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2 Diesseitspflichten und Jenseitsaussichten Was rechtfertigt »lutherische Musik«? Musik ohne Gregor und Caecilia
ОглавлениеDie mittelalterliche Kirche führte ihre Musik auf Papst Gregor I. zurück (den Großen, gestorben 604): Mit seinem Namen ist der Begriff »gregorianischer Choral« verknüpft. Er habe diese Melodien direkt von Gott empfangen. Die Taube des Heiligen Geistes setzte sich auf seine Schulter und übermittelte ihm so die Gesänge, die fortan Liturgie der westlichen Kirche sein sollten. So ist die Geburtsstunde des gregorianischen Chorals unzählige Male auch bildlich dargestellt worden.
Im Spätmittelalter erhielt die Musik dann auch eine weibliche Patronin: Caecilia. Sie war eine frühchristlich-römische Märtyrerin, die ihren Rang als Heilige dem Umstand verdankte, mehrere Versuche, sie aus Glaubensgründen hinzurichten, überlebt zu haben. In der Urquelle ihrer Heiligenlegende wird zu Anfang des 5. Jahrhunderts berichtet, sie habe ein Keuschheitsgelübde abgelegt, während auf ihrer Hochzeitsfeier musiziert wurde; allerdings ist der Text an zwei Stellen nicht eindeutig. »Während ›organa‹ gespielt wurden, sang Caecilia ›in corde suo‹ allein zu Gott – mit den Worten: Mein Herz und mein Körper mögen, Herr, unbefleckt bleiben, damit ich nicht verderbe.«1 Mit »organa« können allgemein Instrumente gemeint sein; auch »Orgel« schien jedoch zu passen, weil ohnehin einer der Hinrichtungsversuche darauf abzielte, sie in Dämpfen eines Bades ersticken zu lassen – und die Orgel war das Musikinstrument der Badestuben. Umstritten ist auch, ob sie wirklich gesungen hat, und dies verbindet sich mit »in corde suo« (»in ihrem Herzen«).2 Dieser Begriff kommt in einem Paulus-Zitat vor, das in allen Musikdebatten des 16. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle spielte: Sie könnte also nur innerlich mitgesungen haben; ebenso kann gemeint sein, dass sie nicht nur vor sich hin gesungen habe (»mit dem Mund«), sondern sogar »von ganzem Herzen«. In all dieser Unklarheit jedenfalls trat die Legende unvermittelt in den Gesichtskreis spätmittelalterlicher Menschen und wurde so interpretiert, dass sie den Aufstieg der Orgel begleiten konnte.
Wenn es nun für Reformatoren darum ging, kirchliche Musik zu legitimieren, stand Caecilia selbstverständlich nicht zur Verfügung, auch nicht Gregor, sosehr die lutherische Liturgie anfänglich vom Erbe der Gregorianik geprägt war. Wie aber ließ sich ein gleichwertiger Ersatz beschaffen? Als Grundlage musste für ein Musikverständnis gesorgt werden, das sich auf biblische Zeugen berief; mit Nachbiblischem hätte sich nicht argumentieren lassen. Dies muss Ausgangspunkt der Überlegungen sein.