Читать книгу Strafrecht Allgemeiner Teil - Klaus Hoffmann-Holland - Страница 45
2. Realisierung der Gefahr im tatbestandlichen Erfolg a) Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Оглавление138Unter dem Stichwort des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs werden Fälle diskutiert, in denen ein pflichtwidriges Verhalten zwar einen tatbestandlichen Erfolg verursacht, dieser aber auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre.[139] Zwar hat der Handelnde hier eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, jedoch kann ihm der Erfolg unbestritten nicht zugerechnet werden, wenn feststeht, dass auch ein ordnungsgemäßes Verhalten den Eintritt nicht verhindert hätte. Umstritten ist demgegenüber, ob der Pflichtwidrigkeitszusammenhang auch dann entfällt, wenn nicht eindeutig geklärt werden kann, ob es auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten zum Eintritt des Erfolges gekommen wäre. Eine entsprechende Konstellation lag dem vom BGH entschiedenen „Lastwagen-Fall“[140] zugrunde: A überholt mit seinem LKW den Radfahrer O, der eine BAK von 1,96 ‰ aufweist. A hält statt des nach der StVO gebotenen Seitenabstandes von 1–1,5 m nur einen Abstand von 75 cm ein. Während des Überholvorgangs gerät O mit dem Kopf unter die rechten Hinterreifen des LKW-Anhängers, wird überfahren und ist auf der Stelle tot. Nach der tatrichterlichen Überzeugung hätte sich der tödliche Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei pflichtgemäßem Verhalten des A ereignet. Diese Überzeugung beruht unter anderem auf der Wahrscheinlichkeit, dass „der Radfahrer das Fahrgeräusch des Lastzuges zunächst nicht wahrnahm, dann plötzlich, als er seiner inne wurde, heftig erschrak, besonders stark reagierte und dabei völlig ungeordnet und unvernünftig sein Fahrrad nach links zog, eine Verhaltensweise, wie sie für stark angetrunkene Radfahrer typisch ist“.
139Die herrschende Vermeidbarkeitstheorie will die objektive Zurechnung nur bejahen, wenn bei rechtmäßigem Alternativverhalten der Erfolg mit an |48|Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen wäre.[141] Begründet wird dies insbesondere damit, dass auch an dieser Stelle der Grundsatz in dubio pro reo Anwendung finden müsse und daher bei unklarem Geschehensablauf zugunsten des Täters davon auszugehen sei, dass der Erfolg auch bei ordnungsgemäßem Verhalten seinerseits eingetreten wäre. Bereits der Umstand, dass sich im Lastwagen-Fall der Unfall mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei pflichtgemäßem Verhalten des A ereignet hätte, führt hiernach zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs unter dem Aspekt des rechtmäßigen Alternativverhaltens.
140Die in der Literatur verbreitete Risikoerhöhungslehre geht demgegenüber davon aus, dass die objektive Zurechnung immer schon dann anzunehmen ist, wenn der Täter das Risiko für den Erfolgseintritt unerlaubt und signifikant erhöht hat und der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten möglicherweise ausgeblieben wäre.[142] Eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo sei hiermit nicht verbunden, da sich dieser lediglich auf die Schuld- und Straffrage beziehe, nicht aber auf die Deutung ungewisser Geschehensabläufe. Bei Anwendung der Risikoerhöhungslehre wäre im Lastwagen-Fall die objektive Zurechnung zu bejahen. Denn die Nichteinhaltung des Seitenabstands hat das Risiko eines tödlichen Unfalls signifikant und in rechtlich missbilligter Weise erhöht.
141Die Risikoerhöhungslehre vermag in mehrfacher Hinsicht nicht zu überzeugen. Zunächst ist festzustellen, dass sie Verletzungsdelikte (d.h. Erfolgsdelikte) contra legem als Gefährdungsdelikte behandelt. Denn in den Streitfällen, in denen Vermeidbarkeitstheorie und Risikoerhöhungslehre zu abweichenden Ergebnissen gelangen, ist der Nachweis der Rechtsgutsverletzung ja gerade nicht erbracht, sondern nur eine Rechtsgutsgefährdung bewiesen. Hierdurch führt die Risikoerhöhungslehre zugleich zu einer unzulässigen Beweislastumkehr zu Lasten des Täters, da sie es in Fällen ungewisser Sachverhaltsentwicklung zur Aufgabe des Täters macht, nachzuweisen, dass der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten ausgeblieben wäre. Insoweit ist der Vorwurf des Verstoßes gegen den in dubio pro reo-Grundsatz gerade nicht entkräftet.[143] Mit der herrschenden Vermeidbarkeitstheorie ist daher im Lastwagen-Fall und in vergleichbaren Konstellationen die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs zu verneinen.