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Hotel Boston, Paris.

Das letzte Jahr im Jahrhundert der Aufklärung.Das kommende Jahrhundert würde ungeordnet werden und trivial.

Es war ein Sonnabend im Sommer. Im Herbst sollte der junge Bonaparte nach der Rückkehr vom Ägyptenfeldzug angesichts des politischen Durcheinanders erklären:

„Citoyens, la révolution est terminée!“

Aimé Bonpland betrat das Hotel. In der Hitze der Empfangshalle fühlte er sich unwohl.

Er kam von einem langen Ausflug zum Sammeln von Pflanzen an der Straße nach Versailles zurück. Er hatte beschlossen, sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben, weil er keine Nachrichten erhielt, wann die Expedition Baudin aufbrechen würde.

Er übergab seinen Hut dem Hoteldiener und holte von seinem Rücken den Korb hervor, aus dem die Zweige der Pflanzen herausguckten. Er verströmte den kräftigen Geruch der versengten Felder. Aimé Bonpland wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Ohne übertriebene Hast wandte er seine Aufmerksamkeit davon ab und richtete sie auf den jungen Ausländer, der im einzigen Sessel saß und mit einem spöttischen Lächeln im Journal des Dames et des Modes las, das er nur mit den Fingerspitzen berührte. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein, nur wenig mehr als Aimé Bonpland. Er war Deutscher und ein Mann der Wissenschaft, das sah man ihm an. Abgezehrt, aber nicht schwächlich. Seine Finger waren spitz, doch wohlgeformt. Ein Siegelring mit einem Wappen glänzte am kleinen Finger seiner linken Hand. Die blauen Augen machten einen angenehmen, freundlichen Eindruck. Die Locken fielen ihm in die Stirn, wie es damals üblich war.

Der Fremde blickte Aimé Bonpland an.

Er ließ die Zeitschrift auf der Armlehne des Sofas liegen und erhob sich geschmeidig und gefällig. Er kam auf Aimé Bonpland zu. Ein frischer Lavendelgeruch ging ihm voraus.

Der Hoteldiener machte sie miteinander bekannt.

Aimé Bonpland verneigte sich und erhielt einen kräftigen Händedruck. Er erklärte, dass er Arzt sei.

Alexander von Humboldt stellte sich in fließendem Französisch als Preuße, Freiherr und Mann der Wissenschaft vor. Er war Eigentümer des Schlosses Tegel. Auch wenn die Mineralogie sein Hauptbetätigungsfeld war, schätzte er die Botanik; daher rührte sein Interesse an dem Korb voller Pflanzen. Er war Astronom und Geograph sowie Physiker und Chemiker.

Er strahlte Wohlstand aus und elegante Ungezwungenheit. Ein weißes Satinband schloss den eine Handbreit hohen, weißen Kragen, darauf war ein winziger Tintenfleck zu sehen. Er trug Manschettenknöpfe aus Topas.

Sie tauschten Visitenkarten aus. Aimé Bonpland hatte sich gerade welche drucken lassen. Darauf stand: „Aimé Bonpland, Médecin.“

Am Dienstag waren sie bereits Freunde geworden. Sie gingen dazu über, sich nicht mehr förmlich mit dem Familiennamen anzureden, sondern beim Vornamen zu nennen.

Humboldt erklärte, er sei Anhänger der Aufklärung und Parteigänger der Revolution. Er hatte dabei geholfen, die Kulissen für das Fest zum ersten Jahrestag des 14. Juli auf dem Marsfeld aufzubauen. Er hatte eine Gärtnerkarre mit Zement für die Errichtung des Altars des Vaterlandes dorthin gebracht. Er war gegen jedwede Form der Unterdrückung und Vorurteile.

Aimé Bonpland vertrat dieselben Ideen, aber er war weniger praktisch. Erst später würde er über die theoretischen Überlegungen hinausgehen.

Alexander von Humboldt hatte sich auch für die Expedition Baudin gemeldet, aber er spielte mit dem Gedanken, seine Pläne zu ändern.

Dies war der Anfang.

Und so ging es weiter: Während der letzten Wochen des Sommers zogen sie gemeinsam aus, um Pflanzen zu sammeln.

Sie fuhren in Humboldts Einspänner, auf dem Kutschbock saß ein korpulenter Bretone. Sie amüsierten sich über seine schwerfällige Art. Sie fuhren zur Porte de Charenton hinaus und kamen in den Bois de Vincennes.

Zu gegebener Zeit stiegen sie aus, gelegentlich am Ufer des Sees, und befahlen dem Kutscher, sie an der Porte de Charenton zu erwarten.

Wenn man den Bois de Vincennes hinter sich ließ, öffnete sich vor einem eine liebliche Straße, an deren Seiten Birken standen. Durch die stehende heiße Luft drang das Geräusch ferner Zikaden.

Sie stimmten ihre Uhren miteinander ab, vereinbarten einen Treffpunkt und trennten sich. Sie meinten, so sei es leichter, etwas zu entdecken.

Das Ergebnis war nicht immer ermutigend. Humboldt zog folgenden Schluss:

„Lieber Aimé, ich muss Gegenden fern von diesem dekadenten Europa aufsuchen, dessen Jahrhunderte alte Vergangenheit mir das Gemüt verfinstert. Du hast sicherlich das Buch von Desfontaines gelesen.“

Sie suchten auch die Parks von Fontainebleau und Rambouillet auf.

Eines Tages trafen sie sich mit beinahe leeren Körben wieder. Humboldt zeigte auf eine bläuliche Blume.

„Weißt du, was für eine Blume das ist?“

„Eine Pfingstrose, Alexander?“

„Hier an diesem Ort, um diese Jahreszeit? Nie und nimmer, mein lieber Botaniker.“

Humboldt befestigte sie am Revers von Aimé Bonpland. „Da macht sie sich gut. Ich werde sie Parisii bonplandia nennen.“

Sie brachen in Lachen aus.

Aimé griff eine kleine gelbe Blume aus seinem Korb. Er tat dasselbe wie vorher Humboldt.

„Und dies ist eine Parisii humboldtiana.“

Sie lachten wieder. Es war eine Albernheit.

Untergehakt kehrten sie zu ihrer Kutsche zurück.

Sie fanden den Kutscher im Gespräch mit einem Dienstmädchen vor, das sofort davonlief.

Der Bretone trieb die Pferde an und erzählte ihnen den Witz von der Barfüßerin, die versehentlich in einem Bordell um Almosen bat: „Da sagte die Hure der Nonne, verlass das Kloster, liebe Schwester, hier verdienst du im Liegen mehr Geld als dort beim Knien.“

Beide mussten lachen, dann wurden sie nachdenklich.

„Schau dir diesen vulgären Menschen an, Aimé“, sagte Humboldt, „es gibt Leute, die nach dem Vergnügen der Sinne leben. Für uns sind die ernsthaften Dinge und ganz besonders das Studium der Natur Hindernisse für die Sexualität.“

Dann wechselten sie kein Wort mehr miteinander, bis sie im Hotel Boston ankamen.

Gestalt im Schatten

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