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Musik in der Bibel

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Wer auf die Suche nach biblischen Musikern geht, wird zunächst im Alten Testament fündig: An Sängern fehlt es nicht. Schon Mose sang gemeinsam mit den Israeliten ein Lied, als es ihnen gelungen war, das Rote Meer zu durchqueren und sich dort von der Verfolgung durch die Ägypter zu lösen (2. Mose 15); Debora und Barak sangen nach gewonnener Schlacht über die Kanaaniter ein Loblied (Richter 5), ebenso Hanna, als sie den kleinen Samuel zur Welt gebracht hatte (1. Samuel 2). Mehrere Lieder finden sich bei Jesaja: »Herr, du bist mein Gott« im 25. Kapitel, »Wir haben eine feste Stadt« gleich anschließend im 26. Aus den alttestamentlichen Apokryphen tritt der Lobgesang des Tobias (Tobias 13) hinzu; vergleichbare Lobgesänge singen im Neuen Testament Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, und vor allem seine Schwägerin Maria, die das »Magnificat« anstimmte, als sie ihre Schwester Elisabeth besuchte (beide in Lukas 1; in Lukas 2 folgt dann noch der kürzere Gesang des Simeon). Auf diese Weise sind Traditionen der Lobgesänge vom Alten ins Neue Testament erkennbar.

Daneben stellt sich die Frage nach Instrumenten. Bezugspunkte finden sich im Alten Testament reichlich, und zwar schon im 4. Kapitel des 1. Buches Mose: Denn zu den frühen Nachfahren Kains gehört auch Jubal, »von dem sind hergekommen die Geiger und Pfeifer« (Vers 21). Und im Anschluss an Moses Loblied übersetzt Luther: »Mirjam, die Schwester Aarons, nahm eine Pauke in ihre Hand, und alle Weiber folgten ihr nach[,] hinaus mit Pauken im Reigen.«

Die reichsten Hinweise auf Instrumente finden sich im Zentrum des alttestamentlichen Musikgeschehens: im Psalter, den 150 Lobgesängen, für die David eine Schlüsselfunktion übernimmt. 72 der Texte werden auf David zurückgeführt (also fast die Hälfte), viele mit der Angabe eines Instruments. Diese Hinweise werden jeweils im Anfangsvers eines Psalms gegeben; zitiert man etwa den 6. Psalm als »Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn«, so bezieht man sich auf den 2. Textvers, dem noch die Bemerkung »Ein Psalm Davids, vorzusingen, auf acht Saiten« als Einleitung vorausgeht. 51 Psalmen (ein Drittel) tragen keine Zuschreibung an eine bestimmte Person, auch einige besonders musikalisch affizierte: Keinem Psalm, der mit den Worten »Singet dem Herrn ein neues Lied« beginnt, wird ein Hinweis auf David vorangestellt (Psalm 96, 98 und 149).

Von David erzählt die Bibel ferner, dass er eine Instrumentalmusik anführte, als die Bundeslade nach Jerusalem gebracht wurde: »mit allerlei Saitenspiel von Tannenholz, mit Harfen und Psaltern und Pauken und Schellen und Zimbeln« (2. Samuel 6, 5).

Dieser Rundumschlag durch das biblische Instrumentarium gleicht dem im Abschluss des Psalters fast wörtlich: »Lobet ihn mit Posaunen« und »lobet ihn mit Saiten und Pfeifen« treten noch hinzu zu den auch bei Samuel erwähnten »Psalter und Harfe«, »Pauken und Reigen« sowie den hellen und den wohlklingenden Zimbeln (Psalm 150, 3–5). Dort folgt dann ein Schlusssatz, der teils wie eine Zusammenfassung wirkt, teils wieder zum Singen zurückführt: »Alles, was Odem hat, lobe den Herrn! Halleluja!« Auch für diesen Psalm wird kein Autor benannt; es war nicht David allein, der hinter der biblischen gemischten Besetzung aus Instrumenten und Gesang stand.

Davids Nachfolger als König, Salomo, soll die Traditionen fortgesetzt haben. Als er den von ihm erbauten Tempel in Jerusalem einweihte, berichtet die eine Überlieferung (2. Chronik 5) von einem gewaltigen Musizieren, an dem neben Sängern und Spielern von Zimbeln, Psaltern und Harfen auch 120 Trompete spielende Priester mitwirkten. An anderer Stelle der Bibel werden die extrem wertvollen »Harfen und Psalter für die Sänger« erwähnt, die Salomo aus dem Sandelholz der Königin von Saba bauen ließ (1. Könige 10, 12).

Wie weit diese Berichte historisch zu belegen oder gar die Instrumente identifizierbar sind, spielt an dieser Stelle keine Rolle; wichtig ist nur, in welcher Form all dieses das Bewusstsein von Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts prägte. Als 1702 Arp Schnitgers Orgel in der Kirche St. Salvatoris in (Clausthal-)Zellerfeld fertiggestellt wurde, erhielt das Gehäuse des Rückpositivs als Verzierung eine Kurzfassung dieses alttestamentlichen Musikprogramms: In der Mitte steht David mit der Harfe; flankiert wird er von Mirjam und von Asaph, dem Chor-Anführer Davids, dem zwölf Psalmen zugeschrieben werden.

Brauchte man einen Beleg dafür, weshalb Kirchenmusik erforderlich sei, wurde man in der Bibel leicht fündig. Und die Texte waren auch Vorbilder für Neuschöpfungen, nicht nur die Psalmen: Im Klug’schen Gesangbuch von 1533 sind gegen Ende Vertonungen der vorwiegend alttestamentlichen Lobgesänge enthalten: als vierstimmige Sätze aus schlichten Akkordfolgen (»Falsobordone«). Und als Johann Rist 1641/42 seine so wirkungsreichen Himmlischen Lieder in die Welt hinaussandte, war deren zweite Zehnergruppe komplett auf konkrete Gesänge der Bibel bezogen.3 Insofern könnte man meinen, alles sei klar gewesen: Ohnehin war das Singen im Christentum über jeden theologischen Zweifel erhaben; auch Instrumente »nach Davids Manier und Gebrauch«4 hätten einen unbestrittenen Platz in der Kirche haben können. Das aber war nicht der Fall. Warum?

Unter jenen Dichtungen Rists war der Lobgesang des Zacharias der einzige, der ein neutestamentliches Vorbild hatte. Damit deutet sich an, wo das eigentliche Problem lag. Denn überhaupt ist im Neuen Testament von Musik nur selten die Rede. Und da es in den konfessionellen Auseinandersetzungen seit dem 16. Jahrhundert um eine Definition der originär christlichen Glaubensgrundlagen ging, genügten die alttestamentlichen Schriftbezüge allein noch nicht für die Legitimation einer Musikkultur, die erst im Laufe des Mittelalters im Schoß der Kirche entstanden war: Mehrstimmigkeit, potenziell mit Instrumenten, auch ohne Beziehung zu den Melodien, die im gregorianischen Choral für den Vortrag biblischer Texte bereitstanden.

Warum nun sind die christlichen Teile der Bibel so arm an Musikhinweisen? Naturgemäß kann es in den Evangelien keine Beschreibung eines christlichen Gottesdienstes geben; ein einziger Bericht über ein Treffen der Apostel und das, was dabei gebetet oder musiziert wurde, hätte eine bestimmende Wirkung für das weitere Christentum gehabt. Auch Jesus und seine Jünger singen nie, und nicht einmal das, was Matthäus (26, 30) im Anschluss an »das« Abendmahl berichtet, ist – zumindest nach Luthers Übersetzung – vollständig geeignet, auf Musik bezogen zu werden: »Und da sie den Lobgesang gesprochen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.« Haben sie den Lob-»Gesang« wirklich nur »gesprochen«?

Neben Maria und Zacharias mit ihren psalm-ähnlichen Lobgesängen (für die keine Mitwirkung von Instrumenten erwähnt wird) verbleibt das Musizieren der Engel zu Christi Geburt; doch es sind Engel, nicht Menschen, die diese Musik machen, und entgegen vielen bildlichen Darstellungen spricht auch das Weihnachtsevangelium nicht von Instrumenten. Posaunen kündigen schließlich das Jüngste Gericht an; wiederum von Engeln geblasen, geht es dabei aber gerade nicht um ein ästhetisch-rituelles Musikereignis. Ist es also überhaupt gerechtfertigt, im christlichen Gottesdienst Instrumente zu gebrauchen?

Hier kommt einzig der Apostel Paulus zu Hilfe. Im 5. Kapitel des Epheserbriefes (18–20) schreibt er: »Und saufet euch nicht voll Wein, daraus ein unordentlich Wesen folgt, sondern werdet voll Geistes: Redet untereinander in Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singet und spielet dem Herrn in eurem Herzen und saget Dank allezeit für alles Gott und dem Vater in dem Namen unsers Herrn Jesu Christi.« Eine ähnliche Formulierung findet sich nochmals im Kolosserbrief (3, 16), dort aber ohne den Schlüsselbegriff »spielet«. Nur im 19. Vers jenes Epheser-Kapitels steht folglich das Wort, das die Benutzung der Instrumente in der christlichen Kirche rechtfertigen konnte – wenn es hart auf hart ging. Und das war im späteren 16. Jahrhundert der Fall.

Wie in der Caecilia-Legende stellte sich die Frage, was »in euren Herzen« heißt. Soll man sich Instrumentalmusik zum Lob Gottes also nur innerlich vorstellen?5 Diese Debatten flossen zusammen mit einer allgemeineren: Alle Aspekte menschlichen Lebens wurden in jener Zeit in drei Kategorien eingeteilt: Den beiden extremen wurde zugeordnet, was dem Glauben absolut förderlich oder absolut schädlich sei; zwischen ihnen wurde ein breiter Zwischenraum für Neutrales gelassen, für die »Mitteldinge« oder »Adiaphora« (wörtlich: das Indifferente). Kurz nach Luthers Tod 1546 rückte diese Unterscheidung ins Zentrum der theologischen Diskussionen, weil sie einen Maßstab dafür ermöglichte, in welchen Details eine Abgrenzung von der Papstkirche unausweichlich sei.6 Den Traditionen der vorausgegangenen Jahrzehnte folgend, war sogar das Äußere der Gottesdienstfeier ein »Mittelding« (»Menschensatzung«). Musik jedoch polarisierte stärker als vieles andere: Kann Vokalmusik womöglich sogar glaubensfördernd sein? Oder, auf der anderen Seite: Muss man Instrumentalmusik aus der Kirche verbannen, weil sie keinen inhärenten Glaubenswert habe?

Um diese Fragen zu diskutieren,7 traf 1586 der württembergische Lutheraner Jacob Andreae in Montbéliard, damals eine linksrheinische Besitzung Württembergs (»Mömpelgard«), mit einem führenden calvinistischen Kollegen zusammen, Théodore de Bèze. Andreae sah die Musik im Gottesdienst als biblisch gewünscht an (auch im Sinne Paulus’), gesungene Musik also als etwas Essenzielles für den Glauben; so weit war Bèze bereit mitzugehen. Instrumente, so Andreae weiter, seien nicht verboten, also mindestens dem Ermessen anheimgestellt, wenn nicht gar glaubensfördernd. Auch diesen zweiten Teil schränkt Bèze nicht grundsätzlich ein, doch seine übergeordnete Kategorie, die Bindung jeglicher Kirchenmusik an (biblischen) Text, kann auch so eng gefasst verstanden werden, dass von den lutherischen Anliegen kaum etwas übrig bleibt; jedenfalls wollte er vermeiden, dass der Glaubenswert der Musik einfach durch ein ästhetisches Erlebnis überformt werde. Auch schließt er Orgelspiel nicht aus, sieht aber nicht als notwendig an, dass Orgeln in Kirchen vorhanden sind.

Bei dieser Offenheit blieb es nicht. 1597 vertraten die Anhalter Calvinisten eine Position, die sich klar gegen jegliche Instrumentalmusik stellte. Instrumente im Alten Testament seien in der christlich-theologischen Diskussion völlig irrelevant; sie sagten nur etwas über den jüdischen Gottesdienst aus und ließen sich nicht als notwendige Bestandteile christlicher Praxis sehen – man praktiziere ja auch keine Beschneidung. Also hätte alle alttestamentliche Musik (und mit ihr die zugehörigen Instrumente) im Christentum nur noch einen allegorischen Wert. Orgeln und lateinischer Gesang seien menschliche Erfindungen, nichts also, das Gott angeordnet habe. Glaube verbinde sich nur mit der reinen Wortverkündigung und den Sakramenten.

Damit zeigt sich, wie unsicher die Position der Musik in der nachreformatorischen Welt war, vor allem wenn es um Instrumente ging. Ließ sich also überhaupt mit ganzem Herzen und ganzer Überzeugung Gott zu Ehren musizieren, wenn das klangliche Medium keinen Text hatte? Oder war das Resultat dann automatisch weltlich: eine Art akustischer Reiz, der mit anderem, das die vorreformatorische Kirche ausgezeichnet hatte, überwunden werden musste? Waren Instrumente hingegen tolerabel, wenn sie in Musik mit biblischem Text einstimmten? Kaum denkbar war, das Glaubensfördernde zur bloßen Einstellungssache zu deklarieren, sodass den Instrumentalisten, die in der Kirche auftraten, alles Vertrauen der Welt hätte zuteilwerden können: dass sie dort zweifelsohne etwas Gottgefälliges spielen würden. Dafür war die Skepsis der in Musik nicht unbedingt bewanderten Theologen zu groß.

Musik im Namen Luthers

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