Читать книгу Schattenfrucht - Maren Nordberg - Страница 5
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Оглавление»Der Cappuccino ist ja total versalzen!«
Tania zuckte zusammen und riss den Blick von ihrem Smartphone los. Jakob schrieb ihr mittlerweile im Viertelstundentakt. Und sie antwortete nicht. Es war wie von selbst passiert, aber sie hatte auf die Bienen-Frage nicht geantwortet. Und auch auf keine weitere Nachricht.
Der einzige Kunde stellte ihr die volle Tasse auf den Tresen, braune Brühe schwappte auf die Untertasse.
»Ich gebe kein Salz in den Kaffee«, erklärte Tania bestimmt.
»Das habe ich selbst besorgt.« Der große sportliche Mann mit den kräftigen, sehnigen Händen hatte wohl doch Humor, denn er stellte den Zuckerstreuer neben den verunglückten Kaffee. Claudia, ihre Chefin, kam interessiert aus der Küche nach vorne.
»Was gibt es denn?«
Tania ließ einige weiße Kristalle aus dem Streuer auf einen Löffel rieseln und probierte ein wenig.
»Salz, mit Zucker, aber eindeutig auch Salz. Entschuldigen Sie bitte vielmals, manchmal haben wir hier Schüler als Gäste, vielleicht hat sich da einer einen Scherz erlaubt.«
Mit dem neuen Cappuccino brachte sie dem Kunden drei Zuckertütchen aus Papier an den Tisch. Dann zog sie eilig alle Zuckerstreuer aus dem Verkehr, die sie heute Mittag als erstes, nachdem sie zu spät zur Arbeit erschienen war, aufgefüllt hatte.
Claudia warf ihr missbilligende Blicke zu, als sie die Zucker-Salz-Mischungen in den Mülleimer
kippte. Dafür war der Kunde so freundlich, die leere Tasse auf die Ablage zu stellen.
»Vielen Dank.«
»Nichts zu danken, wann öffnen Sie eigentlich morgens? Ich werde jetzt ab und zu hier in der Gegend zu tun haben.« Tania reichte ihm den Flyer mit den Öffnungszeiten und dem Speiseangebot, dabei meinte sie zu merken, dass sein Blick eher auf ihr selbst ruhte, als dass er den Prospekt beachtete.
Als er gegangen war, fragte sie sich, ob ihre Sinne an diesem Tag gestört waren, erst die Sache mit der Figur im Pavillon, dann das nette Gespräch mit der ihr fremden Gemüsefrau, jetzt dieser Kunde mit seinen Blicken und zwischendurch noch der verwechselte Zucker. Wahrscheinlich lag das alles daran, dass es sie viel zu viel Energie kostete, Jakobs Nachrichten nicht zu beantworten. Und trotzdem war es richtig, das fühlte sie, sie musste sich Abstand verschaffen, damit sie ihre eigenen Gefühle und Wünsche endlich sortiert bekam. Jakob, wie aus heiterem Himmel durchzuckte sie die Erkenntnis, dass sie seine wichtige Mappe mit den Beobachtungen bei den Bienen vergessen hatte. Und nachts sollte es kräftig regnen. Das war ein toller Tag, wo sollte das noch hinführen?
Die folgenden Stunden war sie damit beschäftigt, den Kundenansturm zu bewältigen, alle Welt wollte diesen lauen Septembertag auf der Terrasse der Baguetterie ausklingen lassen. Da sie zum Dienstantritt zu spät erschienen war, konnte sie schlecht darum bitten, früher zu gehen. So beobachtete sie mit gemischten Gefühlen die dunklen Wolken, die sich langsam zu einer tiefen, unheimlichen Masse zusammenschoben. Von Ferne grollte immer mal wieder ein leiser Donner und im Radio wiederholte sich die Warnung vor örtlichen Gewittern mit schweren Sturmböen und Starkregen.
Als Tania endlich, nach heißem Käse und süßen Crêpes stinkend, wieder im Wagen saß, lauerte sie skeptisch auf die ersten dicken Regentropfen auf der Windschutzscheibe. Die blieben aber aus, während sie auf schnellstem Weg zu den Bienen fuhr. Sie war so angespannt, dass ihr Nacken wieder zu schmerzen begann. Der kleine, buckelige Wirtschaftsweg war auch mit Hilfe der Scheinwerfer kaum noch zu sehen, sie tastete sich die letzten Meter mit dem Wagen vorsichtig voran, die dunklen Bäume hoben sich gerade noch vom düsteren Himmel ab.
Wie gut, dass sie auf ihrem Handy eine Taschenlampen-App hatte, so konnte sie den Rest des Weges zu den Bienen zu Fuß zurücklegen, ohne sich die Beine zu brechen. Ab und zu fuhr eine Windböe kräftig in die dicken Äste der Baumkronen, dann war es wieder ganz still, wie die Ruhe vor dem Sturm. Knackte da jemand hinter ihr? Erschrocken blieb sie stehen und deckte das Licht ab. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie meinte, es zu hören. Leise bewegte sie sich weiter voran und blieb immer wieder zwischendurch stehen um zu lauschen. Sie war schon eine alberne Gans, nur weil es dunkel war, machte sie sich in die Hosen. Jetzt klatschten die ersten dicken Tropfen laut auf das Blätterdach der Bäume. Augenblicklich verstummte das leise Fiepen einer Maus. Am Rand zur Wiese, wo die Bienenkästen standen, war es glücklicherweise etwas heller - und man konnte die Wassermassen sehen, die vom Himmel fielen. Jetzt aber schnell, dachte Tania, denn die Bäume schützten vor einem solchen Wolkenbruch nur kurz. Der Wind frischte wieder auf. Und richtig, dort auf der verwitterten Mauer, wo sie am Mittag in Ruhe ihre Eintragungen vorgenommen hatte, lag unschuldig der Jutebeutel mit der Pappmappe. Sie griff ihn, gleichzeitig schüttelte eine Sturmböe das ganze Wasser aus der Baumkrone über ihr. Es gelang ihr gerade noch, die kostbare Mappe vor den Bauch zu halten und sich schützend darüber zu beugen. Vor ihr krachte ein dicker Ast zu Boden. Instinktiv rettete sie sich unter das nächste zur Verfügung stehende Dach: Als sie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, stand sie schon im alten Pavillon, direkt neben der skurrilen Figur. Grübelnd betrachtete sie die Wasserlache, die sich unter ihr bildete. Draußen war es wieder etwas heller geworden, aber es stürmte und regnete noch stärker. Das Wasser verteilte sich auf dem Boden und kroch am Rocksaum von dieser komischen Frauenfigur hoch.
Tania schüttelte sich, da hatte sie ja gerade nochmal Glück gehabt. Wenn der dicke Ast ihren Kopf getroffen hätte, darüber mochte sie nicht nachdenken. Ihr wurde erst so langsam klar, in welche Gefahr sie sich begeben hatte, nur um diese blöden Aufzeichnungen zu holen. Sie hängte den Beutel, der kaum einen Spritzer abbekommen hatte, an einen rostigen Nagel an der hinteren Wand. Sie selbst merkte, wie ihr die kalte Nässe vom Rücken aus überall hin kroch. Prima Kur für ihren verspannten Nacken.
Notgedrungen setzte sie sich an die äußerste Kante der Steinbank und starrte in das Unwetter. Angst vor irgendwelchen Mitmenschen, die jetzt im Wald herumstreunten, brauchte sie bei diesem Wetter jedenfalls nicht mehr zu haben. Es war sowieso Quatsch, warum war sie bloß so ängstlich? Es war doch alles eine Frage der Sichtweise. Hier in diesem Pavillon, abgeschirmt durch das Unwetter, fühlte sie sich plötzlich geborgen. Was war sie bloß für eine dumme Kuh, sie hütete Jakobs Meerschwein, seine Bienen und versuchte sonst auch, ihm alles recht zu machen. Und wenn sie mal einen Fehler machte, rannte sie los und versuchte, es wieder gut zu machen. Und feige war sie außerdem. Anstatt auf sein Nachrichten-Bombardement mit Worten zu reagieren, ihm Paroli zu bieten, schwieg sie still vor sich hin. Es reichte jetzt! Wütend schlug sie die flache Hand gegen die Steinmauer. Dabei verrutschte der schwarze Hut ihrer Banknachbarin. Ganz wie es ihre Gewohnheit war, wollte sie ihn wieder zurecht rücken. Mitten in der Bewegung erstarrte sie. Wie blöd war sie eigentlich? Der Hut war sowas von hässlich und unheimlich, der passte nicht an so einen schönen Ort. In hohem Bogen segelte der Hut in den Regen und wurde augenblicklich zu Boden gepeitscht.
Ohne Kopfbedeckung sah die Figur auch nicht besser aus, Tania betrachtete mit Widerwillen im Halbdunkeln den altmodischen Rock und die geblümte Bluse mit dem weißen Kragen, den man jetzt, da der Hut fehlte, genauer sehen konnte. Die anheimelnde Stimmung war verdorben, ihr kroch wieder ein kalter Schauer über den Rücken. Die Figur sah aber auch so widerlich echt aus. Sie musste die dunklen Gedanken aus ihrem Kopf endlich vertreiben, da half nur eins: Sie startete wieder ihre Taschenlampen-App, richtete den Lichtschein auf das Gesicht der Figur - und erstarrte. Das linke Augenlid hing in angefressenen Fetzen herab und gab den Blick auf ein glasiges, totes Auge frei. Der Unterkiefer hing schief herunter und eine bläuliche, aufgequollene Zunge drängte eine strahlend weiße Prothese aus dem Mund.
Das Smartphone schlug in die Pfütze auf dem Betonboden, das Licht erlosch.
Dann rannte Tania los. Quer durch Sträucher und Büsche, riss sich von Brombeerranken los, stieß sich den Kopf an tief hängenden Ästen, musste kurz anhalten, weil sich der Würgreiz nicht mehr unterdrücken ließ und hetzte weiter. Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte sie ein Auto, kurze Zeit später sah sie auch die dazu gehörenden Scheinwerfer. Ohne nachzudenken sprang sie aus dem Gebüsch auf die Straße.