Читать книгу Schattenfrucht - Maren Nordberg - Страница 15
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ОглавлениеTania polierte die Kelchgläser mit einem weißen Geschirrtuch und stellte sie in das Regalfach neben den Weinflaschen. Dabei erzeugte sie lediglich ein zartes Klirren, ein sicheres Zeichen, dass sie bester Laune war. Ganz im Gegensatz zum Vortag lief wieder alles normal, man konnte sogar sagen, ausgesprochen gut. Sie fühlte eine warme Welle in sich aufsteigen, wenn sie an den smarten Typen mit dem versalzenen Cappuccino dachte, der tatsächlich vorhin wieder aufgetaucht war. Mit seinem markanten Lächeln hatte er einen Auflauf bestellt, einen vegetarischen. Darüber war sie mit ihm ins Gespräch gekommen, denn die meisten Männer wählten Gerichte mit Fleisch. Der Typ, seinen Namen kannte sie leider noch nicht, war seit zwei Jahren Vegetarier. Aus Überzeugung, nicht weil ihn eine Freundin dazu verdonnert hatte, wie er sagte. Er hatte mit Anfang dreißig begonnen, sich sportlich zu betätigen und auch seine Ernährung radikal umgestellt. Wahrscheinlich konnte man mit ihm sogar über Hirse, Quinoa und Grünkern fachsimpeln. Jedenfalls richtete er sich seine Arbeitstage jetzt immer so ein, dass zwischendurch Zeit blieb zum Laufen, Rennradfahren oder, falls ein See in der Nähe war, auch zum Schwimmen. Sein sportlich durchtrainierter Körper war ihr gleich bei der ersten Begegnung aufgefallen. Wenn er wieder kam, musste sie ihn unbedingt fragen, ob er für einen Triathlon trainierte. Und er wollte auf alle Fälle wiederkommen, weil er in den nächsten Tagen beruflich in der Gegend zu tun hatte.
Tania blickte auf die rustikalen Tische des Baguetteladens. Wo gestern ab dem frühen Nachmittag noch Hochbetrieb geherrscht hatte, war jetzt die große Leere. Wahrscheinlich nutzten alle Leute den ersten kühlen, düsteren Tag nach langer Zeit, um es sich zu Hause gemütlich zu machen. Es drohte ein öder Abend zu werden, aber sie war viel zu gut aufgelegt, um sich zu langweilen.
Sie zog ihr lädiertes Smartphone hervor und wunderte sich. Keine einzige neue Nachricht von Jakob, hatte er so schnell gelernt? Sie versuchte ihn anzurufen, aber landete nur auf der Mailbox.
»Hi, ich bin´s, mein Smartphone ist seit gestern kaputt. Wie das passiert ist, kann ich dir nachher erzählen, ruf doch an, wenn du Zeit hast.«
Sie legte auf und biss sich auf die Unterlippe. Das klang so, als ob sie gestern nicht auf seine Nachrichten regieren konnte, weil ihr Smartphone defekt war. Damit war ihre Arbeit vom Vortag zunichte gemacht. Prima, es wurde wirklich Zeit, dass sich auch in ihrem Leben etwas änderte. Das war schon wieder falsch, sie durfte nicht darauf warten, dass sich etwas änderte, sondern sie selbst musste etwas ändern. Tania konnte es sich nicht erklären, aber ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie über sich nachdachte.
Da sie Zeit zum Grübeln hatte, während sie Besteck in rotkarierten Servietten wickelte, tauchte plötzlich wieder das Bild der toten Frau in ihrem Kopf auf. Sie spürte, wie ungefragt ein leises Frösteln Besitz von ihr ergriff. Die gute Laune erstickte. An jedes angefressene kleine Fetzchen des Augenlids konnte sie sich plötzlich wie mit einem fotografischen Gedächtnis erinnern. Oder spielte ihr die Phantasie einen Streich? So genau konnte sie die Einzelheiten doch nicht gesehen haben. Unzufrieden knallte sie die fertig gerollten Messer-Gabel-Päckchen in das Besteckkörbchen.
Claudia, die als Franchisenehmerin diese Filiale führte, kam ohne Schürze aus der Küche. »Wie ich sehe, ist keine Kundschaft in Sicht, ich nutze die Flaute und gehe zum Friseur. Spätestens in einer Stunde bin ich wieder zurück.«
Das war der Vorteil am Chef-Sein.
Nun knackte nur noch die Espressomaschine leise vor sich hin und ab und zu brummte eins der Kühlaggregate. Tania meinte die Leere körperlich zu spüren, sie brauchte jetzt Leben um sich, um den grausigen Fund wieder zu verdrängen. »Besser noch, um ihn endgültig zu verarbeiten«, knurrte sie mürrisch vor sich hin. Claudia konnte sie keinen Vorwurf machen, die ahnte von den Geschehnissen des Vorabends nichts. Ob Hassan ähnliche Gefühle beschäftigten? Er hatte der Leiche schließlich auch ins Gesicht geblickt. Warum hatte er sich das überhaupt angetan? Kurzentschlossen rief sie Hassan an und lud ihn auf eine Tasse Kaffee in die Baguetterie ein.