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2. Epikletische, von Bitten (und Dank) bestimmte Existenz des Menschen und Eucharistie oder die Frage: »Wer liebt mich?« a) Der Mensch – eine epikletische Existenz
ОглавлениеDie zweite, den Menschen bestimmende existentelle Frage lautet: »Wer liebt mich?« Diese Frage ist mit der ersten eng verbunden. Denn auch hier muß ich meine Gegenwart und Geschichte abschreiten, um zu entdecken, wer mich liebt. Auch muß ich in die Zukunft schauen, ob dort jemand sei, der mir Leben ermöglicht. Aber diese Frage ist noch schwieriger zu beantworten als die erste. Wir erfahren nämlich, daß wir die Liebe uns gegenüber nicht erzwingen können. Denn erzwingen wir uns die Liebe des anderen, dann ist sie keine Liebe mehr. Wir lernen: Liebe ist wesentlich Ausdruck echter Freiheit und nicht jener falschen Freiheit, die wie ein Schmetterling von einer Blüte zur anderen flattert und sich nicht bindet. Der ist ein echt Liebender, der sich in seiner Freiheit an einen anderen Menschen bindet, ihn aber in dieser Selbstbindung zugleich freigibt. Zwischen zwei Partnern ist Liebe die in Treue zueinander gebundene Freiheit, wobei die wechselseitige Treue darin besteht, die Freiheit des anderen nicht aufzuheben, sondern zu fördern. Liebe ist deshalb nicht zu erzwingen, weil Freiheit nicht zu erzwingen ist. Der eine Partner kann den anderen um seine Liebe nur bitten oder für die gewährte Liebe danken. Weil wahre Liebe wirklich frei ist, ist sie auch unbestechlich. Nur die Bitte mit leeren Händen und der Dank ohne Rückzahlung wird der Freiheit eines anderen Partners gerecht. Und damit ändert sich die Frage »Wer liebt mich?« in die Bitte der leeren Hände: »Liebe mich selbstlos; liebe mich allein um meiner selbst willen! Laß mich in deiner selbstlosen Liebe so werden, wie ich werden werde: d.h. laß mir meine eigene Zukunft; laß mich so geworden sein, wie ich ward: d.h. laß mir meine eigene Geschichte und laß mich so sein, wie ich bin: d.h. laß mir meine eigene Gegenwart!« Ich muß hier nicht aufzählen, wie viele Irrtümer über Freiheit, Treue und Liebe es gibt.