Читать книгу Schattenfrucht - Maren Nordberg - Страница 18
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ОглавлениеTanias Wagen parkte nur wenige Meter von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Langsam schlenderte sie hinüber und freute sich, als ein Windstoß ihre Haare aufwirbelte, so verlor der intensive Geruch nach heißem Käse und Kaffee ein wenig an Kraft. Als sie die Fahrertür erreicht hatte, versuchte sie, den Fahrzeugschlüssel mit der linken Hand aus der rechten Vordertasche ihrer modernen, sprich sehr engen, Jeans zu ziehen. Die rechte Hand mit der Brandverletzung war dafür nicht zu gebrauchen, allein der Gedanke, die verbrannte Haut zu berühren, ließ sie zusammenzucken. Leider hatte die Jeans recht tiefe, Smartphone taugliche, Taschen. Wenigstens hing am Schlüssel ein vernünftiger Anhänger, so dass sie mit ihren Fingerspitzen das Ohr der Phantasiefigur erwischen konnte. Sie stutzte kurz, diesen Anhänger hatte sie nur in Gebrauch, weil Jakob ihn ihr geschenkt hatte, nicht weil sie ihn schön fand. Wahrscheinlich fand Jakob den auch nicht schön und hatte ihn nur ausgewählt, weil er meinte, dass ihr so etwas Kindisches gefiele. Zweifelnd hielt sie das kleine grüne Monster mit Riesenohren ins Licht der Straßenlaterne, als sie es endlich mitsamt dem Schlüssel aus der Tasche bekommen hatte. Plötzlich hörte sie leise Schritte und sah verunsichert auf. Richtig, dort hinten war jemand. Ihr lief ein leichter Schauer über den Rücken, die Brandblasen sandten bei jedem Herzschlag neue Schmerzsignale aus. Dieses Herzrasen und die Ängstlichkeit waren neu.
»Verdammte Leiche!«, quetschte sie leise zwischen den Zähnen hervor und starrte hinüber, konnte außer einer dunklen Silhouette vor der Baguetterie aber nichts erkennen. Dafür tanzte das entstellte Gesicht der Leiche wieder durch ihre Erinnerung. Langsam setzte sich die Silhouette in Bewegung und kam auf sie zu. Tania starrte weiter angestrengt in die Dunkelheit, bis ihr auffiel, dass sie selbst im Lichtkegel der Straßenlaterne keine gute Sicht haben konnte. Entschlossen trat sie der Gestalt entgegen, für eine Flucht war es sowieso zu spät. Sekunden später sah sie in das belustigte Gesicht des Kunden und Joggers. Tania bemühte sich, ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bekommen, sie hätte vor Erleichterung heulen können. Klar, sie hatte ihm selbst ein Weizenbier im Baguetteladen angeboten, vielleicht vor einer knappen halben Stunde.
»Da war ich wohl nicht schnell genug, die Baguetterie ist schon geschlossen«, stellte er trocken fest. Als Tania nicht antwortete, fügte er an: »Ich komme morgen wieder.«
»Wir können das Weizen doch woanders trinken.« Tania lauschte interessiert ihren eigenen Worten. War das wieder diese spontane, unüberlegte Hilfsbereitschaft, gepaart mit unendlicher Erleichterung, oder schwang da etwas anderes mit?
»Ich kenne eine nette Kneipe im Viertel, da ist um diese Zeit sicher noch was los.« Tania staunte über ihr eigenes Angebot, aber sie wusste plötzlich genau, was sie wollte.
»Gerne, im Bremer Nachtleben kenne ich mich noch nicht aus«, meinte er.
Wie selbstverständlich stiegen sie beide in Tanias Wagen, es fühlte sich eigenartiger Weise nicht einmal fremd an. An ihre Brandverletzung dachte sie erst wieder, als sie mit ihrem Handrücken an die Kupplung stieß, sie ließ sich aber nichts anmerken.
Als sie im Bremer Szeneviertel einen der raren, engen Parkplätze erobert hatte, wusste sie, dass ihr Beifahrer Uwe hieß, siebenunddreißig Jahre alt war und derzeit beruflich in Bremen zu tun hatte. Ansonsten hatten sie sich die ganze Zeit angeregt unterhalten, viel besser noch, als das Paar am Abend im Baguetteladen. Tania fühlte förmlich, wie das Blut angenehm in ihren Adern rauschte, sie lotste ihn zielsicher in den Irish Pub, dabei hakte sie sich locker bei ihm ein. Mit Links, um ja nicht ihre verbrannte Haut zu berühren. Auch wenn sie es nicht wahr haben wollte, die Schmerzen waren ihr beständiger Begleiter.
Seine braune Lederjacke duftete angenehm und sie musste sich anstrengen, nicht durch sein volles, dunkles Haar zu streichen. Dazu war es noch zu früh, aber sie wusste, dass sie sich beide einig waren, worauf es in dieser schönen, sternenklaren Nacht hinauslaufen würde.
Sie bestellten beide ein Guinness an der Theke und blieben genau wie viele andere Besucher einfach stehen, weil nirgends mehr ein Platz frei war. Tania genoss es, seiner ruhigen, dunklen Stimme zuzuhören. Alles andere verlor sich unwirklich im feuchten Dunst des engen Kneipenraums. Unauffällig betrachtete sie seine Hände, entdeckte aber keinen Ring. Eigentlich war das auch egal, dieser Abend gehörte ihnen beiden. Immer mal wieder wurden sie aneinander gedrängt und Tania meinte, seinen Atem in ihrem Haar zu spüren. Langsam leerten sie ihre Gläser und Tania spürte, wie sich immer mehr entspannte. Er stand jetzt hinter ihr und sie schmiegte sich vorsichtig an ihn. Als sie seine Wange seitlich an ihrer spürte, überschwemmte sie eine warme Welle. Sie wandte sich vorsichtig um und ihre Lippen fanden sich. Erst tastend, dann immer fester. Sie spürte seinen durchtrainierten Körper und sie freute sich mit jeder Faser ihres Körpers auf das, was noch kommen würde. In diesem Moment wurde ihr klar, dass es mit Jakob nie so gewesen war.
»Komm, lass uns zahlen.« Sie musste Jakob jetzt wieder aus ihrem Kopf bekommen.