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7.Die alttestamentliche Literaturgeschichte innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft
ОглавлениеWo ist das Projekt einer alttestamentlichen Literaturgeschichte innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft zu verorten? Herkömmlich werden in ihr drei Teildisziplinen unterschieden: Geschichte Israels, Einleitung in das Alte Testament und Theologie des Alten Testaments. Jeder Bereich ist in den vergangenen Jahrzehnten durch zahlreiche Lehrbücher dokumentiert worden (zur Geschichte Israels vgl. z. B. Donner 32000; Kinet 2001; Frevel 2018; zur Einleitung Zenger 52004; Gertz 2019; zur Theologie Kaiser 1993/1998/2003; Schreiner 1995; Rendtorff 1999/2001; Schmid 2019). Daneben entstanden auch Darstellungen der Religionsgeschichte Israels, die traditionell als historische Ergänzung zur Theologie des Alten Testaments gefasst wurde (Eißfeldt 1926/1962, 112–113), mitunter aber auch als deren Ersatz dienen soll (Albertz 1992), was sich aber in dieser Form weder durchgesetzt hat noch durchsetzen dürfte (vgl. die Diskussion in JBTh 10 [1995] sowie Hermisson 2000; Schmid 2013). Allerdings ist die Religionsgeschichte Israels in ihrer traditionellen Fragerichtung zu eminent gesteigerter Bedeutung innerhalb des Zusammenspiels der Teildisziplinen der alttestamentlichen Wissenschaft gelangt, da seit den 1980er Jahren einerseits zahlreiche archäologische Funde aus der südlichen Levante gemacht bzw. bekannt gemacht worden sind (vgl. Weippert 1988; Mazar 1992; Keel/Uehlinger 52001; Zevit 2001; Stern 2001; Hartenstein 2003a; Vieweger 2003; 2019a–c; Keel 2007) und andererseits die historische Einschätzung der alttestamentlichen Schriften sich einleitungswissenschaftlich in gewisser Korrelation dazu dramatisch gewandelt hat (Gertz 2019); so ist deutlich geworden, dass man das Bild der Religion(en) des antiken Israel deutlich anders zu profilieren hat, als es sich aus der Bibel ergibt und es sich in ihrem Gefolge in rationalisierender Paraphrase die traditionelle Bibelwissenschaft vorstellt (Weippert 1990/1997, 1–24).
Dem Bedeutungsgewinn der religionsgeschichtlichen Fragestellung steht eine eigentümliche Unklarheit der jeweiligen Aufgaben der drei erstgenannten traditionellen Teildisziplinen gegenüber: Das herkömmlich oft praktizierte Modell, Geschichte Israels und Einleitungswissenschaft als propädeutische Hilfsdisziplinen und die Theologie des Alten Testaments als synthetische Hauptdisziplin zu bestimmen, ist seit der epochemachenden „Theologie des Alten Testaments“ von Gerhard von Rad (1957/1960) namentlich bezüglich der Synthesefähigkeit der Theologie des Alten Testaments in Schwierigkeiten geraten, vor allem deswegen, weil von Rads Programmatik, auf jede andere Systematisierung als die der „Nacherzählung“ in der Darstellung einer Theologie des Alten Testaments zu verzichten, entweder akzeptiert worden ist oder aber anderweitige Lösungen weniger zu überzeugen vermochten. Der Verzicht auf eine systematisierende Darstellung – die in von Rads Hauptwerk, namentlich in seinem forschungsgeschichtlichen Kontext, zu einem äußerst ansprechenden Resultat führte – zog aber in gewisser Weise die größte Krise der Teildisziplin „Theologie des Alten Testaments“ seit ihrer Entstehung nach sich, da sie – so betrieben – nicht mehr grundsätzlich von der Einleitungswissenschaft zu unterscheiden war (vgl. bereits Keller 1958, 308). Hinzu trat die Entdeckung von Theologie (und damit gleichzeitig Theologien) im Alten Testament (vgl. Smend 1982/1986; Gerstenberger 2001; Kratz 2002; Schmid 2013; zu den forschungsgeschichtlichen Zusammenhängen Schmid 2000b; 2013; 2019, 13–52; zu Theologien außerhalb Israels vgl. Oeming u. a. 2004), die das Geschäft einer einheitlichen Theologie des Alten Testaments historisch erheblich erschwerten und ihr ganz neue Begründungsschwierigkeiten zumuteten, die bislang auch im Ansatz noch nicht als geklärt gelten können.
Wie sich diese inneralttestamentlichen Schwierigkeiten in der Zuordnung der Teildisziplinen lösen werden, bleibt abzuwarten. Befindet sich so das Ensemble der alttestamentlichen Wissenschaft in einer offenen Situation, so kann gerade das zwar nicht neue, aber doch neu wieder ins Interesse gerückte Projekt einer alttestamentlichen Literaturgeschichte einerseits von dieser Lage profitieren, da die Synthesenbildung nicht exklusiv durch andere Teildisziplinen besetzt ist (und auch nicht sein soll), andererseits können sich aber auch die anderen Teildisziplinen von einer alttestamentlichen Literaturgeschichte Gewinn versprechen, da sie von einer neuen Perspektive her Vorschläge zu einer historischen Zusammenschau der literarischen und theologischen Zusammenhänge der alttestamentlichen Texte und Bücher macht.