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Der junge Kriminalkommissar Patrick Burkhardt knallte die Bürotür lauter hinter sich zu, als es ihm mit seiner gerade sechs Wochen andauernden Amtszeit auf Probe zustand. Seit dem ersten August war er im Amt. Und schon wieder war er mit seinem Vorgesetzten zusammengestoßen, der ihn von Anfang an auf das Abstellgleis geschoben hatte. Dafür gab es keinen Grund, aber Arbeit genug. Warum sollte er gerade heute wieder Innendienst schieben, während es große Unruhe in der Stadt durch die Fehde zweier Großfamilien gab. Alle anderen diensthabenden Kollegen waren mit dieser Sache beschäftigt, oder sie ermittelten in zwei anderen Fällen von Mord oder Totschlag. Er war doch nicht zur Mordkommission gekommen, um sich mit seinen neunundzwanzig Jahren ins Büro verbannen zu lassen.

Lustlos blätterte er durch den Papierstapel, mit dem er sich heute Abend vergnügen durfte. Es handelte sich um längst abgearbeitete Angaben von Zeugen in alten Fällen, die noch in die Datenbank eingepflegt werden mussten. Die Fälle lagen auf Eis, die Polizei war mit ihrem Latein am Ende. Burkhardt war davon überzeugt, dass jede Schreibkraft seine Tätigkeit übernehmen könnte, damit er Zeit für einen einzigen dieser Altfälle hatte. Seufzend loggte er sich ins System ein und ging in die Teeküche, für diese stupide Arbeit brauchte er mehr als nur eine Tasse Kaffee. Da er sich kaum überwinden konnte anzufangen, blieb er noch eine Weile mit der Dose Energy-Drink aus dem Kühlschrank am Fenster stehen. Der Parkplatz wurde von einigen rechteckigen Leuchten an dünnen, langen Metallpfählen, erleuchtet. Schnell war das Weißblech der Dose in seiner Hand vom ersten feinen Kondenswasser überzogen. Während seine Hand angenehm gekühlt wurde, betrachtete er die großen Pfützen, die das Unwetter auf dem Betonpflaster hinterlassen hatte. Es war mit unerwarteten Regenmengen über Bremen hereingebrochen und urplötzlich wieder verstummt.

In seiner Bürotür prallte er fast mit seinem Vorgesetzten, Holger Arndt, zusammen. Was wollte der denn schon wieder von ihm.

»Warum sind Sie nicht an Ihrem Platz, wenn sie im System eingeloggt sind? Das ist gegen die Vorschriften!« Arndts rötlicher Vollbart, der an einen stolzen Wikinger erinnerte, erzitterte.

Wurde das jetzt Schikane oder bloße Kontrolle?

Burkhardt sagte vorsichtshalber nichts sondern rieb sich abwartend über das glattrasierte Kinn. Wenn er Spätdienst hatte, rasierte er sich vor Dienstantritt, damit er sich nicht am Ende seiner Schicht in den frühen Morgenstunden wie ein unrasierter Penner fühlte.

Wie zwei Stiere standen sie sich gegenüber, bis Arndt kurz hervorstieß: »Los, loggen Sie sich wieder aus, Sie müssen nach Oberneuland, dort gibt es wohl eine Leiche.«

Damit wandte er sich um und verschwand wieder in seinem eigenen Büro.

»Das war kein Wort zu viel«, ärgerte sich Burkhardt. Er konnte es sich aber gut vorstellen, die Streifenwagen waren wegen überschwemmter Straßen und umgestürzter Bäume im Einsatz, alle Kommissare der Mordkommission mit wichtigen Aufgaben betraut, da schickten sie ihn zu seinem ersten Einsatz alleine los.

Wie beschrieben stand der VW Golf eines Objektschutz-Unternehmens mit Warnblinklicht auf dem Bürgersteig an der Oberneulander Landstraße vor dem Haus mit der Nummer 51. Die Hausnummer war auch in der Dunkelheit sehr gut zu erkennen, weil die alte Villa mit Strahlern wie ein Baudenkmal beleuchtet war. Auch im parkähnlichen Vorgarten hatten Lichtkünstler ihre Akzente gesetzt, Skulpturen schimmerten dezent violett und die Fontänen im recht üppigen Gartenteich schillerten in Regenbogenfarben. Ein Rettungswagen war noch nicht eingetroffen.

Burkhardt stieg aus dem Zivilfahrzeug, zog die dunkelbraune hüftlange Lederjacke glatt und ging auf einen kleinen, noch sehr jung wirkenden Mann zu, der jetzt aus dem Golf stieg. Er sah nur zur Hälfte seriös aus, denn zur typischen Cargohose mit Emblem eines Objektschutzunternehmens trug er lediglich ein enges, weißes Muscle-Shirt.

»Moin, mein Name ist Burkhardt, Kriminalpolizei Bremen«, er hielt seinen Polizeiausweis hoch, »haben Sie die Polizei informiert?«

Der junge Mann, augenscheinlich südländischer Abstammung, nickte.

»Ja, mein Name ist Hassan Domoglu, sie kam direkt dort zwischen den Sträuchern hervor.«

Er deutete den entsetzten, suchenden Blick des Polizeibeamten richtig.

»Nein, nein, ich konnte rechtzeitig bremsen, sie heißt übrigens Tania Redleffs, sie ist zwar nass und friert, aber ihr ist nichts passiert. Sie sitzt auf dem Beifahrersitz, ich habe ihr meine Uniformjacke und das Hemd gegeben.« Er hob die Schultern. »Sie hat wohl in dem Wäldchen eine Leiche gefunden.«

Burkhardt trat an die Beifahrertür und eine junge Frau mit halblangen, in nassen Strähnen ins Gesicht hängenden Haaren öffnete das Fenster.

»Endlich, sind Sie von der Polizei?« Sie konnte vor Zittern kaum sprechen.

»Entschuldigen Sie, wenn ich nicht aussteige, aber ich habe fast nichts mehr an«, ihre Zähne schlugen unrhythmisch aufeinander, »die Leiche ist dort ganz am Ende des Grundstück, das zu dieser beleuchteten Villa gehört. Dort gibt es einen kleinen Pavillon, da sitzt sie drin, man muss nur diesem kleinen Weg dort folgen.«

Burkhardt musste etwas seltsam geguckt haben, jedenfalls ergänzte sie: »Ja, sie sitzt dort auf einer Bank, an die Wand gelehnt wie eine Puppe.«

Der Kriminalbeamte schien immer noch nicht so recht überzeugt zu sein, also ergänzte sie ihre Angaben.

»Ich habe diesen schwarzen Hut zufällig heruntergestoßen, als ich im Pavillon Schutz vor dem Unwetter gesucht habe. Da habe ich das angefressene Gesicht gesehen.«

Sie öffnete ruckartig die Wagentür und übergab sie sich.

Burkhardt konnte gerade noch einen Schritt zurücktreten, er glaubte, dass seine Schuhe keine Spritzer abbekommen hatten. Er überlegte die Spurensicherung zu rufen, entschied sich aber vorher zu einem ersten Inspektionsgang. Das wäre für seine Kollegen ein gefundenes Fressen, wenn es gar keine Leiche gab. Aber die Reaktion der Frau ließ auf ein wirklich erschreckendes Erlebnis schließen. Er erkundigte sich in der Zentrale nach dem Verbleib des Rettungswagens und nahm dann den starken Strahler aus dem Kofferraum.

»Warten Sie, ich begleite Sie«, Hassan Domoglu folgte ihm mit langen Schritten und hielt seinerseits ebenfalls eine starke Taschenlampe in der Hand.

Schattenfrucht

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