Читать книгу Schattenfrucht - Maren Nordberg - Страница 16
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Оглавление»Hallo Hassan«, Tania sah erstaunt auf, als er kaum fünf Minuten nach ihrem Anruf auftauchte. Neben dem hohen Tresen fiel besonders auf, wie klein und schmächtig er war. Sie ging erfreut auf ihn zu und umarmte ihn freundschaftlich zur Begrüßung, es kam ihr wieder vor, als ob sie ihn schon viel länger kennen würde. »Setz dich doch, was möchtest du trinken?«
»Was Kaltes am liebsten«, er reckte den Kopf und blickte suchend durch die Glastür des Kühlschranks, »ich nehme ´ne Cola, bitte«
Tania stellte die koffeinhaltige Limonade, ein Bitter Lemon sowie zwei Gläser auf ein Tablett und trug es zu dem Tisch in der Ecke. Solange keine Kundschaft da war, ging es in Ordnung, wenn sie sich selbst kurz an einen der hohen Bistrotische setzte, zumindest in dieser Hinsicht war Claudia eine tolerante Chefin. Ihr in der Hosentasche unter der langen dunklen Schürze vibrierendes Handy stellte sie auf stumm.
»Bist du wieder im Einsatz, oder warum warst du so schnell hier?«
Hassan ließ sich Zeit mit der Antwort. Er sah im freundlich-warmen Licht der auf Augenhöhe über dem Tisch hängenden Lampe bleich und mitgenommen aus.
»Im Einsatz ist gut, ich bin gerade auf dem Weg, meinen Dienstwagen abzugeben. Den bin ich los.«
Er beschrieb ihr den Auftritt des Kommissars in allen Einzelheiten.
»Der ist ein Totalausfall. Denk doch mal an gestern Abend, anstatt die Spuren zu schützen, hat er sie selbst kaputtgelatscht«, er zögerte kurz, »und mir die Gelegenheit zu einem guten Coup geboten.«
Dieser Teil schien Hassan Freude zu bereiten, stolz zog er sein Smartphone hervor und zeigte Tania das Foto. Die zuckte zurück, als sie wieder in das zerfressene Gesicht mit der aufgequollenen Zunge blickte.
»Diese Foto ist einiges wert, und es wird morgen exklusiv im größten Boulevardblatt erscheinen«, Hassan nahm genüsslich einen Schluck aus seinem Glas, »und warte es ab, dieses Bild wird zur Identifizierung beitragen. Bis jetzt wissen sie nicht, wer die Tote ist.«
»Meinst du nicht, dass die Polizei den Druck noch verhindern wird?«
»Dieser Volltrottel ist doch der Einzige, der es weiß, aber der kann nichts vorab unternehmen, sonst fällt seine Unfähigkeit auf.«
»Bist du dir da sicher?« Tania blickte ihn sehr skeptisch an.
»Verlass dich drauf, ich habe ihn genau durchschaut.«
»Und dein Dienstwagen, heißt das, dass du jetzt praktisch wegen mir, weil du mir geholfen hast, entlassen bist?«
»Ich bin nicht entlassen, nur intern degradiert.«
»Das ist aber nicht richtig«, empörte sich Tania, »im Gegenteil, die können stolz auf dich sein! Da gehe ich morgen hin und erzähle ihnen, wie es war!« Sie redete sich in Rage. »Und wenn sie das nicht zurücknehmen, gehe ich zur Zeitung. Das ist kein gutes Zeugnis für deinen Arbeitgeber!«
»Ich glaube nicht, dass du ihn damit erschrecken kannst, der ist gut im Geschäft.«
»Stört es dich denn nicht, wenn du jetzt eine Sache ausbaden musst, für die du nichts kannst?« Tania wunderte sich, wie Hassan so gelassen bleiben konnte.
»Natürlich stört es mich, aber ich bin es gewissermaßen gewohnt, Sachen auszubaden, für die ich nichts kann. Ich wollte diesen Job sowieso nicht ewig machen, nur so lange, bis ich genug Startkapital habe.«
»Wofür?«, erkundigte sich Tania perplex. Es gab also noch andere, die ihrem Leben ab und zu eine neue Richtung geben wollten. Allerdings schien Hassan sehr konkrete Pläne zu haben, im Gegensatz zu ihr selbst.
»Ich will mich selbständig machen, Objektschutz und Gefahrenabwehr, das kann ich auch in Eigenregie organisieren, vielleicht irgendwann mit einigen Angestellten. Ich bin schon dabei, mir die Grundausrüstung zusammenzustellen. Einen Hochleistungsrechner habe ich schon.« Er räusperte sich. »Ich meine, nur für den Fall, dass ich mal weitgehender zum Schutz recherchieren muss. Accounts überwachen, Angebote checken um Hehlerware zu entdecken. Du glaubst nicht, was man an geplanten kriminellen Aktivitäten schon vor einer Tat erkennen kann. Wie oft werden hochwertige KFZ-Ersatzteile passgenau auf Bestellung entwendet.«
»Du meinst, damit kannst du genug Geld verdienen, ich meine, mit dem Schutz vor solchen Taten?«
»Aber klar doch, gerade in diesen Zeiten, wo die Reichen immer reicher werden und gleichzeitig die normalen Leute mehrere unsichere Billig-Jobs nebeneinander haben müssen, um über die Runden zu kommen.« Bei diesen Worten fühlte sich Tania wie ertappt. Hassan beschrieb ihre Situation sehr treffend.
»Und denk mal an die EU-weite Öffnung der Grenzen, was glaubst du, wie viele Leute da Angst bekommen, von bulgarischen Banden ausgespäht und ausgeraubt zu werden. Allein die Angst belebt das Geschäft. Und ich wette, unsere Tote im Pavillon hat meinem Chef gleich ein paar neue Aufträge beschert.«
Tania nippte nachdenklich an ihrem Bitter Lemon.
»Die Angst, gerade bei älteren Leuten, ist nicht unbegründet. Man hört immer wieder von Einbrechern, die nachts am Bett der Alten stehen, sie angreifen oder knebeln, und sie ausrauben.«
Hassan fügte nichts hinzu, er schien in Gedanken bei seinem eigenen Betrieb zu sein.
»Aber unsere Tote kann eigentlich nicht Opfer einer solchen Raubversuchs geworden sein.«
»Auf keinen Fall, aber freiwillig hat sie sich bestimmt nicht umgebracht.«
»Wie kommst du darauf?«
»In dem Alter bringt man sich mit Schlafmitteln oder mit Beruhigungstabletten um, und das vor allem in den eigenen vier Wänden. Aber die sah so nicht so aus, als ob sie ruhig eingeschlafen ist.«
Tania dachte an die aufgequollene bläuliche Zunge. »Stimmt, vielleicht hat sie sogar Gift an diesem Steintisch vor dem Pavillon untergeschoben bekommen. Hast du auch die weiße, Tischdecke gesehen? Vielleicht hat sie sich dort mit jemandem zum Picknick getroffen.«
»Die Decke ist mir nicht aufgefallen, aber vielleicht ist sie auf den Bildern drauf.« Er wischte auf dem Bildschirm seines Smartphones herum, bis er eine passende Aufnahme gefunden hatte.
»Stimmt, hier auf dem Foto kann man sie erkennen.«
»Schade, dass wir nicht für die Polizei arbeiten, da könnte man eine ganze Menge mit ein wenig Fingerspitzengefühl herausbekommen.«
Die Tür des Baguetteladens wurde geöffnet und Tania drehte sich um. Sie erwartete Claudia mit frisch gestylten Haaren, erblickte aber den großen, breitschultrigen Polizeibeamten vom Vorabend.
»Ach, der hat also doch noch hergefunden«, knurrte Hassan und verließ seinen Platz. »Nichts für ungut, vielen Dank für das Getränk, Tania.« Hassan dreht sich jetzt so, dass er Burkhardt gut sehen konnte und sagte zum Abschied laut in den Raum: »Ich muss jetzt den Dienstwagen abgeben.«
Für Burkhardt wurde es eine denkbar kühle und kurze Befragung. Er blieb nur wenige Minuten im Laden, denn Tania Redleffs hatte keine Zeit für ihn. Kaum hatte dieser Hassan das Lokal verlassen, kamen mehrere Kunden gleichzeitig herein und Tania nahm in Ruhe ihre Bestellungen auf. Dann begann sie, hinter dem Tresen zu hantieren. Sie ließ ihn nach allen Regeln der Kunst abblitzen. Nein, Zeit habe sie nicht, sie sei allein im Geschäft, da hätte er eher kommen oder sich anmelden müssen. Sie blieb freundlich, aber sehr distanziert, als ob er ihr etwas getan hätte. Wer weiß, vielleicht steckte sie doch mit Hassan unter einer Decke und am Vorabend war alles fingiert.
»Dann kommen Sie bitte morgen früh um acht Uhr aufs Polizeipräsidium.«
Das konnten die anderen Gäste ruhig mitbekommen, Burkhardt sprach laut und deutlich. Mit einem Lächeln der Genugtuung reichte er ihr seine Karte und ging grußlos. Beim Hinausgehen hielt er einer äußerlich jugendlich gebliebenen Frau um die Fünfzig die Tür auf. Im Vorbeigehen verströmte sie einen Duft nach zu viel Maiglöckchen und frischem Haarspray. So hatte seine frühere Freundin auch immer gerochen, wenn sie vom Friseur kam. Schmerzhaft wurde ihm klar, dass sein Privatleben stark unter seinem beruflichen Werdegang litt. Seit fast zwei Jahren war er unfreiwillig Single und es hatte nicht den Anschein, als ob sich das bald ändern sollte.
Als Burkhardt seinen Dienstwagen öffnete, schlug ihm Salami-Geruch entgegen, er sammelte das fettige Papier der ersten Bagutterie, die leere Dose des Energy-Drinks, sowie Taschentücher aus dem Fußraum und lüftete gründlich. Er wollte schließlich keinen Kachelmann machen. Als er wieder hinter dem Steuer saß, wurde er von der Zentrale angefunkt. Eine alte Dame habe einen Trickbetrüger gemeldet, der ihr fünftausend Euro gestohlen habe. Laut GPS sei Burkhardt in der Nähe und könne sich der Sache annehmen, knarrte es aus der Sprechfunkanlage. Die Frau hatte angegeben, dass sich der auffallend große, kräftige Betrüger sogar als Kriminalbeamter ausgegeben und Einlass in ihre Wohnung erbeten habe. Das Geld war in einem alten chinesischen Porzellan-Teebehälter versteckt. Burkhardt beschlich ein mulmiges Gefühl, er gab vor, gerade mit dringenden Ermittlungen im Mordfall der alten Dame im Pavillon befasst zu sein.
Danach saß er unschlüssig im Wagen, wie gut, dass seine Fingerabdrücke in keiner Verbrecherkartei waren. Seine Position war denkbar schlecht, er war alleine in der Wohnung gewesen, hatte ohne Grund mit bloßen Händen heimlich das Teegefäß inspiziert, wie sollte er nachweisen, dass er kein Geld entwendet hatte? Jetzt musste er auf alle Fälle eine Weile warten, bis er im Präsidium auftauchen konnte.
Wenn er sich an seine Ermittlungstaktik hielt, von innen nach außen, fehlte die genaue Begutachtung des Auffindeorts der Leiche. Seufzend startete er den Wagen und machte sich auf die Suche nach dem kleinen Wirtschaftsweg, der zum Pavillon führte. Eigentlich war es ganz praktisch, dass er derzeit Nachtschicht hatte, so konnte er später in Ruhe seine Berichte schreiben und den Kugelschreiber von Hassan zur Kriminaltechnischen Untersuchung geben. Es blieb nur zu hoffen, dass ihn sein Vorgesetzter weiterhin von allen anderen Ermittlungen abschottete.