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c) Max Thurian

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In seiner neuen Veröffentlichung111 gibt der Theologe von Taizé den Ansatz für das Verständnis des Herrenmahles: Eucharistie ist Gedächtnis Christi, wobei dieses spezifisch-christliche Moment in den jüdischen Gedächtnisrahmen des Passa einbezogen bleibt112: »Das Wort ›Anamnese‹ bzw. ›Gedächtnis‹, von Paulus und Lukas dort gebraucht, wo sie den Eucharistiebefehl Christi überliefern, nimmt unmittelbar Bezug auf die jüdische Liturgie und besonders auf das Paschamahl. Christus führt die neue Kulthandlung im Rahmen der jüdischen Osterliturgie ein und verachtet den bisherigen Kult nicht. Im Gegenteil! Weil er zur Offenbarung gehört, findet Christus in ihm die passenden Symbole und Worte, um sich selbst verständlich zu machen.«113 Es gilt: »Christus verachtet die alte Liturgie nicht, vielmehr verlangt er brennend danach, sie zu feiern. Gestaltet er sie in der Eucharistie um, so nicht, um sie abzuschaffen oder etwas ganz anderes an ihre Stelle zu setzen; sie muß sich vielmehr im Reiche Gottes vollenden. Vom Pascha bis zum messianischen Mahl führt der Weg über die Eucharistie. Hier besteht Kontinuität, Analogie, Einheit, auch wenn der Ritus sich äußerlich wandelt und sich die in ihm zeichenhaft gegebene Wirklichkeit entfaltet; zuerst das Lamm, wirksames Zeichen der Erlösung; dann Brot und Wein, wirksames Zeichen der realen Gegenwart von Leib und Blut Christi, des gekreuzigten, auferstandenen und verklärten Erlösers; und schließlich die Vision des Gottessohnes als des geschlachteten Lammes der Geheimen Offenbarung.«114

Thurian erkennt also, daß Jesus innerhalb eines jüdischen Rituals seine Eucharistie ansiedelt und so eine liturgische Gestalt inhaltlich neu füllt, ohne diese Gestalt zu zerstören. Es ist nur konsequent, den Sinn des neuen Inhaltes vor allem vom Sinn dieser alttestamentlichen liturgischen Gestalt her zu bestimmen. Thurian ordnet daher die einzelnen Sinnmomente des Abendmahls und der Eucharistie gemäß der Sinngestalt des jüdischen Passamahles und findet in ihm eine formale Sinngestalt. Das Gedächtnis, die Anamnese spielt eine entscheidende Rolle. Dabei weist das jüdische Gedächtnis, hebräisch »Zikkaron«, griechisch »Anamnesis« auf die Heils- und Segenserfahrung des alttestamentlichen Volkes hin, läßt dieses Gedächtnis lobend und dankend zu Gott aufsteigen (Gedächtnisopfer), stellt es vor Gott hin, um Gott selbst an die von ihm ausgegangenen Segnungen zu erinnern und ihn zu neuerlicher Segensgabe zu veranlassen115. Diese Sinngestalt des Gedächtnisses in ihrer Entfaltung (vergangener Segen, Gedenken, Dank für den vergangenen Segen, preisendes darbringendes Gedenken und Lob sowie Bitte um neuerlichen Segen) ist so formal, daß sie inhaltlich aufgefüllt werden kann und dennoch die Struktur des Segens katabatisch, der Anamnese präsentisch und des Lob-Opfers anabatisch beinhaltet. Diese Sicht bleibt einem komplexen Geschehen verpflichtet und erkennt eine gänzlich formale sinnstiftende Einheit des Abendmahles. Die Zuordnung geschieht weniger durch die Inhalte, sondern die Inhalte werden durch die formale Gestalt aufeinander bezogen.

In diesem Sinngefüge entwickelt Thurian die theologische Sinngestalt der Eucharistiefeier. Sie ist eine »Handlung ›zum Gedächtnis Christi‹ «116. Die Kirche sagt in diesem und auf Grund dieses Gedächtnisses »Dank für die einmalige und vollkommene Erlösung durch das Leiden und die Auferstehung. Sie dankt auch dafür, daß diese Erlösung durch das Sakrament vergegenwärtigt wird.«117 Dabei weiß sie um den Geschenkcharakter der Ankunft Christi im Fleisch, seines Leidens und seiner Auferstehung: »Das Abendmahl … geht von der endgültigen, aber noch in Christus verborgenen Erlösung aus, um das glorreiche Offenbarwerden dieser selben und einzigen Befreiung anzukündigen und zu erflehen.«118 Das Gedächtnis der Kirche nimmt das im Christusereignis gewirkte Segensgeschehen auf (Anamnesis des katabatischen Segens) und erfleht es als neuerlich gegenwärtig für alle, lobt dafür Gott und bringt im Lob dieses Christusereignis dar (anabatische Opferdimension). Thurian erschließt die katabatische Segenswirklichkeit der Eucharistie nicht allein vom Gedächtnis der Kirche her; für ihn ist ihr Gedächtnis zugleich Wissen um das aktive Gedächtnis Gottes, das in dessen Treue begründet ist und in der Eucharistiefeier zur Wirkung kommt119. Thurian entwickelt aus diesem das menschliche Erwägen und die göttliche Treue zusammenfassenden liturgischen Gedächtnis die dynamische Gegenwart des Herrn mit seinem Heilswerk120, so daß gilt: »Das eucharistische Gedächtnis ist ein Ruf an uns, ein Ruf durch uns an den Vater, ein Ruf des Sohnes an den Vater durch uns. Somit ist das eucharistische Gedächtnis Verkündigung an die Kirche, Danksagung und Fürbitte der Kirche und Fürbitte Christi für die Kirche.«121

Die Gaben von Brot und Wein sind Gedächtnisgaben und schließen Gottes und der Menschen Gedächtnis in gleicher Weise ein. Sie sind die neu-testamentlichen Schaubrote, stellen Christus mit seinem Opfer vor Gott und die Menschen hin: »Indem die Kirche das Opfer Christi verkündigt, vollzieht sie auf dem Altar die Darstellung des Opfers des Sohnes vor dem Vater in Danksagung und Fürbitte, Lobpreis und Flehen. Wenn die Kirche das Geschehen am Kreuz darstellt, nimmt sie in Danksagung und Fürbitte teil an der Darstellung seines Opfers durch den Sohn vor dem Vater … Mit ihm und in ihm bringt sie dieses Opfer dem Vater dar: das gebrochene Brot und den eingegossenen Wein, den geopferten Leib und das vergossene Blut. So legt sie Fürbitte ein zur Verzeihung der Sünden und für die Nöte der Menschen und dankt zugleich für alle Großtaten Gottes.«122

Für Thurian erhalten auf dem Hintergrund der Anamnese als theologischer Sinngestalt auch andere Momente der liturgischen Feier ihre Bedeutung: »Die Anamnese ist das Gedächtnis der Geheimnisse Christi vor dem Angesicht Gottes und im Angesicht der Kirche – für die Kirche als Vergegenwärtigung, vor Gott als Darstellung.«123 Ihr innerstes Anliegen ist die Fürbitte Christi vor Gott für die Menschen. Wie Christus einerseits in der Himmelfahrt sein Opfer vor den Vater bringt und ihn an die Menschen erinnert, für sie fleht, letztlich um die Geistsendung für die Menschen fleht, so ist die Epiklese zugleich Ausdruck des Flehens Christi und der Kirche um den Geist: »Das Gedächtnis des Kreuzes in der Eucharistie geht über in die Bitte, der Vater möge den Heiligen Geist als Antwort auf das Opfer des Sohnes geben; dies ist vor ihm sakramental vergegenwärtigt und dargestellt als eine innige Fürbitte.«124 Wie der Vater auf die Fürbitte des Erhöhten an Pfingsten mit der Sendung des Geistes geantwortet hat, so nun in der Eucharistie: »Bei der Eucharistie ist somit der Heilige Geist als erster wirksam. In den Worten des Sohnes: ›Das ist mein Leib … Das ist mein Blut‹ ist er am Werk, um uns seine Gnadengaben mitzuteilen. Ohne das Wirken des Heiligen Geistes bliebe das Wort Christi leer; es hätte keine Wirkung, weder auf Brot noch Wein, noch auf die Kirche. Der Heilige Geist macht uns das ganze Geheimnis Christi lebendig, er macht aus der Anamnese eine echte Vergegenwärtigung des einen Kreuzesopfers in der Kirche und ein wirksames Gedächtnis dieser vollkommenen Fürbitte vor dem Vater … In der Kraft des Heiligen Geistes, der durch die Epiklese angerufen wird, bringt die Kirche dem Vater das Gedächtnis des Sohnes dar, und in ihr kann sie wirksam die Einsetzungsworte nachsprechen: ›Das ist mein Leib … Das ist mein Blut‹.«125 Thurian weist auf den zweiten Teil der Epiklese nach der Konsekration hin. Sie ruft den Heiligen Geist auf die Kirche herab, der ihr die pneumatische Gegenwart Christi geschenkt hatte126, damit auch sie über diese Gegenwart vom Geist erfüllt werde, den Christus erfleht.

Von der Anamnese über die Epiklese kommt Thurian zur somatischen Realpräsenz. Sie zeigt der Kirche an, daß ihr Herr konkret in ihrer Mitte ist und daß sie ihn unter einer konkreten Gestalt empfängt127, wobei »die Teilnahme am Leib und Blut Christi für einen jeden zugleich Teilnahme am Leib der Kirche ist. Durch die Kirche in Christus zu einer Opfergabe vereint, sind die Gläubigen durch die Teilnahme am Leib Christi unzertrennlich miteinander verbunden.«128

Wir dürften Thurian nicht falsch verstehen, wenn wir zusammenfassend sagen, daß die formale Sinngestalt der Eucharistie und des Abendmahles das alttestamentliche »Gedächtnis« ist. Die ins neutestamentliche Verstehen transponierte Anamnesis ordnet als theologische Grundgestalt die Präsenz Christi und seines Heilswerkes mit dem Opfer der Kirche zusammen, kann geschichtliche Entwicklungen einbeziehen und ist zugleich der Ort der Gegenwart Gottes, seines Geistes und der mitfeiernden Menschen. Formal ist dieses Gedächtnis Segensgedächtnis des Menschen und Gottes, Grund der Gegenwart Christi, Grund des Opfers der Kirche.

Dennoch erübrigt sich die Frage nach der theologischen Grundgestalt der Eucharistie auch hier nicht, denn es fragt sich, ob es einen Begriff gibt, der sowohl alttestamentliche Segensvorstellung, Gegenwart des Segens im Gedächtnis, wie auch Opfer und Hingabe an Gott so zusammenordnet, daß all dies mit einem Begriff benannt werden kann, ohne die von Betz sehr schön gezeigte christologische Konzentration zu sprengen. Biblisch gewendet heißt die Frage: Gibt es einen Begriff, der die formale Sinngestalt des Passamahles so einfängt, daß damit die Person Christi mit ihrem Heilswerk zugleich mit dem Abendmahlsgeschehen umgriffen werden kann?

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