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Das Haus lag in einem der älteren Siedlungsgebiete im Bremer Osten, nahe des Eisenbahnausbesserungswerks. In der ruhigen Straße fand er einen komfortablen Parkplatz direkt vor dem großen Gebäude. Die Straße war menschenleer. Sein geübter Kriminalistenblick wanderte an der sanierten Fassade hoch. Es handelte sich um ein Gebäude, das fast wie eine Villa wirkte, in dem aber augenscheinlich viele kleinere Wohnungen untergebracht waren. Zumindest gab es acht Briefkästen neben der breiten Eingangstür. Diese Häuser waren Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts für die Eisenbahner und ihre Familien erbaut worden und boten heute günstigen Wohnraum. Hier wollte nicht mehr jeder wohnen, obwohl alles gut gepflegt aussah.

Er hatte Glück. Als er bei Domoglu klingelte, summte gleich darauf der Türöffner. Zu Fuß in die vierte Etage, das hatte er schon besser geschafft. Die Schreibtischtätigkeit zeigte Wirkung. Eine hübsche junge Frau mit dunklen, sehr langen, glatten gepflegten Haaren empfing ihn an der Wohnungstür. Der sinnlich geschwungene Mund wurde geschmackvoll vom kräftig roten Lippenstift betont. Für ihre feine, ebene Gesichtshaut wurde sie sicher von so mancher Frau beneidet.

»Guten Tag, ich hatte eigentlich meine Schwester erwartet. Was wünschen Sie?«

»Burkhardt, Kriminalpolizei Bremen, ich muss mit Herrn Domoglu sprechen.«

Dabei zog er geübt seinen Polizeiausweis hervor, stellte sich aufrecht hin und sprach betont und deutlich. Er wollte gleich Eindruck machen, es war besser, wenn man sich von Anfang an Respekt verschaffte.

»Mein Mann schläft«, erklärte sie und fügte an »er arbeitet heute Nacht, ist es sehr wichtig?«

»Wäre ich sonst hier?«

Der Frau schien seine Antwort zu missfallen, jedenfalls antwortete sie sehr kühl: »Ich sage ihm bescheid.« Und drückte Burkhardt die Tür vor der Nase zu.

Er wartete mindestens fünf Minuten, ab und zu hörte er Schritte in der Wohnung. Er überlegte, nochmals zu klingeln, als die Tür wieder geöffnet wurde.

»Hallo Herr Burkhardt, Sie kommen bestimmt wegen gestern Abend. Kommen Sie doch herein.« Domoglu empfing ihn ausgesprochen freundlich.

Burkhardt nickte und folgte Hassan in die Wohnung. Sie setzten sich im modern eingerichteten, aufgeräumten Wohnzimmer an den Esstisch mit der spiegelnden Glasplatte. In der hinteren Ecke des Raumes befand sich ein professionell anmutender Computerarbeitsplatz mit Flachbildschirm, ergonomischer Tastatur, Maus, Drucker und einem anständigen Tower. Von seinem Platz konnte Burkhardt gelbe Aufkleber erkennen mit der Aufschrift Gaming und Extreme. Außerdem meinte er einen Server zu erkennen. Das alles deutete auf größere Computeraktivitäten hin, die in dieser Wohnung stattfanden.

»Genau, ich benötige noch einige Angaben von Ihnen«, Burkhardt legte ein Formular auf den Tisch. »Haben Sie einen Kugelschreiber zur Hand?« Er ließ Hassan als erstes die persönlichen Daten in ein Zeugen-Formular eintragen. Während er ihm dabei zusah, wie er geduldig alle Angaben schrieb, die Burkhardt bereits von der Sekretärin seines Arbeitgebers erfahren hatte, arbeitete es fieberhaft in ihm. Wie konnte er Hassan Domoglu den Namen der jungen Frau entlocken, ohne sich selbst zu blamieren?

Hassan war aber sehr zuvorkommend und fragte von sich aus: »Waren Sie auch schon bei Tania? Sie hat der Leichenfund ganz schön mitgenommen, wie geht es ihr denn?«

»Nein, ich werde Tania, wie hieß sie doch gleich mit Nachnamen, als nächstes aufsuchen.«

»Redleffs, Tania Redleffs.«

»Genau, Frau Redleffs muss ich auch noch um ihre Aussage bitten.« So einfach ging das.

»Ist mein Mann denn der wichtigere Zeuge?«, erkundigte sich Hassan Domoglus Frau interessiert. Sie zog den seidigen Stoff ihrer Bluse ein wenig zurecht und stützte sich mit beiden Unterarmen auf die Glasplatte des Tischs. Sie musste noch jünger sein als ihr Mann mit seinen einundzwanzig Jahren. Aber sie war eine Frau und schien intuitiv zu merken, dass Burkhardt falsch spielte.

»Woher haben Sie eigentlich diese Adresse? Muss ich mir Sorgen machen, dass die Polizei meinem Mann was anhängt? Brauchen wir einen Anwalt?«

»Nun mach aber mal halblang, ich habe doch nur der Frau geholfen, die die Leiche gefunden hat.« Hassan lächelte seine Frau beruhigend an.

Woher kam dieses Misstrauen? Burkhardt konnte es sich nicht erklären, aber vielleicht erfuhr er etwas, wenn er geschickt weitermachte.

»Haben Sie Erfahrungen?«, fragte er unbestimmt und blickte Frau Domoglu direkt in die Augen. Er fand, mit ihrem angespannten Blick wirkte sie wie eine Katze auf der Lauer. Sie hielt dem Blick stand.

»Es ist doch immer das Gleiche. Da geschieht ein Verbrechen und mein Mann ruft hilfsbereit die Polizei. Schwups haben wir die Staatsgewalt auf dem Hals. Nicht etwa die erste Zeugin, aber die kommt ja auch nicht aus einer dubiosen Familie.«

Burkhardt strich sich über das Kinn, das hieß im Umkehrschluss, dass Familie Domoglu eine kriminelle Vergangenheit hat? Er hätte sich besser informieren müssen. Anfängerfehler. Aber der Name war ihm bisher nicht begegnet.

Domoglus Frau war noch nicht fertig: »Wer weiß, was Sie noch so in Ihrer Voreingenommenheit in die Wege geleitet haben? Ist das vielleicht die Erklärung für die lapidare Textnachricht von seinem Arbeitgeber? Mein Mann hat ab heute nicht mehr Dienst in Oberneuland. Hassan muss nach Oslebshausen, nachts zu Fuß ein unübersichtliches, kaltes Firmengelände überwachen. Den Dienstwagen muss er zurückgeben!«

Burkhardt wurde heiß und kalt. Hatte das allein seine telefonische Auskunft ausgelöst? Das konnte nicht sein!

»Ich habe nichts, aber auch absolut nichts gegen Ihren Mann in die Wege geleitet!« Er bekräftigte diese Aussage mit seiner zur Faust geballten rechten Hand. »Wie kommen Sie überhaupt darauf?«

»Na, wenn ein Ausländer in einen Leichenfund verwickelt ist, wird doch schnell mal im Umfeld geschnüffelt. Das kennen wir. Was glauben Sie, weshalb mein Mann meinen Namen angenommen hat, als wir geheiratet haben?«

Hassan schien das jetzt peinlich zu sein, er saß mit verschlossenem Gesichtsausdruck daneben, kaute nervös auf dem Kugelschreiber und versuchte zu beschwichtigen.

»Meral, wir sind keine Ausländer, wie sind hier geboren. Wir haben einen deutschen Pass. Und der Kommissar hier ist noch so jung, er kann nun wirklich nichts dafür, dass sich hier diese unsägliche Struktur etablieren konnte.«

Er seufzte. »Mein Geburtsname ist Z. Das reicht Ihnen doch schon. Die Familie Z. hat viele Mitglieder hier in Bremen. Einige davon sind höchst kriminell, aber alle anderen wollen hier arbeiten und in Ruhe leben.« Seine Stimme wurde nicht laut, sie verwandelte sich eher zu einem leisen, fast singenden Zischen, in dem eine gehörige Portion Resignation mitschwang. »Das geht aber nicht, weil weder Polizei noch Staatsanwaltschaft rechtzeitig durchgegriffen haben. Alles war verhandelbar, Konsequenzen waren Schall und Rauch. Und jetzt kommt ihr nicht mehr gegen das Ungeheuer an. Aber ich, ich will arbeiten, Geld verdienen für meine Frau und später auch für meine Kinder! Das Problem ist nur, einem Z. bietet niemand eine vernünftige, ehrliche Arbeit an. Nicht mal einen Ausbildungsplatz habe ich bekommen.«

Burkhardt war perplex. So hatte er die Sache bisher noch nicht betrachtet. Er schwieg, während ihn Hassans Frau nicht mehr belauerte, sondern mit ihrem Blick durchbohrte. Schließlich ließ er sich zu einer unbedachten Äußerung hinreißen.

»Ich werde gleich nochmal mit Ihrem Chef reden, das kommt schon wieder in Ordnung.«

Das war ein Fehler.

Hassans Frau hatte anscheinend ein solches Eingeständnis erwartet.

»Siehst du Hassan, ich habe es von Anfang an gewusst.« Es lagen Abscheu und Ekel in ihrer Stimme.

»Das ist ein Versager, der hat doch bei deinem Chef etwas verlautbaren lassen, in der Hoffnung, dass er etwas über dich erfährt. Du hast gestern Abend von seiner Stümperei im Park erzählt, wie er mit dir im Schlepptau die Spuren am Tatort zertrampelt hat. Wie er sich um den Wagen dieser Tania gekümmert hat, während du schon längst die Aufnahmen von der Leiche im Pavillon gemacht hast.« Sie schüttelte sich, dass die zartgemusterte Bluse erzitterte.

»Und dann hast du noch behauptet, der hat eure Namen im Gedächtnis gespeichert, deshalb hat er niemanden geschickt, der die Personalien aufnahm.« Sie drehte Burkhardt jetzt vollends ihren Rücken zu.

»Das hat der schlicht und ergreifend vergessen.« Sie erhob sich und gab ihrem Mann ein Zeichen, ihr zu folgen. »Sie finden den Ausgang!«

Damit saß Burkhardt allein am Tisch.

Etwas Gutes hatte die Sache zumindest, wenn Fotos auftauchten, wusste wenigstens er selbst, woher sie kamen. Später musste er unbedingt bei BVK-Objektschutz vorbeifahren und ein gutes Wort für Hassan einlegen. Grübelnd stand er auf und drehte eine Runde auf dem Wohnzimmerteppich mit dem langen Polyester-Flor. Das Gespräch war auch in anderer Hinsicht sehr wichtig gewesen, denn Tania Redleffs war nicht die einzige gewesen, die DNA- und Fußspuren am Tatort verteilt hatte. Auch Hassan Domoglu war am dem Pavillon gewesen, um die blöden Aufnahmen zu machen. Man benötigte unbedingt eine DNA-Probe von ihm, er wusste bloß noch nicht so genau, wie er seinen Bericht umfrisieren konnte. Seine ersten Aktionen am Tatort durften nicht zum Gespött seiner Kollegen werden, nicht gleich bei seinem ersten Fall. Zweifelnd drehte er wieder mehrere Runden im fremden Wohnzimmer. Er rieb sein Kinn und räusperte sich mehrmals nervös, dann wusste er, was zu tun war. Er musste es ausnutzen, dass er derzeit unbeobachtet in der Wohnung war. Burkhardt zog die Einweghandschuhe und eine der kleinen Plastiktüten aus seiner Tasche, die zu seiner Grundausstattung gehörten. Schnell war der Kugelschreiber, mit dem Hassan das Formular ausgefüllt und dessen Ende er mehrfach in den Mund genommen hatte, fachgerecht für eine kriminaltechnische Untersuchung eingepackt. Aus keinem der an den Flur angrenzenden Räume kam ein Laut. Wahrscheinlich saßen die Domoglus in ihrer Küche und warteten auf das Klappen der Wohnungstür. Burkhardt war wieder recht guter Laune, als er die Wohnungstür laut hinter sich zuzog.

Mit diesem Arbeitsschritt hatte er sich selbst in die Lage versetzt, die Spuren am Tatort richtig zu deuten, die Spreu vom Weizen zu trennen. Er brauchte in seinen Berichten ja nicht so genau darauf einzugehen. Diesen Fall schien er als Einzelkämpfer zu beackern, da stellte ihm so schnell keiner unbequeme Fragen, glaubte er zumindest. Während seiner Ausbildung und während der Praktika im Rahmen des Studiums hatte er nie allein gearbeitet, es gab immer ein Ermittlerteam und der Austausch mit den Kollegen war immer hoch gehalten worden. Wenn er mit einem Kollegen am Tatort eingetroffen wäre, wären die blöden Patzer, die er sich geleistet hatte, nicht geschehen, da war er sich ganz sicher.

Als er wieder im Wagen saß, plante er die nächsten Schritte. Von innen nach außen bedeutete, dass er jetzt endlich Kontakt zu Tania Redleffs aufnehmen musste. So wie er die junge Frau am Abend kennengelernt hatte, saß sie sicher heute den ganzen Tag in eine Decke gehüllt auf dem Sofa und trank Tee. Da konnte er sie auch gleich nach dem weißen Fiat Punto fragen. Domoglus Aussage zufolge, hatte sie ihn dort abgestellt. Das musste kurz vor dem Unwetter gewesen sein. Vielleicht aufgrund einer Verabredung? Burkhardt brauchte wegen der Adresse nicht mal die Zentrale zu bemühen, Tania Redleffs stand mit vollem Namen und Adresse im Telefonbuch, das war heute keine Selbstverständlichkeit mehr.

Schattenfrucht

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