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5.Hebräische Bibeln und Alte Testamente
ОглавлениеDas Alte Testament gibt es ebenso wenig wie die Hebräische Bibel, sondern die jüdische und die christliche Tradition kennen unterschiedliche Anordnungen der biblischen Bücher, die christliche Tradition zudem – in den unterschiedlichen Kanons der verschiedenen Konfessionen und Kirchen – unterschiedliche Buchbestände (vgl. Lim 2013; McDonald 2017; Schmid/Schröter 2019).
Hebräische Bibeln – im Sinne der Heiligen Schrift des Judentums – in der geläufigen Standardanordnung bestehen aus den drei Teilen Tora, Neviʾim und Ketuvim und können deshalb auch abgekürzt Tanach (TNK) heißen (siehe unten S. 34). Die Tora umfasst die Bücher Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium (so die in der Bibelwissenschaft gebräuchlichen Bezeichnungen), die Neviʾim beinhalten die Bücher Josua, Richter, 1.–2. Samuel, 1.–2. Könige, Jesaja, Jeremia, Ezechiel sowie das Zwölfprophetenbuch (Hosea bis Maleachi), die Ketuvim schließlich werden gebildet aus den Büchern Psalmen, Hiob, Sprüche, Ruth, Hoheslied, Prediger, Klagelieder, Esther, Daniel, Esra-Nehemia und 1.–2. Chronik (in jüdischen Bibelausgaben ist die Standardanordnung der Bücher Psalmen bis Esther die folgende: Psalmen, Sprüche, Hiob, Hoheslied, Ruth, Klagelieder, Prediger, Esther). Im Bereich der Neviʾim und der Ketuvim sind folgende Unterabteilungen geläufig: Die Bücher Josua bis Könige werden als die sogenannten „Vorderen Propheten“ zusammengefasst, Jesaja bis Maleachi als die „Hinteren Propheten“. In den Ketuvim bilden Ruth, Hoheslied, Prediger, Klagelieder und Esther die sogenannten „Megillot“, also die fünf „Rollen“, die bestimmten Festen zugeteilt sind, was allerdings erst seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. belegt ist: Ruth gehört zu Schawuot, das Hohelied zu Pessach, Prediger zu Sukkot, Klagelieder zum 9. Av, Esther zu Purim.
In der handschriftlichen Tradition Hebräischer Bibeln sind aber auch abweichende Anordnungen der Bücher bezeugt (Beckwith 1985; Brandt 2001). Was sich allerdings immer gleich bleibt, sind die drei Kanonteile Tora, Neviʾim und Ketuvim und die darin befindliche Anzahl Bücher. Rechnet man aus, wie viele Variationsmöglichkeiten unter diesen zwei Bedingungen theoretisch möglich sind, so kommt man auf 120 Variationen für die 5 Bücher der Tora, auf 40 320 Variationen für die 8 Bücher der Neviʾim (wenn man die zwölf kleinen Propheten nach antiker Gepflogenheit als ein Buch zählt) und auf knapp 40 Millionen Variationen für die Ketuvim. Die Überlieferung hat diese Möglichkeit aber bei weitem nicht ausgeschöpft. Für die Tora gilt immer dieselbe Abfolge. Für die Neviʾim sind mindestens 9 Variationen bezeugt, die aber alle die Hinteren Propheten betreffen, da Genesis bis Könige einen narrativ chronologisch geordneten Zusammenhang darstellen und insofern inhaltlich kaum veränderbar sind. Für die Ketuvim ist die Ordnung relativ flüssig, hier sind mindestens 70 unterschiedliche Anordnungen bezeugt.
Die wichtigste Variante in den Neviʾim findet sich im babylonischen Talmud (bBB 14b–15a). Dort ist für die vier Prophetenbücher (Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Zwölfprophetenbuch) die Abfolge Jeremia, Ezechiel, Jesaja, Zwölfprophetenbuch belegt. Begründet wird dies mit einer theologischen Überlegung: Jeremia sei „ganz Gericht“, Ezechiel „halb Gericht, halb Trost“ und Jesaja sei „ganz Trost“. Nun wird allerdings schon aufgrund einer flüchtigen Lektüre dieser Bücher schnell klar, dass diese Bestimmung sachlich nicht zutrifft: Alle drei großen Prophetenbücher enthalten Gerichts- und Heilsaussagen und sind insofern gleicherweise „halb Gericht, halb Trost“. Weshalb aber kommt der babylonische Talmud dann auf diese Anordnung? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn man auf die Buchumfänge der vier Prophetenbücher achtet: Das Jeremiabuch umfasst 21 819 Wörter, das Ezechielbuch 18 731 Wörter, das Jesajabuch 16 930 Wörter und das Zwölfprophetenbuch 14 357 Wörter (Jenni/Westermann 2004, II, 539–540 [Statistischer Anhang]). Die Anordnung im babylonischen Talmud ist also offenkundig von den Umfängen der Bücher her motiviert, und die gegebene theologische Begründung liefert eine Nachrationalisierung dieser Reihung nach Buchlänge.
In den Ketuvim variieren die Anordnungen zum Teil sehr stark. An dieser Stelle müssen folgende Beispiele genügen: Der Codex Aleppo und der Codex Leningradensis (B19A), zwei der wichtigsten alten Handschriften der Hebräischen Bibel aus den Jahren 950 und 1008 n. Chr., bieten die Chronik ganz zu Beginn der Ketuvim. Offenbar ist die Chronik, die ja breit von der Einrichtung des Tempelkults unter David und Salomo erzählt, damit als „historische“ Einleitung zu den Psalmen verstanden. Die heute geläufigen Standardanordnungen stellen die Chronik hingegen ganz an den Schluss der Ketuvim, damit die gewichtige „Exodus“-Aussage 2Chr 36,23b („Wer immer von euch aus seinem ganzen Volk ist – Jhwh, sein Gott, sei mit ihm, und er ziehe hinauf!“) den Tanach beschließt.
Eine andere, in den Handschriften häufig bezeugte Variante besteht darin, Ruth vor den Psalmen einzuordnen: Am Schluss des Buches Ruth leitet die Genealogie Davids zu den Psalmen über und bietet insofern eine alternative „historische“ Kontextualisierung dieses Buchs.
Für das christliche Alte Testament muss nach den unterschiedlichen Konfessionen unterschieden werden. In geläufigen protestantischen Bibelausgaben sieht sein Aufbau wie folgt aus: Unter einer ersten Rubrik sind die „Geschichtsbücher“ versammelt: Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium, Josua, Richter, Ruth, 1.–2. Samuel, 1.–2. Könige, 1.–2. Chronik, Esra, Nehemia, Esther. Es folgen dann die „poetischen Bücher“ Hiob, Psalmen, Sprüche, Kohelet, Hoheslied und schließlich die „prophetischen Bücher“ Jesaja, Jeremia, Klagelieder, Ezechiel, Daniel, Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja und Maleachi.
Dieses Alte Testament kennt also ebenfalls eine Dreiteilung, die aber anderer Natur ist als diejenige in der Hebräischen Bibel. Die erste Überschrift fasst unter „Geschichtsbücher“ die Tora und die Vorderen Propheten zusammen, zusätzlich aber gehören noch die ebenfalls narrativen Bücher Ruth, Chronik, Esra, Nehemia und Esther hinzu. Das zweite Abteil („Poetische Bücher“) enthält eine wichtige Auswahl aus den Ketuvim: Hiob, Psalmen, Sprüche, Kohelet, Hoheslied. Der dritte Teil („Prophetische Bücher“) beinhaltet die Hinteren Propheten der Hebräischen Bibel, also Jesaja, Jeremia, Ezechiel sowie die 12 kleinen Propheten, zusätzlich aber noch Klagelieder, die in der griechischen Tradition aufJeremia als Autor zurückgeführt werden, sowie das Danielbuch, das entstehungsgeschichtlich in die Makkabäerzeit gehört und wohl deshalb nicht mehr im bereits geschlossenen hebräischen Kanonteil Neviʾim Aufnahme gefunden hat und in der Hebräischen Bibel als prophetisches Buch in die Ketuvim eingereiht werden musste.
Römisch-katholische Bibelausgaben kennen zwar denselben Grobaufbau, verfügen aber über sieben weitere Bücher. Nach Nehemia sind noch Tobit und Judith eingestellt, nach Esther folgen zwei Makkabäerbücher, nach dem Hohenlied finden sich noch die Weisheit Salomos und Jesus Sirach, nach Klageliedern noch Baruch. Zusätzlich sind Esther und Daniel um einige Kapitel umfangreicher (die sogenannten „Zusätze zu Esther und Daniel“).
Der größere Umfang des Alten Testaments in römisch-katholischen Bibeln rührt daher, dass die römisch-katholische Kirche auf dem Tridentinischen Konzil (1545–1547) die Vulgata in ihrem gegenüber der Hebräischen Bibel weiteren Bücherbestand als Heilige Schrift kanonisierte – im Sinne einer gegenreformatorischen Entscheidung. Es handelt sich bei diesem Konzilsbeschluss im Übrigen um das einzige Kanondekret im Christentum – oder anders gesagt: Nur die römisch-katholische Kirche hat ihre Bibel per autoritativen Beschluss auf einen bestimmten Bücherbestand festgelegt. Der weitere Umfang des Alten Testaments der Vulgata geht seinerseits auf die sogenannte Septuaginta zurück, die alte griechische Übersetzung des Alten Testaments (Tilly 2005). Aus ihr stammt auch die andersartige Reihenfolge der christlichen gegenüber den jüdischen Bibeln, wie aus der Darstellung auf der folgenden Seite ersichtlich ist (vgl. zu den einzelnen Handschriften: Swete 21914, 201–214; Beckwith 1985: Brandt 2001; McDonald/Sanders 2002, 588; McDonald 32007, 422.451; Schmid 2019, 53–76).
Wie in der hebräischen Überlieferung, so ist auch in der griechischen – allerdings nach Handschriften – zu differenzieren. Zur Bücherfolge in den großen Septuaginta-Handschriften lässt sich im Einzelnen Folgendes festhalten: Gemeinsam ist den großen Codices Sinaiticus (א), Alexandrinus (A) und Vaticanus (B), dass sie zum einen Ruth an der vom Erzählablauf her passenden Stelle zwischen Richter und 1. Samuel einordnen* und zum anderen auf Genesis bis 2. Könige nicht das corpus propheticum, sondern die Chronikbücher folgen lassen. Danach gehen א, A und B getrennte Wege: In א und B folgen auf die Chronikbücher die Bücher Esra-Nehemia, א schließt daran Esther, Tobit, Judith und 1.–4. Makkabäer an und bildet so ein großes historiographisches Korpus von der Schöpfung bis zu den Makkabäern. Darauf folgen in א die Propheten sowie die übrigen Schriften. B lässt auf Chronik und Esra-Nehemia die Psalmen, Proverbien, Kohelet, Canticum canticorum, Hiob, Sapientia Salomonis, Jesus Sirach, Esther, Judith und Tobit folgen und bietet die Propheten in Schlussposition. In A sind Esra-Nehemia
Hebräische Bibel | Septuaginta |
Tora („Gesetz“) | Geschichtsbücher |
Genesis | Genesis |
Exodus | Exodus |
Leviticus | Leviticus |
Numeri | Numeri |
Deuteronomium | Deuteronomium |
Josua | |
Neviʾim („Propheten“) | Richter |
Vordere Propheten | Ruth |
1.–2. Basileion (= 1.–2. Samuel) | |
Josua | 3.–4. Basileion (= 1.–2. Könige) |
Richter | 1.–2. Chronik |
1.–2. Samuel | 1. Esdras |
1.–2. Könige | 2. Esdras (= Esra-Nehemia) |
Hintere Propheten | Esther |
Judith | |
Jesaja | Tobit |
Jeremia | 1.–4. Makkabäer |
Ezechiel (Hesekiel) | |
Zwölfprophetenbuch (= Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, | Poetische Bücher |
Nahum, Habakuk, Zephanja, | Psalmen |
Haggai, Sacharja, Maleachi) | Sprüche (Sprichwörter, Proverbien) |
Prediger (Kohelet) | |
Ketuvim („Schriften“) | Hoheslied (Canticum canticorum) |
Hiob | |
Psalmen | Weisheit Salomos (Sapientia |
Hiob | Salomonis) |
Sprüche (Sprichwörter, Proverbien) | Jesus Sirach (Ben Sira) |
Ruth | Psalmen Salomos |
Hoheslied (Canticum canticorum) | |
Prediger (Kohelet) | Prophetische Bücher |
Klagelieder (Threni) | |
Esther | Zwölfprophetenbuch (= Hosea, |
Daniel | Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona, |
Esra-Nehemia | Nahum, Habakuk, Zephanja, |
1.–2. Chronik | Haggai, Sacharja, Maleachi) |
Jesaja | |
Jeremia | |
Baruch | |
Klagelieder (Threni) | |
Epistula Jeremiae | |
Ezechiel (Hesekiel) | |
Daniel |
von Chronik getrennt; dort stehen nach Genesis bis Könige und Chronik die Prophetenbücher und dann die übrigen Schriften. Die Septuaginta zeigt also ein gewisses Bestreben, die geschichtlichen Überlieferungen zusammenzustellen und chronologisch zu ordnen. Besonders ausgeprägt ist dies in א der Fall, aber auch die Anordnung von B scheint in diesem Sinn gedacht zu sein, indem auf die Geschichtsdarstellungen Genesis bis Könige und Chronik bis Esra-Nehemia zunächst die Bücher „Davids“ (Psalmen) und „Salomos“ folgen (Proverbien, Kohelet, Canticum canticorum und, unterbrochen durch Hiob, Sapientia Salomonis), dann kommen Jesus Sirach, Esther, Judith, Tobit und schließlich die Prophetenbücher. Chronologische Gesichtspunkte scheinen auch die Binnenanordnung der Propheten bestimmt zu haben: Hosea, Amos, Micha, Joel, Obadja, Jona und die übrigen der „kleinen Propheten“ stehen vor Jesaja, Jeremia, Ezechiel und dem in der Septuaginta auch zu den Propheten gezählten Daniel. Die Vorordnung der „kleinen“ vor die „großen“ Propheten bringt zudem den Effekt mit sich, dass Jesaja, Jeremia und Ezechiel mit ihren messianischen Weissagungen und vor allem auch Daniel mit der Menschensohnvision (Dan 7) näher an das nachfolgende Neue Testament heranrücken.
Die protestantischen Kirchen forderten in ihrem humanistisch motivierten Rückgriff auf die Hebräische Bibel, dass nur deren Bücher im Kanon des Alten Testaments bleiben sollten, und erklärten die weiteren Bücher der Alten Testamente in der Septuaginta und Vulgata zu sogenannt apokryphen oder deuterokanonischen Büchern (zur Terminologie Gertz 2019, 32–35), die zwar lesenswert, aber in ihrem theologischen Rang und Wert den anderen Schriften nachzuordnen seien.
Über den größeren Kanon des Alten Testaments der römisch-katholischen Kirche sind weiter die noch umfangreicheren Kanons der orientalischen Kirchen, namentlich der äthiopischen Christenheit, zu nennen, die auch das Henoch- und Jubiläenbuch zu ihrem Alten Testament zählen.
Die nachfolgende Darstellung wird sich auf das hebräische Alte Testament in seiner Standardanordnung konzentrieren und die weiteren Schriften umfangreicherer Kanonbestände – die vor allem die hellenistische Zeit betreffen – nur summarisch behandeln.