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Tania taperte im Schlafanzug in die Küche und kochte sich einen starken Kaffee, sie hatte ausgesprochen schlecht geschlafen. Sie fühlte sich völlig schlapp und trotzdem unruhig und aufgekratzt. Eigentlich musste sie heute planmäßig die Bienenstöcke in Lilienthal kontrollieren, aber es war ihr ganz recht, dass sie das nicht schaffen konnte. Dazu brauchte sie ihr Auto, und das stand leider noch in Oberneuland, sie schüttelte sich schon bei dem Gedanken, allein zu Fuß in diesen dunklen Park zu gehen, um den Wagen zu holen. Sie drückte das Sieb ihres Kaffeebereiters nach unten und goss das tiefschwarze Gebräu in einen großen Becher. Sie gab ausnahmsweise üppig Milch und Zucker dazu und stellte sich wie sie war mit ihrem knappen Höschen und dem kurzärmeligen Sleep-Shirt auf den Balkon. Der Himmel wies das typische Bremer Einheitsgrau auf. Es war empfindlich kalt geworden im Vergleich zum Vortag. Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, war sie ein Eiskloß, aber wenigstens fühlte sich ihr Kopf jetzt klarer an. Sie wischte den Gedanken beiseite, sich heute in der Baguetterie krank zu melden. Was sollte sie auch allein den ganzen Tag zu Hause vor sich hin grübeln. Sie kannte die Tote ja nicht mal, eigentlich ging es sie nichts an und sie durfte sich auf keinen Fall von diesem Erlebnis aus der Bahn werfen lassen.

Sie befasste sich mit dem Fahrplan und stellte fest, dass sie mit dem Bus eine Ewigkeit bis zu ihrem Wagen brauchen würde, sie entschied sich also für ihr Fahrrad. Genauer gesagt für das Klapprad, welches ihr Jakob geschenkt hatte. Diese neue Generation der Falträder war echt chic und das Rad ließ sich mit wenigen Handgriffen auf Sporttaschengröße zusammenfalten. Klein genug, um mit der Bahn ohne Zusatzkosten als Gepäck mitgenommen zu werden. Tania rollte mit den Augen, das war wieder so ein Versuch von Jakob, sie gegen ihren Willen zu einem bestimmten, aus ökologischer Sicht sinnvollen Handeln zu animieren. Tania hasste das Bus- und Zugfahren, sie gab ihr Auto ganz sicher nicht auf. Aber in diesem Fall war das Rad echt praktisch, denn es passte für die Rückfahrt bequem in den Kofferraum.

Eine halbe Stunde später fühlte sie sich nach einer Dusche viel frischer. Sie zog zu den ausgewaschenen engen Jeans und dem dünnen Sweatshirt ihre Windjacke mit den breiten Streifen an. Dann trug sie das zusammengeklappte Rad die Kellertreppe hinauf. Das musste sie ihrem Freund ja lassen, er hatte ein wirklich hochwertiges Modell ausgewählt. Sie widerstand dem Impuls, ein Selfie mit dem fertig aufgebauten Rad aufzunehmen und es Jakob zu senden. Sie hatte sich vorgenommen, dass sie vierundzwanzig Stunden »ohne« schaffen wollte, einen Tag ohne Kommunikation mit Jakob. Da hatte er mal Zeit zum Nachdenken, wenn er ohne Nachrichten von ihr auskommen musste. Als sie diesen Entschluss gefasst hatte, konnte sie ja nicht ahnen, dass sie neben seinen Bienen auf eine Leiche stoßen würde. Aber er konnte sowieso nicht kommen um ihr zu helfen, sie musste so oder so allein ihren Wagen holen, alle Gespräche mit ihm konnten sie allenfalls psychisch unterstützen. Und wie das mit dem subjektiven Geborgenheitsgefühl war, hatte sie gestern im Pavillon sehr gut vor Augen geführt bekommen. Sie schüttelte in Gedanken an die gespenstische Szenerie ihren Kopf, als sie sich am späten Vormittag auf ihren rot- und chromglänzenden Drahtesel setzte. Der Weg führte sie am menschenleeren Hodenbergerdeich entlang in Richtung Oberneuland. Feuchter Dunst hing über den Wiesen. Nur einmal wurde sie von einem großen Traktor überholt. Als sie an dem Haus vorbeikam, vor dem die lebensgroßen Figuren auf einer Bank saßen, wendete sie ihren Blick schnell ab. Auch im Nachhinein fühlte sie sich bestätigt, dass die tote Frau im Pavillon so wie eine dieser Puppen ausgesehen hatte.

Sie nutzte einen kleinen Fußweg, der den Park, in dem ihr Auto stand, mit dem Deich verband. Auf diese Weise näherte sie sich von der anderen Seite ihrem Fiat, sie hoffte, ihre Erinnerungen im Zaum halten zu können. Der Weg war sehr schmal und matschig, so dass sie schon nach kurzer Zeit absteigen und schieben musste. Sie näherte sich langsam den hohen Bäumen, der graue Himmel schien sich langsam dunkler zu färben und der Park wirkte düster, da gab es nichts zu beschönigen.

Sie hörte das Knacken der kleinen Äste unter ihren Turnschuhen, obwohl sie vom Regen durchgeweicht waren. Das Rascheln der Blätter war eher ein Schmatzen. Sie blieb unwillkürlich stehen und horchte in den Park hinein. Wenigstens sorgte der leichte Wind für ein Hintergrundrauschen der Blätter. Sie schob ihr Rad energisch weiter, es konnte nicht mehr weit sein. Dort hinten kamen schon die Bienenkästen in Sichtweite. Sie blieb wieder stehen und lauschte. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf, immer diese Psychospielchen. Energisch schob sie weiter bis zu den Bienen, wo sie sich vergewisserte, dass das Unwetter keinen Schaden angerichtet hatte. Es sah aber alles gut aus, so setzte sie ihren Weg zögernd fort. Den leeren, mit Flatterband abgesperrten Pavillon streifte sie nur aus versehen mit einem Seitenblick, dann konzentrierte sie sich auf die wenigen Meter Waldpfad bis zu ihrem Wagen. Erleichtert stellte sie fest, dass der weiße Punto keinen Ast aufs Dach bekommen hatte.

Als erstes öffnete sie den Kofferraum. Auf einmal fühlte sie sich beobachtet, vorsichtig und langsam sah sie sich um, konnte aber nichts und niemanden entdecken. Ihr war unwohl, als sie sich zum Fahrrad hinunter beugen musste, um die Arretierung zu lösen. Kurzentschlossen dreht sie das Rad so, dass sie ihren Wagen hinter sich hatte, es musste sich um einen Urinstinkt handeln, dass man einem Gegner niemals den ungeschützten Rücken darbieten wollte. Sie lauschte angestrengt, bevor sie sich wieder mit dem Rad beschäftigte. Sie klappte das Rad zusammen und legte es dreckig wie es war in den Kofferraum. Alle Vorsätze, es abzuwischen waren von der Angst vertrieben. Tania setzte sich so schnell es ging hinter das Steuer und drückte die Zentralverriegelung, so fühlte sie sich schon einigermaßen sicher. Nun durfte sie sich auf dem Weg zur Landstraße bloß nicht in einer der Matschpfützen festfahren oder an einem umgestürzten Baum scheitern.

Als sie wenige Minuten später glücklich die Landstraße erreicht hatte, merkte sie, dass ihr Rücken und die Achseln eine kalte nasse Fläche bildeten. Der Angstschweiß war ihr aus allen Poren gebrochen. Sie wischte sich ihre feuchten Handflächen an der Jeans ab, bevor sie den abgewürgten Motor wieder anließ.

Ohne nachzudenken steuerte sie wieder Dani´s Laden an und parkte direkt vor der Tür. Offensichtlich hatte sie keine Berater bei der Namensfindung gehabt, die hätten ihr das Deppen-Apostroph mit Sicherheit ausgeredet.

»Mahlzeit, Dani, ich brauch mal wieder was für meine Nerven.« Tania zog den Reißverschluss ihrer gestreiften Windjacke zu, es fröstelte sie in der feuchtgeschwitzten Kleidung.

»Moin, du siehst heute wirklich etwas mitgenommen aus, was ist denn los?«

Danis Anteilnahme tat ihr sehr gut und Tania fühlte einen wärmenden Schauer in sich aufsteigen. Wie immer, die Psyche erledigte einiges. Hatte Daniela Meininger noch nichts von der Toten im Pavillon gehört? Das konnte doch nicht angehen, die Radiosender berichteten alle davon.

»Hast du etwa noch nichts davon gehört?«

»Du meinst, von der Toten im Pavillon?«

Tania nickte und ließ den Blick über die gut gefüllten Obst und Gemüsekisten schweifen, das lenkte ab und hielt die Bilder vom angefressenen Auge auf Abstand. Dani blickte sie auf einmal überlegend an.

»Ich weiß, du hast mir gestern von der Figur im Park erzählt, aber sag jetzt nicht, dass du die Leiche gestern Nacht gefunden hast?«

Tania nickte fast unmerklich und presste die Lippen aufeinander.

»Was wolltest du denn um diese Zeit bei den Bienen?«

Dani kam hinter dem rustikalen Tresen hervor und umarmte sie tröstend, das tat überraschenderweise sehr gut. Tania entspannte sich augenblicklich, als sie den dicken Wollpullover leicht an ihrer Wange spürte.

»Das musst du mir jetzt aber mal genau erzählen, nur wenn du magst natürlich, aber ich bin heute schon von so vielen gefragt worden.«

Tania setzte sich an das kleine alte Tischchen neben dem Tresen, Dani spülte ihr wieder zwei Karotten ab und goss dann ungefragt Kräutertee aus einer großen Thermoskanne in zwei braungelbe Steingutbecher-Becher.

»Nimmst du Zucker?«

»Gerne, den kann ich heute gut gebrauchen.« Tania fühlte sich sofort wieder an ihre Salz-Zucker-Panne vom Vortag erinnert, als Dani einen großen Zuckerstreuer mit Rohrzucker auf den Tisch stellte. Das war aber auch ein verkorkster Tag gewesen, sie glaubte, damit das Unheil der nächsten Jahre abgegolten zu haben. Sie ahnte nicht, dass dies erst ein kleiner Vorgeschmack gewesen war.

Schattenfrucht

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