Читать книгу Literaturgeschichte des Alten Testaments - Konrad Schmid - Страница 16
II.Sprache, Schrift, Buchwesen und Literaturproduktion im antiken Israel 1.Sprache und Schrift
ОглавлениеFormen der Schrift scheinen unabhängig voneinander in Ägypten und Mesopotamien im 4. Jahrtausend v. Chr. entstanden zu sein. Ihre Erfindung markiert für die Geschichtswissenschaft eine, wenn nicht die wichtigste Zäsur in der Menschheitsgeschichte: Sie trennt die Prähistorie von der Geschichte, die ja dadurch definiert ist, dass für ihre Rekonstruktion schriftliche Quellen vorliegen. Doch auch in anthropologischer Hinsicht hat sich die Einführung der Schrift als von grundlegender Bedeutung erwiesen: Dank der Möglichkeit, Wissen aus dem menschlichen Gedächtnis in Texte auszulagern, zu akkumulieren und für künftige Generationen aufzubewahren, erlebte die weitere Entwicklung der Species homo sapiens einen rasanten Aufschwung.
Die in Ägypten und Mesopotamien gebräuchlichen Schriftformen arbeiten mit Logogrammen und einer Vielzahl von Zeichen, die entweder Worte oder Silben symbolisieren können. Mit der Herausbildung der Alphabetschrift (vgl. Finkelstein/Sass 2013), die vor allem durch die Phönizier vorangetrieben wurde, vereinfachte sich das Schreiben enorm und die entsprechenden Ausbildungserfordernisse wurden überschaubar. Statt Tausender Zeichen waren nur noch gut zwanzig zu beherrschen und deren Laute zu kombinieren.
Das Hebräische entwickelte sich aus dem Phönizischen und existierte zunächst in dialektalen Ausformungen (Israelitisch, Judäisch, Gileaditisch, Moabitisch, Ammonitisch usw. vgl. Gzella 2012). Die Buchstaben des althebräischen Alphabets verraten sowohl graphisch wie auch von ihrer Benennung her ihre Herkunft aus einer Zeichenschrift: Der Buchstabe „Aleph“ bedeutet „Rind“ und hat die Form eines (um 90 Grad gedrehten) Rinderkopfes; der Buchstabe „Bet“ bedeutet „Haus“ und ist entsprechend gestaltet; der Buchstabe „Gimel“ leitet sich von „Kamel“ ab und erinnert an einen Kamelhöcker.
Das Hebräisch der Bibel (aramäische Passagen finden sich in Dan 2,4b–7,28; Esr 4,8–6,18; 7,12–26 sowie Jer 10,11; vgl. zur Geschichte des Aramäischen Gzella 2015) lässt sich hauptsächlich in zwei Sprachstufen unterteilen, die man als „klassisch-biblisches Hebräisch“ (Classical Biblical Hebrew, abgekürzt CBH) und „spätbiblisches Hebräisch“ (Late Biblical Hebrew, abgekürzt LBH) bezeichnen kann (Hendel/Joosten 2018). Mit klassisch-biblisches Hebräisch ist in erster Linie die Sprachgestalt der Tora und dann der in ihrem Gefolge priesterlich oder/und deuteronomistisch bearbeiteten Literatur in Josua bis 2. Könige gemeint. Als spätbiblisches Hebräisch gilt etwa die Sprachgestalt der chronistischen Literatur sowie des Estherbuches und der hebräischen Teile des Danielbuches, die sich in einigen Spezifika von der Sprachgestalt des klassisch-biblischen Hebräisch unterscheidet. Die Unterscheidung zwischen klassisch-biblischem und spätbiblischem Hebräisch basiert im Wesentlichen auf dem Vergleich biblischer Texte mit zwei außerbiblischen Textkorpora, nämlich den königszeitlichen Inschriften sowie der Qumranliteratur (Young 2003, 277).
Das klassisch-biblische Hebräisch ist eine Gelehrtensprache, die eng an das „Judäisch“ der Königszeit anschließt und dieses in einem mehr und mehr aramäischsprechenden Umfeld bewahrt hat (Kottsieper 2007). Entsprechend seiner Eigenschaft als Gelehrtensprache verfügt es über eine relativ homogene Sprachgestalt. Das spätbiblische Hebräisch ist seinerseits als Weiterentwicklung des klassisch-biblischen Hebräisch beschreibbar. Entgegen der oft belegbaren Auf fassung, der Wechsel vom klassischen zum spätbiblischen Hebräisch gehöre in die Exilszeit (Hurvitz 2000), muss man angesichts der neueren einleitungswissenschaftlichen Ergebnisse zu Genesis bis 2. Könige eher davon ausgehen, dass die wichtigsten biblischen Texte für spätbiblisches Hebräisch kaum vor 400 v. Chr. angesetzt werden können (Knauf 2006, 338–339). Allerdings ist das Hebräisch biblischer Texte nicht allein durch die Chronologie determiniert. Vielmehr indiziert die Sprachwahl auch konzeptionelle Nähe oder Distanz zur maßgeblichen Kernüberlieferung der Tora: Die Bücher Hiob und Kohelet verwenden ein nicht der Tora konformes Hebräisch aufgrund ihrer theologischen Dissidenz, während späte Josua- oder Richtertexte durchaus an das klassisch-biblische Hebräisch der Tora und der älteren Bestandteile ihrer Bücher anschließen können (Joosten 1999).
Geschrieben wird Hebräisch wie auch Aramäisch in einer Alphabetschrift, die aus 22 Zeichen besteht. Vom 9. Jahrhundert v. Chr. an liegt ausweislich der Inschriften die Schreibrichtung (von rechts nach links) fest, was gleichzeitig ein Indiz dafür ist, dass erst von diesem Zeitpunkt an längere Texte entstehen, die eine solche Konvention fordern. Bis in das 3. Jahrhundert v. Chr. hinein ist die – in sich variantenreiche – althebräische Schrift im Gebrauch, die aber auch in späterer Zeit gelegentlich noch gebraucht werden kann, etwa von den Samaritanern. Die Quadratschrift begann sich wahrscheinlich mit der im Perserreich gebräuchlichen Verwaltungssprache des Aramäischen nach und nach durchzusetzen. Ihre älteste Bezeugung findet sich in der Inschrift von Iraq al-Amir im Ostjordanland (3. Jahrhundert v. Chr.). Vorstufen dieses Prozesses lassen sich bereits in den Elephantine-Texten beobachten (vgl. Porten 1996). In Qumran sind nur noch einzelne Rollen (Tora und Hiob), offenbar in archaisierender Weise, sowie bisweilen das Tetragramm in althebräischer Schrift geschrieben, ansonsten dominiert die Quadratschrift.
In der Antike waren hebräische Texte unpunktiert. Vokalbuchstaben (matres lectionis) finden sich in den althebräischen Inschriften nur vereinzelt, dort besonders im Wortauslaut; in Qumran hingegen sind sie sehr verbreitet und können nun auch für Kurzvokale im Wortinnern stehen. Die Punktation ist ein Werk der Masoreten aus dem 5. bis 10. Jahrhundert n. Chr. Die heute gebräuchliche tiberische Punktation wurde infralinear vorgenommen, die erst im 19. Jahrhundert bekannt gewordene babylonische Punktation erfolgte supralinear.