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Der Rhythmus war wieder da, es erschien ihm wie eine Befreiung, die frische Luft tief in die Lungen zu ziehen. Obwohl er als Apotheker an der Quelle saß, half er bei seiner Fitness nicht mit irgendwelchen Mittelchen nach. Finanziell lief es spitzenmäßig, es war der richtige Schritt gewesen, sich auf diese Weise zu verändern. Aber das war bei einer so gewählten Klientel nicht anders zu erwarten, die Nachfrage würde weiter ansteigen, der Alterspyramide sei Dank. Gleichmäßig setzten die leisen Sohlen der Laufschuhe auf, die Beine streckten sich abwechselnd durch und federten in den nächsten Laufschritt. Mit dem Handel von Apparaturen war Schluss. Das Internet war zwar anonym, aber trotzdem hatte vor kurzem eine Kundin in seiner Apotheke gestanden und nach einem eigenartigen Medikament, genauer gesagt nach einer speziellen Pille gefragt. Davon hatte er noch nie etwas gehört, aber die Frau war kaum davon zu überzeugen gewesen, dass sie auf einen blöden Spaß hereingefallen war. Wenn es denn ein Spaß war, sie hatte im Gespräch immer wieder einen Namen erwähnt, so als hoffe sie, dass ihr das Codewort die Türen öffnen werde.

Diesen Namen kannte er, das hatte er sich natürlich nicht anmerken lassen. Es war der Deckname seines besten Kunden, den er zwar niemals persönlich kontaktierte, für den er aber im Laufe der Jahre diverse Laborgeräte und Grundstoffe geliefert hatte. Dass es sich offensichtlich nicht um ein legales Labor handelte, hatte ihn nicht weiter gestört. Er war nur Vermittler dieser Geschäfte gewesen. Gleich nachdem er diese penetrante Kundin losgeworden war, hatte er sicherheitshalber alle Accounts im Netz gelöscht, die ihm gefährlich werden konnten. Die benötigte er sowieso nicht mehr nach der Neuausrichtung seiner Geschäftsfelder.

Er setzte seinen Weg durch die kühle Landluft fort. Wie gut, dass die starke Stirnlampe wenigstens einen kleinen Teil des Asphaltweges beleuchtete, denn die Nacht war mondlos und stockdunkel. Aber die Runde zwischen den Wiesen war Routine und der asphaltierte Weg glücklicherweise neu und glatt, er wies keinerlei Schlaglöcher oder Stolperfallen durch Baumwurzeln auf. Nach der nächsten Biegung kam wie gewohnt der erste kurze Spurt bis zur kleinen Brücke. Im Dunkeln kam ihm sein Sprint rekordverdächtig schnell vor. Am Brückengeländer waren die Dehnübungen an der Reihe. Gegen das Geländer gestützt, dehnte er die hintere Beinmuskulatur. Das zog ganz schön, aber die Muskeln sollten sich nicht durch das Laufen verkürzen. War da hinten ein Geräusch? Es musste ein Tier gewesen sein, wer sollte hier um diese Zeit schon sein? Hoffentlich folgte ihm kein Wolf. Ein leichter Schauer kroch ihm über den Rücken. Der Wind strich leise durch die Gräser auf den Weiden und in der Ferne hörte man eine Kuh brüllen. Was raschelte denn jetzt dort im Gebüsch? Der Strahl der Stirnlampe reichte nicht aus, um richtig zwischen die Zweige zu leuchten. Die Nerven waren wohl überreizt, durch die beruflichen Aktivitäten sowie sein ehrenamtliches Engagement in der Region. Es gehörte dazu, dass er seinen guten Ruf in der Öffentlichkeit pflegte. Er war pausenlos auf Achse, von nichts kam nichts und die Konkurrenz schlief nicht. Ein Zweig knackte in nächster Nähe, er zuckte zusammen. Der Leichenfund auf dem Grundstück der Marwedes ließ die Phantasie tanzen, auch wenn er das seiner Frau gegenüber niemals zugegeben hätte. Sie nahm sowieso alles immer so ernst, sprach von Berufsehre und war stolz, aus einer alteingesessenen Apothekerfamilie zu stammen. Dabei konnte niemand seine Herkunft beeinflussen. Wohl aber den eigenen Lebensweg. Ohne ihn und sein sicheres Gespür, in spezialisierte Geschäftsbereiche vorzudringen, könnte sie sich weder ihre Pferde noch ihren Range Rover leisten. Ganz zu schweigen von den Urlauben in Luxus-Resorts in den USA, die sie so liebte. Die Gewinne einer einfachen Apotheke waren Peanuts dagegen. Er war allerdings sehr froh, dass sie sich nicht mehr oft in den Geschäftsräumen blicken ließ. Je weniger sie sah, desto besser.

Er ging in den Ausfallschritt und begann mit der nächsten Dehnübung.

Wenn die beiden Marwedes aus ihrem Karibikurlaub zurückgekehrt waren, wussten sie vielleicht Konkretes über die Tote auf ihrem Anwesen zu berichten, er musste sowieso wegen der Schwierigkeiten bei der Klimatisierung mit Marwede sprechen. Diese neuen Räume in Lilienthal, die er vom alten Fuchs Marwede gemietet hatte, waren viel größer und außerdem noch um einiges günstiger. Perfekt, um die neuen Geräte aufzustellen und das Geschäft in diese Richtung auszubauen. Die Probleme mit der Raumtemperatur waren zwar besonders im Sommer ärgerlich gewesen, aber es war niemandem aufgefallen. Und jetzt war erstmal Herbst. Bei Marwede war er in guten Händen, der war gut vernetzt und kannte sich mit Treuhandverträgen und allen Varianten von Darlehen aus. Jetzt kam aber wirklich ein leises Räuspern von dort irgendwo.

»Hallo, was machen Sie da?« Irritiert zog er die Stirnlampe vom Kopf und riss sich dabei einige seiner halblangen lockigen Haare aus. Mit der Stirnlampe in der Hand konnte man auch nicht viel mehr sehen. Oder kam das Räuspern doch von der anderen Seite? Verärgert fuhr er herum, aber niemand antwortete ihm. Der Schlag auf den Kopf kam unerwartet. Er wollte sich wehren, schlug aber ins Leere. So, als ob es gar keinen Gegner gibt, dachte er noch, als ihn der nächste wuchtige Schlag mitten auf den Schädel traf. Er spürte nicht mehr, wie er heftig vornüber auf die Knie und gegen das Brückengeländer schlug.

Schattenfrucht

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