Читать книгу Schattenfrucht - Maren Nordberg - Страница 4
2
ОглавлениеAls sie wieder im Auto saß, war sie irgendwie erleichtert. Diese Einsamkeit und die komische Puppe mit dem breitrandigen schwarzen Hut waren ihr doch mehr aufs Gemüt geschlagen, als sie sich eingestehen wollte.
Sie blickte abwägend auf die Uhr, gleich halb zwei. Ihre Schicht in der Baguetterie begann in einer halben Stunde, viel Zeit blieb nicht mehr, aber noch genug für einen kurzen Zwischenstopp beim Gemüseladen. Sie brauchte jetzt etwas für ihren nervösen Magen.
Tania ließ den Wagen an und fuhr vorsichtig den kleinen Wirtschaftsweg mit den tiefen Schlaglöchern entlang, ihr kleiner Fiat sollte nirgends aufsetzen. Nach kurzer Zeit mündete der Weg in die Landstraße. Im sonnendurchfluteten dörflichen Zentrum Oberneulands hielt sie vor Dani´s Gemüseladen, Inhaberin Daniela Meininger. Sie freute sich immer noch, dass dieses Geschäft trotz eines gut sortierten Supermarkts um die Ecke vor ein paar Jahren eröffnet worden war. Meistens verlief der Verdrängungswettbewerb heute umgekehrt. Das Gebäude selbst stammte mindestens aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, es war viel zu klein für heutige Ansprüche, aber für diesen rustikalen Ein-Personen-Laden schien es genau das Richtige zu sein.
»Mahlzeit, wie gut, dass Sie in der Mittagszeit nicht schließen.« Tania nickte der kräftigen Dani mit den angegrauten, krausen Haaren zu.
»Das ist doch selbstverständlich, mittags kommen viele Kunden, entweder in der Mittagspause oder auf dem Heimweg von Kindergruppe oder Kita mit den Kids.«
Tania verschaffte sich einen Überblick über die Holzkisten und Weidenkörbe mit kleinen, aber knackig und frisch aussehenden Äpfeln und Birnen.
»Das sind alles alte Sorten, die haben noch richtig Geschmack. Und sie kommen alle aus der Region, wie es heute so schön heißt. In diesem Fall kommen sie wirklich von den Bauern aus dem Umland, ich kenne die Obstbäume sozusagen persönlich.«
Tania überlegte, ob sie sich eine Tüte mit Äpfeln zusammenstellen sollte, entschied sich aber letztendlich doch für die verlockenden Karotten. Sie nahm ein Bund aus der Kiste vor ihr und reichte sie der Frau an, die die Ärmel ihres handgestrickten Wollpullovers inzwischen hochgeschoben hatte. Wie hielt sie es überhaupt bei diesem Wetter in einem solchen Pullover aus?
»Sind die auch von einem Acker hier in der Nähe?«
»Natürlich, die werden von einer Familie angebaut, die hinten an der Wümme nach Feierabend noch den alten familieneigenen Gemüsegarten pflegt. Wir Ökos sind eben Idealisten, man hat ein wenig Einkommen, aber reich werden kann man damit nicht, wir leben für andere Ziele.«
Tania zahlte und nahm die offene Papiertüte mit den Möhren an, das Grün ragte weit heraus.
»Mmmh, die duften ja noch richtig nach Karotten.«
»Ach, ich habe ganz vergessen zu fragen, soll ich das Grün entfernen?«
»Nein, danke, das kann ich gut gebrauchen, ich hüte gerade das uralte Meerschweinchen von meinem Freund.« Tania zögerte kurz. »Aber wären Sie so nett und würden mir zwei Karotten abspülen, ich würde sie gerne unterwegs essen.«
Daniela Meininger verschwand mit einem freundlichen »Selbstverständlich gern!« im hinteren Raum. Man hörte Wasser rauschen und leise Schabgeräusche, dann kam sie mit zwei abgespülten Karotten zurück.
»Ich musste sie an einigen Stellen mit dem Messer etwas schrabben, die gute Erde saß zu fest daran.«
»Vielen Dank, diese Nervennahrung kann ich jetzt gut gebrauchen, denn ich hatte gerade ein gruseliges Erlebnis.«
Die Frau guckte leicht irritiert und Tania biss gierig ein großes Stück ab.
»Karotten knacken so schön beim Kauen und rütteln das Gehirn leicht durcheinander, das hilft mir immer, wenn ich etwas verarbeiten muss. «
Der Blick wurde noch fragender.
Die Tania wusste selbst nicht warum, aber irgendwie hatte sie plötzlich das Bedürfnis, von der komischen Figur und ihren Gefühlen zu erzählen. Dani hörte aufmerksam, ja fast gespannt, zu.
»Sie meinen diesen verwunschenen alten Pavillon mit Blick auf die Weide?«
»Genau den.«
»Und dort sitzt jetzt auch so eine lebensgroße Puppe?«
Tania nickte und erzählte weiter, es gab manche Menschen, die luden dazu ein, ihnen ihr Herz auszuschütten. Dani gehörte eindeutig dazu. Tania fragte sich, was sie sich hier in ihrem Laden wohl schon alles anhören musste. Sie schien aber ernsthaft interessiert zu sein.
»Die Puppe wirkt total skurril, mit dem schwarzen Hut. Ich hätte beinahe meine ganzen Imker-Utensilien fallen gelassen.«
»Ich dachte, der nette junge Mann betreut die Bienen dort, er hält auch manchmal bei mir an und kauft sich was Frisches.« Damit war es also erwiesen, auch Jakob war mit ihr ins Gespräch gekommen.
»Das stimmt, ich vertrete ihn nur, wem gehört eigentlich das Grundstück mit dem Pavillon?«
Danis Gesicht hatte einen unbestimmbaren Ausdruck angenommen, als sie vage antwortete:
»Das sollen sich irgendwelche Leute mit genug Geld zurecht gemacht haben, erzählt man sich.«
»Und kennen Sie die Leute?«
»Kann sein, dass die auch schon mal bei mir eingekauft haben, so genau weiß ich ja auch nicht, wo meine Kunden wohnen. Wie sieht es eigentlich mit dem Honig aus, den könnte ich doch in mein Sortiment aufnehmen.«
Tania blickte sich im Laden um, es stimmte, Honig gab es tatsächlich noch nicht. Da Dani sich augenscheinlich nicht für Ökosiegel interessierte, bot Tania an, in den nächsten Tagen ein paar Probegläser vorbei zu bringen.
Als sie den Laden verließ, kaute sie noch auf den Resten der Karotte herum, nun musste sie sich doch beeilen, ganz pünktlich schaffte sie es nicht mehr zur Arbeit.