwehr- oder Schreckensbewegungen sehr schnell vonstatten. Trotz dieser Schnelligkeit fehlt es jedoch nicht am willentlichen Antrieb.

Strafrecht Allgemeiner Teil

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