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|45|c) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung
Оглавление134Der Schutzbereich einer Norm, die ein Rechtsgut gegen Verletzungen durch Dritte schützen soll, endet dort, wo der eigene Verantwortungsbereich des Rechtsgutsträgers beginnt. Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstschädigung oder Selbstgefährdung unterfällt nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Unter diesem Gesichtspunkt ist die objektive Zurechnung insbesondere dann zu verneinen, wenn der Handelnde dem Opfer einen Gegenstand überreicht, mit dem sich dieses eigenverantwortlich schädigt. Bspw. liegt in der Regel kein dem A objektiv zurechenbarer Todeseintritt vor, wenn O dadurch verstirbt, dass er sich Heroin spritzt, welches ihm A besorgt hat.[130]
135Eine Ablehnung der objektiven Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Selbstgefährdung des Opfers kommt jedoch nur solange in Betracht, wie diese tatsächlich eigenverantwortlich erfolgt. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung liegt dann nicht vor, wenn der Mitwirkende im Hinblick auf die Gefährlichkeit der vom Opfer vorgenommenen Handlung eindeutig über überlegenes Wissen verfügt. Verschreibt der Arzt A dem heroinsüchtigen Patienten O eine Ersatzdroge und lässt den O darüber im Unklaren, dass diese ebenfalls abhängig macht, so kann ihm die Körperverletzung des O objektiv zugerechnet werden, wenn dieser infolge der Einnahme der Droge tatsächlich abhängig wird.[131] Im Übrigen ist jedoch umstritten, nach welchem Maßstab das Kriterium der Eigenverantwortlichkeit zu bestimmen ist. Teilweise wird die Eigenverantwortlichkeit des sich selbst Schädigenden erst dann verneint, wenn er nach den geltenden Exkulpationsregeln (§§ 20, 35 StGB, § 3JGG) schuldunfähig wäre.[132] Hiernach ist die Veranlassung einer Selbstschädigung nur ausnahmsweise objektiv zurechenbar, namentlich dann, wenn der sich selbst Schädigende schuldlos gehandelt hätte, wenn er anstatt sich selbst einen anderen verletzt hätte. Die Gegenauffassung stellt strengere Anforderungen an die Eigenverantwortlichkeit eines Verhaltens, indem sie sich an den Regeln der Einwilligungslehre orientiert. Hiernach ist die Eigenverantwortlichkeit nur zu bejahen und entfällt die Zurechnung nur dann, wenn der sich selbst Schädigende über eine hinreichende Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt, also die Folgen seines Verhaltens überblicken kann.[133] Die zuletzt genannte Auffassung erscheint vorzugswürdig, da sie dem insbesondere in § 216 StGB zum Ausdruck gebrachten Rechtsgedanken Rechnung trägt, wonach hohe |46|Anforderungen an die Ernstlichkeit eines Einverständnisses in die Schädigung der eigenen körperlichen Integrität zu stellen sind.
136Abzugrenzen von der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung sind die Fälle der einverständlichen Fremdgefährdung. Eine solche liegt dann vor, wenn sich das Opfer in vollem Bewusstsein des Risikos von einem anderen gefährden lässt. Zur Abgrenzung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung von der einverständlichen Fremdgefährdung werden überwiegend die Kriterien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme herangezogen, so dass es maßgeblich darauf ankommt, wer den zum tatbestandlichen Erfolgseintritt führenden Geschehensablauf in den Händen hält (Kriterium der sog. Tatherrschaft; vgl. noch Rn. 471f.).[134] Hiernach läge in einer Abwandlung des oben skizzierten Heroinspritzen-Falls keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung, sondern eine einverständliche Fremdgefährdung vor, wenn A dem O auf dessen Bitte Heroin spitzt und O hieran verstirbt. Wie sich das Vorliegen einer einverständlichen Fremdgefährdung auf die Prüfung der objektiven Zurechnung auswirkt, ist weitgehend umstritten. Teilweise wird angenommen, diese sei zumindest dann nach den gleichen Maßgaben wie die eigenverantwortliche Selbstgefährdung zu behandeln, wenn der Erfolgseintritt allein Folge des eingegangenen Risikos ist, das Opfer das Risiko im selben Maß überschaut wie der Gefährdende und sich die Gefährdung nicht auf Allgemeingüter bezieht.[135] Demgegenüber spricht die Rechtsprechung dem Umstand, dass eine Fremdgefährdung einverständlich erfolgt, zumindest dann keinerlei Bedeutung für die Prüfung der objektiven Zurechnung zu, wenn die konkrete Behandlung lebensgefährdend ist. Im Übrigen soll die Problematik allein für die Frage Bedeutung gewinnen, ob eine rechtfertigende Einwilligung des Opfers vorliegt.[136]
137Ebenfalls zu unterscheiden ist die freiverantwortliche Selbstgefährdung von den Retterfällen[137], welche die nachfolgend geschilderte Fallkonstellation betreffen: A zündet das Haus der Eheleute B und C an. Als der 22-jährige Sohn O der Eheleute B und C, der sich außerhalb des Hauses aufhält, das Feuer bemerkt, entschließt er sich sogleich zu versuchen, in das Obergeschoss zu gelangen, um dort Sachen oder Menschen, insbesondere seinen 12-jährigen Bruder, in Sicherheit zu bringen. O gelangt bis in den Flur des Obergeschosses, bricht bewusstlos zusammen und stirbt an den Folgen einer Kohlenmonoxidvergiftung. – Man könnte erwägen, Retterfälle als Veranlassung einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung anzusehen und deshalb straflos zu stellen. Mit der überwiegend vertretenen Auffassung ist aber darauf abzustellen, ob die Rettungsmaßnahme sinnvoll und verhältnismäßig ist und so letztlich eine Fremdgefährdung vorliegt: „Einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit|47| wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedarf es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft.“[138] Im soeben skizzierten Brandstiftungs-Fall sind diese Voraussetzungen erfüllt, so dass auch der Tod des O dem A objektiv zuzurechnen ist. Erst recht ist die objektive Zurechnung in Retterfällen zu bejahen, bei denen der Retter aufgrund einer Garantenpflicht tätig wird, also bspw. bei Feuerwehrleuten im Einsatz.