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4.Autoren und Redaktoren
ОглавлениеFür die herkömmliche entstehungsgeschichtliche Arbeit am Alten Testament war die Unterscheidung von Autoren und Redaktoren von hoher Bedeutung. Seine literarische Substanz stammt von Autoren wie dem Jahwisten oder Jesaja, und diese Substanz wurde von späteren „Ergänzern“ oder „Theologen“ textlich ausgeführt, wobei diesen Ergänzern traditionell ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt wurde: Bernhard Duhm (1901, XVIII–XIX) etwa vertrat die pointierte Auffassung, dass sie ihre „Gedanken mit sehr geringem schriftstellerischem Geschick“, durchwegs „unter dem prophetischen Niveau“ ausführen. Bieten sie „bisweilen“ trotzdem „ganz bedeutende Gedanken“, so gilt: „diese Gedanken sind von denen, die sie uns bieten, nicht geschaffen; sie sind das Ergebnis der großen geistigen Geschichte“, deren lediglich „passive Teilnehmer“ ihre Verfasser sind. Noch die wichtige Darstellung von Herbert Donner (1980/1994) bestimmt die Redaktoren lediglich als ausgleichende Kompilatoren vorgegebener Texte.
Erst die neuere redaktionsgeschichtliche Forschung konnte aufzeigen, dass dieses Bild defizitär ist. Natürlich lassen sich zahlreiche Vorgänge im Alten Testament erkennen, die rein kompilatorischer Natur sind. Doch es führt zu Fehlurteilen, wenn Textredaktion im Alten Testament auf solche Vorgänge enggeführt wird: Über sie hinaus sind mitunter breite redaktionelle Textfelder zu benennen, die eigene Konzeptionen und Theologien entwickeln, so dass eine kategorische Unterscheidung von Autoren und Redaktoren oft hinfällig ist (Kratz 1997a).
Eine eigenwillige, im Ganzen ebenso abwegige wie im Einzelnen lehrreiche Diskussion des Verhältnisses von Autoren und Redaktoren bietet John Van Seters 2006. Seine Schlussfolgerung „that there never was in antiquity anything like ‚editions‘ of literary works that were the result of an ‚editorial‘ process, the work of editors or redactors“ (398) ist zwar überzogen und verkennt die gegenwärtige Forschungsdiskussion um die sachliche Profilierung des Phänomens der „Redaktion“ alttestamentlicher Literatur (Ska 2005), doch Van Seters weist zu Recht auf Defizienzen und Probleme in der formgeschichtlichen und weiteren historischen Plausibilisierung manch rekonstruierter alttestamentlicher „Redaktionen“ hin. Bei Lichte besehen ist Van Seters gar nicht so weit von der von ihm bekämpften Position entfernt, er nimmt aber eine ganz andere Perspektive auf die biblischen Texte und ihre Genese ein: Während die von ihm angegriffene redaktionsgeschichtliche Forschung Grundschicht und spätere Redaktionen unterscheidet, fragt er von den supponierten Werken innerhalb der Bibel her, die er durch als antike Historiographen charakterisierte Autoren verfasst ansieht („Jahwist“, „deuteronomistisches Geschichtswerk“ usw.), nach den darin inkorporierten Traditionen, die seiner Auffassung nach aber nicht mehr textlich abhebbar, sondern „autoriell“ verarbeitet worden sind. Mitzubedenken ist zudem der Umstand, dass Van Seters nahezu ausschließlich die narrativen Traditionen in Genesis bis 2. Könige und die von ihm angenommenen Geschichtswerke des Jahwisten und des Deuteronomisten im Auge hat und kaum die literarischen Verhältnisse in Prophetie und Psalmen in seine Überlegungen miteinbezieht.
In sich ist das Phänomen (autorieller oder) redaktioneller Arbeit am Alten Testament differenziert zu beschreiben. Zunächst ist zu fragen, in welchem Modus älteres Gut in einen bestimmten Text eingegangen ist: Bewahrt er Erinnerungen an ältere, gegebenenfalls mündliche Traditionen oder Überlieferungen, die in ihn eingegangen, aber nicht mehr als textliche Vorstufen rekonstruierbar sind (vgl. Schmid 2006f; Carr 2015)? Oder aber verarbeitet er vorgegebenes Material, das als solches noch literarkritisch aus seinem vorliegenden Kontext abhebbar ist? In diesem zweiten Fall ist es grundsätzlich hilfreich, redaktionelle Einträge und Bearbeitungen nach ihren literarischen Horizonten zu unterscheiden: Richtet sich eine redaktionelle Maßnahme nur auf den unmittelbaren Nahkontext der Einschreibung, bezieht sie sich auf einen Buchteil, ein ganzes Buch oder sogar eine Bücherfolge? Mit diesen unterschiedlichen Möglichkeiten ist jedenfalls zu rechnen. Es ist müßig, die eine oder andere Spielart zur Generaltheorie zu erklären, da der Nachweis nicht schwerfällt, dass es in dieser Hinsicht unterschiedliche redaktionelle Maßnahmen innerhalb des alttestamentlichen Schrifttums gegeben hat.
Ein Beleg einer nur unmittelbar auf den Nahkontext beschränkten Ergänzung findet sich etwa in 1Sam 9,9, wo erklärt wird, dass roʾɛʰ („Seher“) eine altertümliche Bezeichnung für nāḇîʾ („Prophet“) sei. Bereits einen größeren Buchabschnitt haben die Überschriften Am 3,1 und 5,1 im Blick: Sie dienen der Strukturierung von Amos 3–6 insgesamt (Jeremias 1988). Eine buchredaktionelle Einschreibung bietet etwa Jesaja 35, ein Brückentext zwischen Erstem und Zweitem Jesaja, der erstmals ein dannzumal entstehendes Großjesajabuch schafft (Steck 1985). Das vielleicht deutlichste Beispiel einer bücherübergreifenden redaktionellen Maßnahme findet sich schließlich in der Aussagefolge der Überführung der Josephsgebeine von Ägypten nach Kanaan in Gen 50,25; Ex 13,19; Jos 24,32. Ausweislich ihrer Vor- und Rückverweise sind die betreffenden Stellen nicht anders als zu einer literarischen Schicht zugehörig vorstellbar (Schmid 1999c, 111).