Читать книгу Schattenfrucht - Maren Nordberg - Страница 3

1

Оглавление

Was hinter uns

und was vor uns liegt,

ist relativ unbedeutend verglichen mit dem,

was in uns liegt.

Pearl S. Buck

Prolog: Vor fünf Jahren

Der Kaffee duftete und sie trat beschwingt in die sonnendurchflutete Küche. Sie konnte sich glücklich schätzen, so einen tollen Mann geheiratet zu haben. Er trug sie immer noch auf Händen, und das nach zehn Ehejahren. Maria strahlte. Wie es aussah, sollte sich jetzt auch, allen Prophezeiungen und Untersuchungen zum Trotz, ihr Lebenstraum erfüllen. Sie blies sich die kastanienbraunen Locken aus dem Gesicht und schmiegte sich kurz an seine Schulter. Wie so oft hatte er schon den Frühstückstisch gedeckt und Kaffee gekocht. An diesem Tag standen vier Gedecke auf dem Tisch.

»Camilla bringt gleich frische Brötchen mit, den Toaster brauchen wir nicht«, meinte sie.

Bevor sie den Toaster vom Tisch räumen konnte, wendete sie sich abrupt ab und schaffte es gerade noch bis zur Spüle. Die morgendliche Übelkeit überkam sie seit Tagen regelmäßig.

Ihr Mann legte ihr zärtlich die Hand auf den Bauch und reichte ihr ein Tuch.

»Na, da macht sich der kleine Racker ja schon ganz schön bemerkbar.«

Sie lächelte und tupfte sich den Mund.

»Mal sehen, ob es ein Racker wird, vielleicht bekommen wir ja ein Mädchen. Dann übernehmen wir Frauen hier die Herrschaft.« Sie war so glücklich, endlich schwanger zu sein. Angeblich war ihr Mann unfruchtbar, jedenfalls wenn man den Ausführungen seiner Urologen glaubte. So unfruchtbar, dass man nicht mal über eine künstliche Befruchtung nachzudenken brauchte.

Sie trat ans Fenster und sah, wie ihre Freundin Luisa vor dem Haus parkte. Ohne sie wäre sie jetzt sicher nicht schwanger, aber davon durfte ihr Mann niemals etwas erfahren. Er machte sich immer so viele Gedanken und war in manchen Dingen einfach zu vorsichtig. Jetzt half ihre Freundin der dreijährigen Tochter aus dem Kindersitz.

Bei ihr hatte diese Tablette auch gewirkt, mit gutem Erfolg. Die beiden liefen beschwingt auf den Eingang zu. Das kleine Mädchen mit den weißblonden Haaren machte sich einen Spaß daraus, über die langen schmalen Schatten der Rosenstämmchen zu springen. Es war eben für Frauen heute nicht immer einfach mit dem Kinderwunsch. Wenn man mit Ausbildung, Studium und Berufserfahrung so weit war, dass man über Kinder nachdachte, war die fruchtbarste Zeit bereits abgelaufen. Glücklicherweise kannte ihre Freundin diese Pille und konnte sie sogar besorgen. Angeblich war sie in Europa nicht zugelassen, sie sollte wohl aus der Tiermedizin kommen, so genau wollte man es lieber nicht wissen.

Sie öffnete die Tür und umarmte ihre Freundin. Dann hob sie das Mädchen hoch in die Luft, das vor Freude quietschte, wie immer bei diesem Begrüßungsritual. Obwohl ihre Freundin Camilla regelmäßig Fernsehsendungen moderierte und nebenher noch modelte, nahm sie sich genug Zeit für ihre Familie und Freunde.

»Die Natur ist ein Wunderwerk. Es ist erstaunlich, dass deine Tochter so hellblonde Haare hat, obwohl dein Mann doch eher ein dunkler Typ ist.« Sie setzte die Kleine vorsichtig wieder ab, die sofort in Richtung Küche voranlief.

»Das sagt meine Mutter auch immer. Sie meint, so habe ich früher auch ausgesehen. Sogar meine hellblauen Augen und mein Muttermal am Kinn habe ich ihr vererbt.«

Tania schob das ordentlich aufgerollte Baumwolltuch als Schutz gegen Bienenstiche in den Kragen, ihre glatten dunkelblonden Haare fielen locker darüber. Zu zweit wäre es viel einfacher gewesen, den Imkeranzug anzulegen. So musste Tania selbst darauf achten, dass kein Schlupfloch für die Bienen frei blieb. Nachdem sie den Hut mit dem Visier aus dünnem Drahtgeflecht aufgesetzt hatte, kamen die Handschuhe an die Reihe. Während sie den getrockneten Rainfarn im Rauchgerät, dem sogenannte Smoker, mit einem Feuerzeug entzündete, verscheuchte sie alle Gedanken an Ebola. In der letzten Zeit musste sie jedes Mal daran denken, sobald sie ihren Imkeranzug anzog. Wenn sie schon mit diesem Anzug Mühe hatte, wie fürchterlich musste es sein, sich in einen dieser gelben Ebola-Plastikschutzanzüge zu quälen. Und wenn sie selbst einen Fehler machte, gab es vielleicht ein paar Bienenstiche, ein Fehler beim Ebolaschutz bedeutete den Tod. Aber die Leute, die sich in diese gelben Anzüge quälten, die taten wenigstens etwas Sinnvolles, sie überbrückten mit dem Einsatz ihres Lebens die Zeit, bis endlich ein Impfstoff gegen Ebola zur Verfügung stand. Und was tat sie? Sie hütete die Bienen, während der eigentliche Imker mit der Polarstern auf wochenlanger Forschungsreise war.

Sie hängte sich den Jutebeutel mit den Listen über die Schulter, nahm einen Stockmeißel und den kleinen schmalen Handfeger aus dem Kofferraum des Fiat Punto und ging bewaffnet mit dem Smoker in Richtung der grünen Bienenkästen. Wenn sie in diesem Anzug steckte, sah man zwar, dass sie sehr groß war, aber wie schlank, und leider auch kantig und eckig ihr Körper gebaut war, war nicht mehr zu ahnen. Das trockene Laub raschelte unter ihren festen Lederschuhen und die kleinen Äste knackten laut in der Stille. Ihr fiel jetzt erst auf, dass kein Lüftchen wehte, ein für Bremen sehr ungewöhnlicher Zustand.

Die Bienenkästen waren auf zwei Standorte in und um Bremen herum verteilt. Hier am Ende des Parks mit den großen alten Bäumen standen nur fünf dieser quadratischen Styropor-Beuten. Es handelte sich um Bienenvölker, deren Honigertrag, Krankheitsresistenz und Friedfertigkeit begutachtet werden sollte. Die Natur wurde in diesem Fall akribisch vermessen, wie es seit dem Beginn der Wissenschaften geschah, um sie anschließend in ein Korsett zu pressen, dass den Menschen dienlich war. Naja, oder das der Wirtschaftlichkeit und damit dem Geldbeutel von Konzernen nützlich war. Sie musste an die seltsamen Markenrechte für bestimmte Kartoffelsorten denken. Fast wäre ihre Lieblingssorte Linda vom Markt verschwunden, weil der Rechteinhaber keine Setzkartoffeln mehr anbieten wollte.

Bei den Bienenkästen angekommen, hielt sie einen Moment inne und ließ ihren Blick über die angrenzenden Weiden und Felder schweifen. Hier war die Welt noch in Ordnung, man sah keinen Fabrikschornstein und hörte auch keine Autobahn. Sie konnte gut verstehen, dass die Leute mit genug Geld gern hier im Bremer Stadtteil Oberneuland eine der alten Villen kauften und herrichten ließen.

Keine zehn Meter von ihr entfernt grenzte eines dieser alten parkähnlichen Gartengrundstücke an die Weide vor ihr, neugierig sah sie zu dem verwunschenen, mit Efeu berankten Pavillon hinüber. Dort hatte jemand den alten bemoosten Steintisch mit einer schneeweißen Tischdecke aufgepeppt. Bei ihrer letzten Kontrolle der Bienenstöcke lag sie ganz bestimmt noch nicht da. Dieses kleine Gebäude aus Stein erinnerte an einen antiken Tempel, aber im Mini-Format, so wie es sie in den englischen Landschaftsparks gab. Sie konnte sich sehr gut vorstellen, wie die reichen Leute dort am lauen Vorabend gesessen hatten, Rotwein aus geschliffenen Kelchgläsern genossen und im Schutz der alten Buchen die Rehe auf den Wiesen beobachteten. Jetzt war natürlich keiner da, solche Herrschaften waren viel beschäftigt. Ihr fiel wieder auf, wie ungewöhnlich still es hier war, nichts regte sich. Sie war hier vollkommen allein und ungestört.

Ein Blick auf die Bienenkästen zeigte ihr, dass wenigstens dort ein emsiges Treiben herrschte, Arbeiterinnen mit gelben Pollenhöschen an den hinteren Beinen kehrten zum Bienenstock zurück und ein leises Summen lag in der Luft. Sie stieß einige Hübe Rauch aus dem Smoker und begann vorsichtig, den Deckel des ersten Bienenkastens ein wenig anzuheben.

Für Mitte September war es noch überraschend warm und angenehm windstill. Nachdem sie mit dem ersten Bienenstaat fertig war, setzte sie sich ein wenig abseits auf den Rest der niedrigen Gartenmauer des angrenzenden Grundstücks, nahm den sperrigen Hut ab und zog auch die Handschuhe aus. Sie musste das Beobachtungsprotokoll akribisch weiterführen, sonst war die monatelange Arbeit umsonst gewesen. Jakob, der Imker und gleichzeitig ihr Freund, hatte sich bestimmt nicht nur aus Interesse bereiterklärt, die Testphase mit den neu gezüchteten Königinnen durchzuführen. Er wollte natürlich auch die Aufwandsentschädigung haben, denn als fast dreißigjähriger Wissenschaftler mit befristeten Teilzeitstellen am Institut für Meeresforschung und an der Universität konnte er zusätzliche Einnahmequellen gut gebrauchen.

Wenn sie an Jakob dachte, beschlichen sie zwiespältige Gefühle. Eigentlich waren sie beide zusammen, schon seit vier Jahren. Er brannte für die Naturwissenschaften. Jakob hatte, im Gegensatz zu ihr selbst, alles genau unter Kontrolle. Dafür bewunderte sie ihn, einerseits. Andererseits merkte sie immer wieder, dass eigentlich kein richtiger Raum für sie in seinem Leben blieb, obwohl er das niemals so sehen würde. Ihm war es außerordentlich wichtig, dass er immer genau wusste, wo sie war und was sie tat. Genauso selbstverständlich schrieb er ihr über Fortschritte bei seinen Meeresforschungen, was sie nur leidlich interessierte. Und es war selbstverständlich für ihn, dass sie seine Aufgaben bei den Bienen weiterführte, wenn er selbst keine Zeit hatte, also fast immer. Jetzt war er seit Wochen mit dem Forschungsschiff in arktischen Gewässern unterwegs, im Dezember wollte er zurückkommen. Ging es nicht um seine Forschungen, dann waren die Bienen das Thema und natürlich erkundigte er sich akribisch, was Tania so tat, mit wem sie sich traf und was sie vorhatte. Selten fragte er, wie es ihr ging. Wie auf Bestellung meldete ihr Smartphone eine eingehende Textnachricht.

»Hab wie geplant meine zweite Versuchsreihe abgeschlossen, bist du gerade bei den Bienen?« Entnervt verdrehte sie ihre Augen. Bevor sie das Handy ohne zu antworten einsteckte, änderte sie die Einstellungen. Jakob konnte nun nicht mehr erkennen, ob sie seine Nachrichten gelesen hatte. Sie beschloss, die nächsten vierundzwanzig Stunden auf keine seiner Nachrichten zu reagieren.

Sie seufzte, zog eine Pappmappe und den Bleistift aus dem Jutebeutel hervor und begann mit den Eintragungen. Zwischendurch atmete sie tief durch und blätterte ungeduldig eine Seite weiter. So etwas lag ihr einfach nicht, sie brauchte einen Beruf, der nicht so kleinkariert war. Gab es überhaupt einen Beruf, der ihr lag? Sie wollte sich jetzt nicht mit solchen Gedanken den schönen Tag verderben. Eigentlich ging es ihr doch gut, sie hatte ihr Auskommen mit verschiedenen Aushilfsjobs, eine eigene kleine Wohnung und eine Beziehung, die ihr zumindest physisch Freiheiten ließ. Was wollte sie eigentlich mehr? Gedankenverloren ließ sie den Blick über die Kuhweide schweifen. Die schwarzgefleckten Kühe standen in einem Pulk zusammen und schienen sich zu unterhalten. Von ihrem Platz auf der Steinmauer aus konnte sie gut in den Pavillon auf dem Nachbargrundstück hineinblicken. Sie stutzte und sah genauer hin, dort saß ja doch jemand drin.

Es dauerte noch fast zwei Stunden, bis sie alle Arbeiten und Eintragungen vorgenommen hatte. Am Ende war sie ziemlich genervt von allem, der Rainfarn war restlos im Smoker verbrannt, sie hatte keinen Rauch mehr für den letzten Bienenstock und die blöden Bienen von diesem Volk waren sowieso viel aggressiver als alle anderen. Dafür sammelten sie aber auch mehr Honig als die anderen vier Völker zusammen, die Waben waren so voll mit Honig, dass es ihr schwer fiel, die Kästen zu heben. Als sie den Deckel oben aufsetzen wollte, krabbelten immer wieder Arbeitsbienen in den Fugen herum, so dass ihr nichts anderes übrig blieb, als den Deckel beherzt zuzudrücken. Das Knacken der platzenden Bienenkörper verursachte ihr eine Gänsehaut. Es war schon eine eigenartige Natur, die Arbeiterinnen eines solchen Volkes trugen alle das gleiche Erbgut in sich, es ließ sich durch Züchtung vorherbestimmen, wie ruhig ein Volk blieb und ob es viel Honig sammelte. Und jede Biene hatte ihre Aufgabe, Individualität gab es in einem funktionierenden Insektenstaat nicht. Irgendwie war es Jakob auch genug, wenn sie richtig funktionierte, so wie es sich für eine gute Freundin gehörte.

Jetzt hatte sie aber wirklich genug von den Bienen, eilig pellte sie sich aus dem Schutzanzug. Ihr Blick wanderte zum Pavillon hinüber, die Person saß immer noch genauso dort wie vorhin. Weit hinten im Pavillon, auf einer Steinbank, den Oberkörper in der Ecke angelehnt. Unter einem schwarzen Hut mit breiter Krempe ringelten sich einige graue Haare hervor. Die Beine der Person waren von einem langen Rock verdeckt, die Hände lagen im Schoß. Irgendwie mutete die Szenerie gespenstisch an, hier unter diesen alten Laubbäumen. Tania schüttelt den Schauer ab, der ihr unwillkürlich über den Rücken gekrochen war und lachte laut auf. Das Lachen klang in ihren eigenen Ohren hohl und leer in dieser Stille. Sie war auf eine dieser skurrilen Puppen hereingefallen. Dort saß eine dieser Figuren, wie sie auch am Wümmedeich vor einem der Häuser auf der Bank saßen. Etwas unheimlich und gruselig sahen diese lebensgroßen Figuren schon aus, ihr Geschmack war es auf alle Fälle nicht.

Schattenfrucht

Подняться наверх