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2. Patristische und dogmengeschichtliche Forschung
ОглавлениеDamit stehen wir bei der Frage, ob die patristische Forschung eine formale Struktur bzw. eine theologische Sinngestalt auffindet. Und tatsächlich scheint sich die Patristik dies zur Aufgabe zu machen.
H. Moll157 schreibt: »In der Eucharistie kommt jene Doppelbewegung zum Vorschein, die für den christlichen Kult konstitutiv ist: Der Sinn der Liturgie enthüllt sich einerseits in der katabatischen Bewegung, der Heiligung des Menschen, die vornehmlich in den Sakramenten geschieht; ihr korrespondiert die anabatische Bewegung, der Kult der begnadeten Gemeinde, der von den Gliedern der Kirche Gott dargebracht wird. Ihre unlösbare Verflochtenheit zeigt sich nachhaltig im Blick auf die Eucharistie als Opfer. Das geschichtliche Opfer Jesu, das am Kreuz auf Golgotha unüberbietbar zur Vollendung gelangt ist, wird in der Feier der Eucharistie anamnetisch vergegenwärtigt … Die Stellung der Kirche besteht darin, daß sie an der Sühnekraft des Todes Christi Anteil erhält, aber auch darin, daß sie in das Tun Christi hineingenommen wird … Dieser Ausschnitt aus der Lehre von der Eucharistie soll in den Grenzen des abgesteckten Themas historisch und dogmengeschichtlich behandelt werden.«158
Diese Sicht kann Moll tatsächlich nachweisen. Er kann zeigen, daß die nachbiblische Tradition schon früh diese formale Struktur erkannt hat. Der Mangel der Untersuchung liegt darin, die verschiedenen Dimensionen dieser Struktur, wie etwa Wort als Opfervollzug (eucharistein, eulogein, hagiazein) und Sakrament nicht genügend herausgearbeitet zu haben, die dann die mit Klemens und Origenes beginnende Reflexion als Eulogia bezeichnet. Der Begriff Eulogia (LXX) sagt jene Sinnfigur, die das katabatische, anamnetische und anabatische Moment des Heilssegens umfaßt und so jene Figur ist, in der der Opfergedanke als ein Aspekt seine Erfüllung erhält. Es ist Moll nicht gelungen, die mit dem Begriff Eucharistie einsetzende Engführung der theologischen Sprache herauszustellen bzw. Begriffe im eucharistischen Kontext zu analysieren, die imstande wären, den Sinnreichtum des christlichen Opferbegriffes zu offenbaren (hagiazein, eulogein, ainein, anapherein, doxazein, anamimneskesthai). Der ausgezeichnete Beitrag von G. Kretschmar in TRE 1159 bringt besonders für die vornizänische Zeit die eucharistischen Sinnelemente Anamnese, Segnung, Opfer deutlich zum Ausdruck. Es gelingt aber auch ihm nicht, die diesen Begriffen zugrundeliegende theologische Gestalt zu ermitteln.
In seinem weiteren umsichtigen Beitrag liturgiegeschichtlicher Art zum Stichwort »Abendmahlsfeier«160 finden wir mannigfache Hinweise auf die sich in der Liturgie ausdrückende Sinngestalt, wobei wichtige Elemente aus dem Prozeß »von der jüdischen Mahlzeit zur christlichen Eucharistie« ermittelt sind, jedoch nicht theologisch systematisiert werden. Dies ist in einer liturgiegeschichtlichen Darstellung eigentlich auch nicht zu fordern. Wichtig ist hier die Erkenntnis, daß das Mahl Segensgeschehen ist, Vergangenheit und Zukunft im Gedächtnis und Lobpreis umfassend161.
Von einer Beschreibung der mittelalterlichen Eucharistieauffassung162 wird man kaum die Darstellung einer theologischen Grundgestalt erwarten, wenn man nicht die mittelalterlichen Meßandachten hinzuzieht, wie dies H. B. Meyer tut163. Zu sehr waren sakramentalistische Frömmigkeit und philosophisch orientierte Theologie auseinandergefallen. Meyer gibt in einem eigenen Abschnitt »Meßtheologie und Meßfrömmigkeit«164 die Gründe an, die die Suche nach einer theologischen Sinngestalt der Eucharistie vereitelten.
Wenn uns nun die dankenswerte Arbeit von J. Wohlmuth165 vorliegt, die historisch-kritisch die Frage nach Realpräsenz und Transsubstantiation im Konzil von Trient erörtert, so läßt sich fragen, ob Realpräsenz und Transsubstantiation mit der formalen Sinngestalt der Eucharistie zu tun haben.
Tatsächlich kann Wohlmuth schon bei der Analyse der 4 Originalvoten aus den Theologenkommissionen von 1547 bezüglich des von Cervini, Lainez und Salmeron ausgearbeiteten Artikel l auf Franciscus Visdomini hinweisen, der die Begriffe Eucharistie, Synaxis und Testamentum erklärt. Zusammenfassend sagt Wohlmuth: »Die Eucharistie ist ›Gnadensakrament‹, weil es das Wort Gottes und Christus ›voll Gnade und Wahrheit‹ enthält. Es enthält also nicht nur das Verdienst oder das opus operatum, das Christus am Kreuz vollbrachte, sondern ihn selbst mit Leib, Blut und Seele, d. h. in seiner einstigen irdischen und jetzigen himmlischen Existenz. Die Eucharistie ist – zweitens –›Gnadensakrament‹, weil es uns überreiche Gnade schenkt und uns auf wunderbare Weise anspornt und beflügelt, die Großtaten Gottes zu verkünden und dem, der sich selbst uns gewährt, dafür gebührend zu danken.«166
Man spürt, daß es Visdomini um ein Sinngefüge der Eucharistie geht: »Abgesehen davon, daß hier das übliche Redeschema gewaltig durchbrochen wird, findet man bei Visdomini wirkliche Theologie, die allein fähig gewesen wäre, Antwort auf die Anfragen der Reformatoren zu geben. Eucharistie ist zuerst auf uns zukommendes Gnadengeschenk, das zugleich die lobpreisende Antwort von unten her ermöglicht. Gnade ist dabei nicht ein abstraktes Verdienst oder opus operatum, sondern Christus selbst als lebendige Person, in dem die Fülle der Gnade und das Wort Gottes auf uns zukommt, der ›Christus totus‹ in seiner vollen irdischen und erhöhten Existenz. Ausdrücklich wird betont, daß Gott selbst sich ›pro nobis‹ gewährt, ausliefert, um noch einmal festzuhalten, daß unser Lobpreis in der Eucharistie Antwort, nicht Eigeninitiative, nicht Werk ist. Interessant ist dabei, daß Visdomini nicht einmal mit dem Ausdruck opus operatum zufrieden ist, obwohl er es als opus operatum Christi versteht. Aber selbst dann wäre es ihm noch zu sachhaft aufgefaßt, zu wenig die ganze Person Christi mit seinem Heilswerk meinend. Eucharistie als ›sacramentum gratiosum‹ bedeutet also für den Autor eine Bewegung von oben nach unten – wenn man in dieser Terminologie sprechen will –, welche die Bewegung von unten nach oben bewirkt. Damit gibt Visdomini ohne Polemik eine fundamentale Antwort auf das reformatorische Grundanliegen. Die Antwort fließt ihm ganz selbstverständlich aus seiner theologischen Überlegung zu; vielleicht ein kleines Zeichen dafür, daß eine solche Position auch in der damaligen katholischen Theologie möglich war.«167
Abschließend sagt Wohlmuth unter anderem: »Da im Anschluß an gute theologische Tradition zwischen ›Corpus verum‹ und ›Corpus mysticum‹ unterschieden wird, erkennt Visdomini richtig, daß der Streit um die Präsenz des ›corpus verum‹ das hermeneutische Problem der Schriftauslegung heraufbeschwört. Überdies zeigt sich in der Auseinandersetzung mit Zwingli um die Interpretation von Jo. 6, daß auch christologische und soteriologische Grundpositionen in Frage stehen.«168
Daß auch Lainez nach den Protokollen zu Artikel 1 eine Grundgestalt der Eucharistie anzielt, zeigen seine Ausführungen gegen Zwingli über den Begriff der Commemoratio: »Der angeführte Grundsatz: ›summa commemoratio est una cum re commemorata‹ wird sogar noch ›personal‹ gewendet, indem eine Person selbst ihr vergangenes Werk repräsentiert. Das eucharistische Festmahl der Befreiung, das in der Erinnerung von Kreuz und Auferstehung besteht, erinnert nicht nur an Christus, sondern der präsente Christus selbst ›erinnert‹ seinen Tod und seine Auferstehung, in dem er uns an sich teil gibt.«169 Mit Recht schließt Wohlmuth: »Theologisch am bedeutsamsten sind wohl die in Auseinandersetzung mit Zwingli (?) geäußerten Bemerkungen zur ›commemoratio‹, die sehr geeignet gewesen wären, ein eucharistisches Gesamtkonzept zu entwickeln.«170
Aus der Diskussion bis zum Entstehen des Kanon 3 der Sessio XIII ließen sich freilich auch Relationen anführen, in denen der für den Verlauf des Konzils folgenreiche Mangel einer Sinngestalt bis zur Zweiteilung des eucharistischen Geheimnisses in Realpräsenz und Meßopfer deutlich wird171.
Hier sind auch die theologiegeschichtlichen Beiträge von J. Staedtke172, E. Iserloh173 und A. Peters174 sowie die liturgiegeschichtlichen von A. Niebergall175 zu konsultieren. Sie zeigen die verschiedensten Zugänge zur Eucharistie auf, wie sie der Lauf der Geschichte hervorbrachte. Zu einer Frage nach einer theologischen Grundgestalt scheint man in den von ihnen behandelten Zeitepochen nicht gekommen zu sein. Diskussionen um das Zueinander von »veritas« und »figura«, Wort und Sakrament, Substanz und Akzidens, Amt und Gemeinde, Messe und Opfer, um Aristotelesrezeption und Nominalismus sowie der pietistische Individualismus verstellen die Frage nach der theologischen Sinngestalt der Eucharistie. Erst mit dem Anbruch des ökumenischen Gesprächs176 beginnt auch das Ringen um die theologische Sinngestalt des Abendmahls.