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Die großen Sportanlagen am Stadtrand galten als beliebter Treffpunkt für Honoratioren und solche, die sich dafür hielten. So ziemlich jeder Verein hatte sich hier im Lauf der Jahrzehnte ein eigenes Klubheim gebaut. Längst gab es in den meisten dieser Gaststätten einen Stammtisch, an dem regelmäßig die große und die kleine Politik ausführlich diskutiert wurden. Meist war es eine reine Männerrunde, bestehend aus Kommunalpolitikern sowie Führungskräften aus Wirtschaft und Sportfunktionären, die sich zum geselligen Treffen hier einfand.

Neuerdings hatte sich auch eine attraktive junge Dame namens Analena Heuberg dazugesellt, die zwar in Ulm wohnte, jedoch in Göppingen ein Schmuckgeschäft betrieb. An diesem schwülen Augustabend war sie nach längerer Zeit wieder zum Stammtisch in eines der Vereinsheime gekommen, was den heutigen Wortführer, den Fahrlehrer, Reisebürobesitzer und Kommunalpolitiker Hans Siebeneicher, sichtlich aus der Ruhe brachte. Allerdings war dies beim Anblick einer jungen Frau bei ihm keine Seltenheit, insbesondere wenn sie so luftig-sommerlich gekleidet war wie diese Juwelierin. Der Endvierziger mit schütterem weißem Haupthaar zeigte sich in Anwesenheit des weiblichen Geschlechts immer besonders charmant, während er bisweilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu herben cholerischen Anfällen neigte.

Jetzt rückte er einen Stuhl heran, um links neben der Juwelierin sitzen zu können, die er mit ein paar Komplimenten für sich gewinnen wollte.

Aber wie in den vergangenen Wochen so oft, drehte sich das Gespräch ziemlich schnell um das, was die Göppinger in diesem Sommer am meisten interessierte: der rätselhafte Überfall auf den Bankdirektor und dessen Tochter. Heiko Emmerich, bei der Industrie- und Handelskammer engagierter Mittelständler, der mit Kurzarmhemd und offenem Kragen trotz seines fortgeschrittenen Alters auf burschikoses Auftreten Wert legte, machte eine abwehrende Handbewegung: »Fangt mir doch nicht wieder mit dieser Geschichte an. Wenn ihr mich fragt, will die Staatsanwaltschaft nicht wirklich mit der Sprache heraus.«

»Du meinst, da wird etwas zurückgehalten?« Niels Adamus, der bei der Handwerkskammer einen verantwortlichen Posten bekleidete und im blauen Poloshirt erschienen war, wurde hellhörig. »Du glaubst immer noch, die wissen mehr, als sie sagen wollen?«

Hans Siebeneicher, den das neuerliche Geplänkel um den Überfall nervte, schnitt mit kräftiger Stimme den beiden das Wort ab: »Habt ihr denn kein anderes Thema mehr? Ich glaube kaum, dass dies unsere liebe Analena interessiert. In Ulm kräht doch kein Hahn nach diesen Gangstern.« Er zwinkerte ihr zu, während sie an ihrem Weißweinglas nippte.

»Na ja«, meinte sie kühl, ohne Siebeneicher direkt anzusprechen. »Ich möchte das nicht erleben müssen, was man dem Sparkassenchef angetan hat.«

»Haben Sie denn nie Angst, überfallen zu werden?«, fragte Adamus, um die Dame nun auch ins Gespräch mit einzubinden.

»Angst nicht unbedingt«, erwiderte sie und drehte nervös ihr abgestelltes Glas. »Aber in der dunklen Jahreszeit, wenn’s ab 17 Uhr schon Nacht ist, hab ich manchmal ein ungutes Gefühl, wenn zwei merkwürdige Typen reinkommen und so tun, als interessierten sie sich für eine teure Uhr.«

»Aber Sie haben doch eine Alarmanlage?«, warf Siebeneicher fragend ein.

»Die Anlage schützt den Laden nach Geschäftsschluss. Aber ich hab natürlich einige Vorrichtungen, die tagsüber für Sicherheit sorgen«, erklärte Analena Heuberg selbstbewusst. Mehr wollte sie dazu nicht sagen. Man wusste ja nie, wer an den Nebentischen möglicherweise große Ohren kriegte.

Siebeneicher wollte noch etwas anmerken, aber da kam im Dunst des Zigarettenqualms ein groß gewachsener Mann aus Richtung Eingang auf sie zu. »Oh, oh, der Herr Autoverkäufer kann’s auch schon einrichten«, stichelte Niels Adamus und rückte seine Designerbrille zurecht.

»Hi, Leute«, begrüßte Dieter Blaubart die Runde mit breitem Lachen, worauf er einen freien Stuhl an den runden Tisch heranzog.

Blaubart, ein braun gebrannter Kerl von knapp 50 Jahren mit einigen Falten auf der Stirn, war offenbar geradewegs aus dem Verkaufsraum seines Autohauses gekommen, das sich auf Ex- und Import spezialisiert hatte. Rein äußerlich erweckte er den Anschein, ein Mann von Welt zu sein: korrekter Freizeitlook, passend wohl zu den Fahrzeugmodellen, die auf sportliche Typen setzten. Woher er die hochpreisigen, meist gebrauchten Wagen bezog und wohin sie gingen, darüber wollte er nur ungern sprechen.

»Hallo, schöne Frau«, schmeichelte er der einzigen Dame am Tisch und ließ sich neben ihr nieder. »Haben die Herren Sie gut unterhalten?«

Adamus fühlte sich zu einer Antwort berufen: »Entschuldige, Dieter, aber ich denke, der Dame ist es bisher nicht langweilig geworden.«

Analena reagierte nicht darauf. Ihr war das großspurige Getue von Dieter zuwider. Sie mochte keine Männer, die derart eingebildet waren wie der Autohändler, der wohl glaubte, die halbe Welt kaufen zu können.

Siebeneicher versuchte, die leichte Verstimmung der knapp über 30-Jährigen aufzuheitern: »Geh’n Sie auch zum Spiel gegen Kiel?«, lenkte er ab. Gemeint war die für Mitte September anstehende Begegnung der Göppinger Bundesliga-Handballmannschaft Frisch Auf gegen THW Kiel in der Hohenstaufenhalle. Siebeneicher, selbst begeisterter Sportfan, wusste, dass sich die junge Frau für Handball interessierte.

»Das wird ein spannendes, aber schwieriges Spiel. Sie erinnern sich: Im Januar haben wir auswärts bei denen immerhin gewonnen.«

Emmerich staunte: »Oh, Sie sind aber gut informiert.«

»Ich kann Ihnen sogar sagen, wie Frisch Auf in Kiel gewonnen hat: 18 zu 13«, trumpfte Analena auf und sah in die verdutzten Gesichter der Männer. Natürlich gab es bei den Göppinger Honoratioren sehr viele Handballfans, denn es gehörte zum guten Ruf und war sozusagen Ehrensache, fest zu dem Bundesligisten zu stehen. Aber wenn sich noch jemand an Spielergebnisse von vor über einem halben Jahr erinnern konnte, musste er schon ein ganz eingefleischter Fan sein.

Den Männern am Tisch wurde klar, dass sich Analena als Ulmerin schon sehr mit Göppingen identifizierte. »Ich hab selbst mal Handball gespielt«, verriet sie stolz. »In Ulm. Aber nicht sehr lange.«

»Und deshalb haben Sie sich für die Handballstadt Göppingen entschieden?«, wollte Adamus wissen und sah sie über das dicke schwarze Gestell seiner Brille hinweg verwundert an.

»Nein, nicht deswegen, sondern weil das Juweliergeschäft zur Verpachtung anstand und ich von der Bank einen günstigen Kredit für die Existenzgründung bekommen hab.«

»Sie sind gelernte Juwelierin?«, hakte Autohändler Blaubart nach, weil sie bei ihren letzten Treffen darüber nicht gesprochen hatten.

»Ja, bin ich. Goldschmiedin, genauer gesagt. Aber mein Traum war es schon immer, selbstständig zu sein.«

»Da braucht man allerlei Knete«, warf Siebeneicher aus eigener Erfahrung ein.

»Das kann man wohl so sagen. Jetzt mach ich das seit drei Jahren, aber ganz so locker sitzt den Göppingern das Geld nicht. In Ulm ist mehr gelaufen.«

Blaubart grinste. »Die Göppinger sind sparsam. Anstatt das Geld auszugeben, holen sie sich’s lieber bei der Bank – auf unkonventionelle Weise.« Kaum hatte er es gesagt, spürte er, dass diese ironische Anspielung auf den Bankraub in diesem Augenblick völlig unpassend gewesen war.

Siebeneicher war erneut um Schadensbegrenzung bemüht: »Nun lass mal. Oder willst du behaupten, die Räuber seien wirklich Göppinger?«

Heiko Emmerich, der als einer der Verantwortlichen der Industrie- und Handelskammer stets darauf achtete, den Standort Göppingen nicht in Verruf kommen zu lassen, stellte klar: »Wir sollten das Thema nicht vertiefen. Je mehr Gerüchte in Umlauf kommen, desto schneller könnte auch einer von uns in die Schusslinie geraten.«

»Einer von uns?«, entfuhr es Siebeneicher und sah in irritierte Gesichter. »Glaubst du, jemand würde ausgerechnet uns so ein Kidnapping zutrauen?« Er lächelte verlegen.

Wieder gab sich der Autohändler vorlaut: »Natürlich. Jeder in der Stadt könnte es gewesen sein. Jeder, der in einer finanziellen Klemme sitzt. Oder habt ihr etwa alle keine Schulden?«

Die Gentlemen-Gangster

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