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ОглавлениеAimé Bonpland ging, sobald sie in Cumaná angekommen waren, in eines der vielen von den Behörden tolerierten Freudenhäuser. Der Cabildo kassierte von ihnen Steuern, die unter der Hand an das Waisenhaus für Mädchen weitergereicht wurden, das die Diözese des Heiligen Thomas von Guayana unterhielt.
Diese Lasterhöhlen lagen um den Hafen herum. Selbst aus der Ferne hörte man schlüpfrige Lieder und Gitarrenklänge. Dort konnte man seinen Ruf verlieren und alle Krankheiten der Welt erwerben.
Aimé Bonpland verspürte einen unwiderstehlichen Drang, er war jung, und die Reise war lang und gefährlich gewesen. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt.
Binnen einer halben Stunde kam sein Körper zur Ruhe.
Auf dem Rückweg hatte er noch den Duft von Vetiveröl im Haar. Er ging durch die von Laternen, die man in die Nischen des Mauerwerks gestellt hatte, nur spärlich beleuchtete Straße. Er trällerte ein Lied.
Als er die Haustür öffnete, sah er, dass im Salon Licht war.
Humboldt saß in Unterhosen und Pantoffeln mit nacktem Oberkörper da, wedelte mit einem Strohfächer, um die Moskitos zu verscheuchen, und las in einem unglaublich dicken Buch. Jacke und Hemd hingen über der Lehne eines Sessels. Er hob den Blick nicht, als Aimé Bonpland hereinkam, aber er sagte:
„Aimé könnten Sie einen Augenblick Platz nehmen?“
Aimé Bonpland setzte sich Humboldt gegenüber. Er schlug die Beine übereinander. Er sah, wie der andere das Buch schloss, es auf den Tisch legte, die Brille abnahm, langsam die goldenen Bügel einklappte und sie in das Schildpattetui steckte, und wartete ab.
Humboldt schaute ihm in die Augen.
„Aimé, mein lieber Aimé, hochgeschätzter Aimé, niemand entwickelt eine Theorie, wenn er sich unkontrolliert der Fleischeslust hingibt. Das Gehirn muss sich auf seine edlen Aufgaben konzentrieren.“
Noch bevor Aimé Bonpland antworten konnte, setzte er hinzu:
„Frauen verdienen, dass man sie in der Gesellschaft in Ehren hält, und sie sind uns willkommene Gefährtinnen, besonders wenn sie klug sind. Aber nur Männer können uns wirklich verstehen, denn sie sind wie wir. Das mag Ihnen abwegig erscheinen.“
„In der Tat.“
„Ich weiß schon, dass ich niemals überwachen sollte, was Sie tun. Ich bin tolerant und habe stets für die Freiheit gekämpft. Ich bin ein Mann der Wissenschaft. Ich kenne die biologischen Funktionen. Es muss zwei gegensätzliche Geschlechter geben, damit die Arten überleben.“
„Ja.“
„Ich bitte Sie, keine Befürchtungen zu hegen. Ich habe die Abstinenz schätzen gelernt. Es genügen mir Ihre angenehme Gegenwart, Aimé, Ihre Gesellschaft, Ihre schöne Stimme und Ihre Worte, Ihr Talent und Ihr Wissen. Es genügt mir, dass Sie mir treu sind und dem, was wir zusammen aufbauen werden. Gestatten Sie mir indessen, mich von dem Schönen anrühren zu lassen, wo es mir begegnet.“
Humboldt stand auf und reichte ihm die Hand.
„Bleiben wir dabei, für immer?“
„Ja, Alexander.“ Aimé Bonpland drückte Humboldt die Hand.
Aimé Bonpland sagte nichts mehr. Aber etwas war geschehen.
Im Bett wartete er auf den Schlaf. Er dachte an diesen Abend und die Stunden, die er seit dem Anbruch der Dämmerung erlebt hatte.
Er verließ das Zimmer mit einer angezündeten Lampe in der Hand, ging in den dunklen Flur und blieb vor Alexanders Tür stehen.
Drinnen brannte noch Licht.
Er schaute auf die Klinke. Seine Hand bewegte sich auf diese zu.
Aimé Bonpland hielt inne.
Er ging in sein Zimmer zurück und löschte das Licht.
Das Licht in Humboldts Zimmer sollte noch bis zum Morgengrauen brennen.
Dieses Schweigen wie der Wechsel von Licht und Schatten sollte zwischen ihnen andauern bis zum Tode.