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Klassifikation metakognitiver Kompetenzen
ОглавлениеMetakognitive Strategien gehören zu den Metakognitionen. Diese umfassen Phänomene, Aktivitäten und Erfahrungen, die mit dem Wissen und der Kontrolle über eigene kognitive Funktionen (z. B. Wahrnehmen, Lernen, Verstehen, Denken) zu tun haben. Von den übrigen mentalen Phänomenen, Aktivitäten und Erfahrungen, den sogenannten Kognitionen, heben sich Metakognitionen dadurch ab, dass die kognitiven Zustände oder Funktionen selbst zu den Objekten der Reflexion werden. Metakognitionen übernehmen sozusagen die Kommandofunktionen der Kontrolle, Steuerung und Regulation während des Lernens. Somit weisen sie eine funktionale Überlappung zur zentralen Exekutive des Arbeitsgedächtnisses auf ( Kap. 2.1).
Schon die frühen Definitionen des Begriffs (z. B. Flavell, 1976) enthalten die bis heute verbreitete Zwei-Komponenten-Sichtweise der Metakognition, der zufolge zwischen dem Wissen über eigene kognitive Funktionen (den deklarativen Metakognitionen) und andererseits der Kontrolle der eigenen kognitiven Aktivitäten (den prozeduralen Metakognitionen), unterschieden wird. So sinnvoll die Unterscheidung zwischen metakognitivem Wissen und metakognitiver Kontrolle auch ist, so unzureichend ist sie für die Beschreibung der Vielfalt der Metakognitionsforschung. Hierfür bedarf es einer detaillierteren Unterscheidung zwischen nicht weniger als fünf verschiedenen Subkategorien der Metakognition, wie sie bspw. Hasselhorn in seiner Klassifikation metakognitiver Komponenten (1992) vorgenommen hat:
1. Systemisches Wissen
a) Wissen über das eigene kognitive System und seine Funktionsgesetze
b) Wissen über Lernanforderungen
c) Wissen über Strategien
2. Epistemisches Wissen
a) Wissen über eigene aktuelle Gedächtniszustände bzw. Lernbereitschaften
b) Wissen über die Inhalte und Grenzen eigenen Wissens
c) Wissen über die Verwendungsmöglichkeiten eigenen Wissens
3. Exekutive Prozesse (Kontrolle)
a) Planung eigener Lernprozesse
b) Überwachung eigener Lernprozesse
c) Steuerung eigener Lernprozesse
4. Sensitivität für die Möglichkeiten kognitiver Aktivitäten
a) Erfahrungswissen
b) Intuition
5. Metakognitive Erfahrungen bezüglich der eigenen kognitiven Aktivität
a) bewusste kognitive Empfindungen
b) bewusste affektive Zustände
Die ersten beiden Subkategorien weisen auf zwei voneinander abzugrenzende Facetten der wissensbezogenen Metakognition hin. In Anlehnung an einen Vorschlag von Cavanaugh (1989) kann nämlich zwischen systemischem Wissen und epistemischem Wissen unterschieden werden. Die systemische Wissensdomäne umfasst das Wissen über die Gesetzmäßigkeiten, Einflussfaktoren sowie Stärken und Schwächen eigener kognitiver Funktionen. Wenn ich weiß, unter welchen Bedingungen ich welche Inhalte besonders gut lernen kann, dann spricht dies für die Qualität des systemischen Wissens.
Davon unabhängig ist das Wissen über den eigenen Wissensbestand und über seine Lücken, über den Erwerb des eigenen Wissens und über seine Verwendungsmöglichkeiten sowie das Wissen über die aktuelle kognitive Verfassung und Lernbereitschaft. Dieses Wissen darüber, was ich (über mich und meine Wissensbestände) weiß, ist die epistemische Wissensdomäne der Metakognition.
Eine dritte Subkategorie bilden die exekutiven Metakognitionen, die identisch sind mit der Kontrollkomponente der traditionellen Zwei-Komponenten-Sichtweise Flavells. In diese Subkategorie gehören die bereits beschriebenen metakognitiven Strategien der Planung, Überwachung, Bewertung und Steuerung eigener Lernprozesse.
Bereits Flavell war von der Bedeutung zweier weiterer Facetten der Metakognition überzeugt, deren Erforschung sich allerdings als vergleichsweise schwierig erwiesen hat. Dabei handelt es sich zum einen um die Sensitivität, zum anderen um die metakognitive Erfahrung. Unter Sensitivität versteht man das Gespür für die derzeit verfügbaren Möglichkeiten eigener kognitiver Aktivitäten. Das ist für eine effiziente Nutzung exekutiver Überwachungsprozesse unerlässlich. Vermutlich kann dieses Gespür sowohl die Folge eines hinreichenden Erfahrungswissens sein als auch der Ausdruck einer »intuitiven« Sensitivität.
Während diese Sensitivität keineswegs bewusst sein muss, versteht man unter den metakognitiven Erfahrungen bewusste kognitive Empfindungen (z. B. »verwirrt sein« über eine scheinbar widersprüchliche Information) oder affektive Zustände bezüglich der eigenen kognitiven Aktivität (z. B. »bedrückt sein« darüber, dass man eine neue Information nicht versteht).
Im Verlauf eines Lernprozesses kommt es zu einer komplizierten Vernetzung der verschiedenen Subkategorien der Metakognition. Aufgrund dieser Vernetzung ist es oft kaum möglich, die theoretisch unterscheidbaren Aspekte der Metakognition empirisch auseinanderzuhalten. Dennoch erscheint uns die vorgelegte differenzierte Klassifikation sinnvoll und notwendig. Denn erstens kann man nur so den Versuch unternehmen, die Metakognitionen von anderen Konzepten abgrenzen. Und zweitens macht erst eine solche Differenzierung die Beschreibung und Erklärung der mannigfaltigen Einflussnahme von Metakognitionen auf das Lernverhalten möglich.
Noch Anfang der 1980er Jahre war man skeptisch, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Metakognitionen und Lern- und Behaltensleistungen gibt. Dies änderte sich erst, als Schneider (1985) eine erste Metaanalyse vorlegte. Aus 27 Publikationen mit statistischen Zusammenhangsanalysen zwischen Metakognition und Leistungen destillierte er einen mittleren Zusammenhang von r =.41 – ein Ergebnis, das die Zweifel an der Bedeutsamkeit der Metakognitionen für den Lernerfolg auszuräumen vermochte.
Doch wie nehmen Metakognitionen Einfluss auf das Lerngeschehen? Man geht davon aus, dass es nicht nur einen einzigen Wirkmechanismus gibt. Komponenten der verschiedenen Subkategorien von Metakognition können dafür verantwortlich sein, dass beim Bearbeiten einer Lernanforderung eine Reflexion über den eigenen Lernprozess, über den erreichten Wissensstand und über die strategischen Lernmöglichkeiten in Gang gesetzt wird. So kann z. B. beim Lesen eines Textes eine metakognitive Erfahrung bewusst werden, weil man Inkonsistenzen zwischen verschiedenen Textabschnitten empfindet. Oder man bemerkt bei dem Versuch, die Inhalte des gelesenen Textes zusammenzufassen, dass man einen Textabschnitt doch noch nicht verstanden hat und beginnt deshalb von neuem mit der Planung und Ausführung von Aktivitäten, um das Verständnisproblem zu überwinden. Bei aller Unterschiedlichkeit der Auslöser und der metakognitiven Komponenten, die an derartigen Lernprozessen beteiligt sind, lassen sich zwei Merkmale von Lernprozessen hervorheben, bei denen Metakognitionen offenbar eine zentrale Rolle spielen: Zum einen ist das die Reflexion über den eigenen Lernprozess und zum anderen sind es die durch diese Reflexion ausgelösten strategischen Aktivitäten.
Die Reflexion kann dabei sowohl vergangenheitsbezogen als auch gegenwartsbezogen sein: vergangenheitsbezogen als Nachdenken über Handlungen, gegenwartsbezogen als Nachdenken während des Handelns. Beide Formen der Reflexion sind gleichermaßen Ursprung wie Folge von Metakognitionen. So ist etwa das Nachdenken über Handlungen gleichzeitig die Folge exekutiver Metakognitionen und der Ursprung metakognitiver Erfahrungen und systemischen Wissens. In ähnlicher Weise zeugt auch die metakognitive Aktivität des Nachdenkens während einer Lernhandlung von metakognitiver Sensitivität und erzeugt gleichzeitig epistemisches Wissen. Die Reflexion ist somit Bindeglied zwischen verschiedenen metakognitiven Kompetenzen einerseits und zwischen Metakognitionen und Lernerfolg bzw. Lernleistung andererseits. Gleichzeitig macht sie den Lernprozess bewusst und sorgt dafür, dass verfügbare Strategien auch tatsächlich genutzt werden. So tragen die metakognitiven Kompetenzen des Lernenden zum effizienten Ablauf von Lernprozessen und damit zum erfolgreichen Lernen bei. Dies wirft die Frage auf, wann und wie solche Strategien als individuelle Voraussetzungen erfolgreichen Lernens eigentlich erworben werden.