Читать книгу Die Stimme - Marijana Dokoza - Страница 12

VII

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Kiara kam im Schlafanzug und barfüßig aus dem Schlafzimmer gerannt. In der Wohnung hatte sie zwei Telefonapparate – eines befand sich in dem Zimmer, das sie als Büro benutzte, und das andere in der Küche. Sie nahm den Telefonhörer in der Küche ab.

»Hallo? Hallo …?«

Sie erhielt keine Antwort, legte wieder auf und warf einen Blick auf die Wanduhr. Es war genau 5 Uhr morgens, doch draußen war es noch Nacht. Kiara ging ins Schlafzimmer zurück und schlüpfte im Halbschlaf wieder unter die Bettdecke. Sie rutschte zu Henning hinüber und schmiegte sich an seinen warmen Körper. Als das Telefon erneut klingelte, fühlte sie sich, als hätte sie keine Minute geschlafen. Wieder stieg sie aus dem Bett und ging in die Küche. Auch dieses Mal bekam sie keine Antwort. Völlig entnervt legte sie auf und schaute auf die Uhr an der Küchenwand. ›Schon wieder eine Stunde vorüber‹, dachte sie sich.

Die Uhr zeigte genau 6 Uhr an. Kiara machte sich mit einem Haargummi, das sie am Handgelenk trug, einen Dutt und ging ins Zimmer. Obwohl sie nicht einschlafen konnte, blieb sie im Bett liegen, weil es noch viel zu früh war. Henning hatte das Telefon nicht klingeln hören und die ganze Nacht durchgeschlafen. Kiara schloss die Augen und dachte an Luca. Da fing das Telefon schon wieder an zu klingeln. Sie drehte sich im Bett auf die andere Seite und schaute auf die Uhr auf dem Nachttisch. Es war Punkt 7 Uhr. Auf dem Weg zur Küche schlüpfte Kiara in ihre Hausschuhe. Offenbar wollte sich jemand an diesem Morgen ein Späßchen mit ihr erlauben.

»Was zum Teufel wollen Sie? Wer ist da?«, rief sie in die Sprechmuschel.

»Frau Dr. Horst, kommen Sie bitte so schnell wie möglich zum Institut, Luca geht es nicht gut! Ich weiß nicht, was ich tun soll, bitte kommen Sie sofort!«, hörte sie Lydias flehende Stimme am anderen Ende der Leitung.

Lydia war Krankenschwester und eine der wenigen Personen, die Luca besuchen durften. Sie verabreichte Luca jeden Morgen pünktlich um sieben sein Medikament, das nur eines von sehr vielen war, die er jeden Tag einnehmen musste.

»Lydia, was ist passiert, was ist mit Luca?«

»Ich weiß es nicht, Frau Doktor, er ist in einem sehr merkwürdigen Zustand. Seine Augen sind geöffnet, er schaut mit leerem Blick an die Zimmerdecke und spricht nicht mehr. Ich kann ihn nicht aufwecken, weil er Krämpfe bekommt, sobald ich mich ihm nähere«, berichtete Lydia aufgebracht.

In solchen Situationen gab Kiara ihr sonst immer genaue Anweisungen, aber diesmal war auch sie ratlos und nicht imstande, eine Ferndiagnose zu stellen. Sie zog sich schnell an, ging in ihr Arbeitszimmer und holte ein Buch. Dann rannte sie zur Eingangstür, nahm ihr Haargummi aus dem Haar, verzichtete darauf, sich zu kämmen, und schloss die Wohnungstür hinter sich ab. Als sie die Treppe hinunterstieg, hörte sie, wie ihr Henning von der Wohnungstür aus hinterherschrie.

»Wo willst du jetzt schon wieder hin? Ich wollte dich wenigstens an diesem Morgen sehen!«

Kiara wandte sich nicht um, sondern stieg ins Auto, sodass Henning nur noch das Quietschen der Autoreifen hörte. Als er die Wohnungstür wieder geschlossen hatte und gerade zurück ins Bett gehen wollte, wurde er vom Klingeln des Telefons aufgehalten. Er ging in die Küche und nahm den Hörer ab.

»Hallo …? Hallo! Wer ist da?«, schrie er genervt ins Telefon.

Da er keine Antwort bekam, legte er auf und begab sich ins Schafzimmer. Gerade hatte er es sich im Bett gemütlich gemacht, als erneut ein Telefon klingelte, diesmal jedoch Kiaras Mobiltelefon. Auf dem Display wurde keine Rufnummer angezeigt.

»Hallo?«

Niemand antwortete. Verärgert fragte Henning sich, wer der Anrufer sein konnte. Er gehörte nicht zu denjenigen, die freiwillig am frühen Morgen aufstanden. Es war Samstag, und er hatte beabsichtigt, lange auszuschlafen und sich von Kiara ein schönes Frühstück zubereiten zu lassen. Es schien, als würde ihm auch die Erfüllung des zweiten Wunsches versagt werden. Ungehalten fluchte er in den Hörer hinein, schaltete Kiaras Mobiltelefon ganz aus und kehrte ins Schlafzimmer zurück. Er konnte es einfach nicht fassen, dass jemand nichts Besseres zu tun hatte, als denjenigen auf die Nerven zu gehen, die eine anstrengende Woche hinter sich hatten und sich etwas Ruhe gönnen wollten. Schon bald schlief er wieder ein.

Im Institut angelangt, rannte Kiara die Treppe zu Lucas Zimmer hinauf. Lydia stand völlig aufgelöst vor der Zimmertür und schaute abwechselnd nach Luca und auf den Gang, in der Hoffnung, Kiara zu sehen.

»Was ist passiert?«, rief Kiara, als sie Lydia sah.

»Ich weiß es nicht, Frau Doktor, ich bin hergekommen, um ihm eine Injektion zu verabreichen. Er liegt schon eine halbe Stunde so da. Als ich auf ihn zuging, verkrampfte er sich.«

Kiara betrat das Zimmer und trat langsam an Lucas Bett heran. Es war genau so, wie Lydia es geschildert hatte: Er verkrampfte sich sofort, sein Gesicht grimassierte, die Augen waren gegen die Zimmerdecke gerichtet. Er schien Kiara weder zu hören noch anderweitig wahrzunehmen. Als sie sich ungefähr einen halben Meter vom Bett entfernte, ließen die Krämpfe nach und hörten schließlich auf.

»Ich habe es Ihnen doch gesagt, Frau Doktor. Es scheint, als sei er gegen Menschen allergisch!«, rief Lydia verängstigt.

»Geben Sie ihm ein Anxiolytikum«, verordnete Kiara.

Das war das Einzige, was sie in diesem Moment tun konnte. Noch immer wusste sie nicht genau, wie sie reagieren sollte, weil sie einen solchen Zustand bei einem Menschen noch nie erlebt hatte. Sie befürchtete, durch die Verabreichung eines anderen Medikamentes könne sich Lucas Zustand noch weiter verschlechtern, während sie mit dem Anxiolytikum, einem Medikament gegen leichte psychische Störungen und Neurosen, auf der sicheren Seite war. Sie hatte keine große Hoffnung, dass ihm dieses Medikament helfen würde, aber zumindest war sie sicher, dass es ihm nicht schaden konnte.

Kurz nach der Verabreichung des Medikaments schloss Luca die Augen, und sein Körper hörte auf zu zucken. Er schien eingeschlafen zu sein.

»Seit wann befindet er sich in diesem Zustand?«

»Ich weiß es nicht, Frau Doktor, ich bin seit 6.30 Uhr im Institut, und sein Zimmer habe ich betreten, kurz bevor er sein Medikament bekommen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits unmöglich, sich ihm zu nähern, geschweige denn, ihm das Medikament zu verabreichen«, sagte Lydia, noch immer beunruhigt.

Kiara schloss die Tür zu Lucas Krankenzimmer. »Ich gehe ins Laboratorium, werde mich dort aber höchstens eine halbe Stunde aufhalten. Bleiben Sie in dieser Zeit bei Luca. Rufen Sie mich, wenn er aufwacht«, sagte sie.

Lydia versprach es. Kiara machte sich umgehend auf den Weg und stieg die Treppe zum Laboratorium hinab. Auf halbem Wege hielt sie inne und wandte sich zu Lydia um.

»Haben Sie heute Morgen zufällig gegen 5 oder 6 Uhr bei mir angerufen?«, fragte sie.

Lydia antwortete, dass sie sie nicht vor 7 Uhr angerufen habe. Als Kiara am unteren Treppenabsatz angekommen war, kamen ihr der gestrige Abend und das zerbrochene Reagenzglas in den Sinn. Erneut drehte sie sich zu Lydia um.

»Wissen Sie, ob die Reinigungsfrauen schon ihren Dienst begonnen haben?«

»Nein, noch nicht«, erwiderte Lydia.

Im Laboratorium setzte Kiara sich an ihren Arbeitstisch. Sie holte eine Schreibmappe hervor, in der verschiedene mit Tinte umkringelte Namen standen. Es war eine Auflistung aller bisher bekannten Fälle, die Lucas Zustand sehr ähnlich waren. Lange verharrte sie bei einem Namen. Schließlich schickte sie sich an, den Namen Luca Illoni daruntersetzen. Doch als sie gerade zum Schreiben ansetzte, fing ihre Hand an zu zittern. Der Bleistift, den sie in der Hand hielt, brach ab. Sie suchte nach einem Bleistiftspitzer und legte, als sie keinen finden konnte, die Mappe wieder beiseite, ohne Lucas Namen vollständig ausgeschrieben zu haben. Sogleich erhob sie sich und suchte eilig nach einem anderen Bleistift.

»Ich besitze doch Hunderte von Bleistiften, und ausgerechnet jetzt finde ich keinen einzigen«, murmelte Kiara vor sich hin. Rasch gab sie die Suche wieder auf, weil sie in zehn Minuten bei einer Besprechung sein musste. Sie ließ alles stehen und liegen und begab sich in den Besprechungsraum. Neun Ärzte befanden sich bereits an ihren Sitzplätzen, mit ihr war die Ärzteversammlung nun vollständig. Sie nahm ihren Platz am Kopfende des Tisches ein. Auf diesem Platz saß immer derjenige Arzt oder diejenige Ärztin, über dessen oder deren Patienten man sich beratschlagte.

»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten in Bezug auf den Fall Luca Illoni, Frau Doktor Horst?«, wollte Michael Koch wissen, der Chef des Institutes, vor dem die Ärzte im Praktikum am meisten Angst hatten.

Koch hielt viel auf seinen Ruf. Er hatte die Gewohnheit, sein Gesicht morgens im Spiegel ausgiebig zu begutachten und mit Posen zu experimentieren, mit welchen er auf der Arbeit für Disziplin sorgen würde. Seine Kollegen hielten ihn im Großen und Ganzen für einen guten Menschen, der nur hin und wieder ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag legte. Er wusste, wann er aufhören musste, wann er seine Einschüchterungsmaßnahmen einzustellen hatte und wann jemand wirklich seiner Hilfe bedurfte. Mit der Pünktlichkeit nahm er es nicht so genau, wenn es aber um einen Notfall ging, widmete er sich diesem mit größter Aufmerksamkeit und war absolut zuverlässig. Abgesehen von seinen beruflichen Erfolgen der vergangenen Jahre wusste man nichts über Dr. Koch. Niemand wagte es, ihm Fragen über sein Privatleben zu stellen. Im Institut wusste man nicht einmal, ob der geheimnisumwitterte Arzt verheiratet war oder nicht. Niemand machte je Anstalten, mit ihm über persönliche Dinge zu sprechen.

Kiara öffnete den Ordner, in dem alle Befunde von Luca dokumentiert waren. Beim Öffnen fielen ihr sämtliche Dokumente aus der Hand und verteilten sich auf dem Boden. Michael Koch warf ihr einen ernsten Blick zu und ließ sie spüren, dass ihr Verhalten unprofessionell sei. Kiara riss sich zusammen und sammelte die Blätter auf.

»Verzeihung«, murmelte sie, während sie noch immer damit beschäftigt war, ihre Sachen vom Boden aufzuheben. Die Dokumente waren durcheinandergeraten, und Kiara verlor den Überblick über die richtige Reihenfolge. Da sie aber die gesamte Krankengeschichte im Kopf hatte, ließ sie sich durch diesen kleinen Zwischenfall nicht aus der Ruhe bringen. Sie legte das Dokument, das sie als letztes aufgehoben hatte, auf den Ordner und begann mit ihrem Bericht.

»Es steht fest, dass Luca Illoni am Proteus-Syndrom leidet, welches jedoch in Verbindung mit einer anderen Erkrankung stehen muss, die uns nicht bekannt ist. Die Befunde sind da, die Blut- und Gewebeanalysen deuten jedoch lediglich auf das Proteus-Syndrom hin. Heute Morgen hatte er einen ungewöhnlichen Anfall. Ich gab ihm ein Anxiolytikum. Ich war der Meinung, etwas Stärkeres könne ihm womöglich schaden. Er reagierte auf das Medikament positiv und schlief ein. In diesem Augenblick wusste ich mir nicht besser zu helfen, denn eine Reaktion dieser Art hat es bei ihm noch nie gegeben, zumindest ist sie mir nicht bekannt. Es schien ganz so, als vertrage sein Körper menschliche Anwesenheit nicht.«

»Was meinen Sie damit? Ein Mensch, der allergisch auf den menschlichen Körper ist?«, fragte Dr. Koch.

»Zuerst lag er wie ein Toter da, danach bekam er Zuckungen und Krämpfe am ganzen Körper, und zwar immer dann, wenn die Krankenschwester und ich in seine Nähe kamen. Als wir uns von seinem Bett wieder entfernten, hatte es den Anschein, als sei er leblos.«

»Diese Symptome treffen auf das Proteus-Syndrom nicht zu.«

»Stimmt, deswegen vermute ich ja, dass wir es hier mit etwas vollkommen Neuem zu tun haben. Ich weiß nicht, wie ich auf diese Anzeichen reagieren soll.«

»Jedes Gift kann ein Heilmittel sein – jedes Heilmittel kann ein Gift sein«, zitierte Alicia ein berühmtes ägyptisches Sprichwort. Sie hatte in den vergangenen Monaten mit Kiara eng zusammengearbeitet.

»Richtig, aber genau das ist das Problem: es ist mir nicht möglich, eine genaue Diagnose zu stellen. Außer … nein …«

»Was wollten Sie gerade sagen?«, fragte Dr. Koch.

»Ich bin mir nicht sicher, aber es gibt da eine Theorie, auf die mich Alicia gebracht hat, die aber wahrscheinlich noch nie erprobt worden ist. Können Sie sich an Joseph Merrick erinnern, den man den ›Elefantenmenschen‹ nannte?«

»Ja, ich habe darüber gelesen, ich weiß aber nicht, was er mit dem Patienten Luca Illoni zu tun haben soll.«

»Bis heute ist es nicht gelungen, ein wirksames Gegenmittel für seine Krankheit zu entdecken. Nach seinem Tod entfernte ein Wissenschaftler aus seinem Körper ein Stück Fleisch, um es zu untersuchen. Wenn mich nicht alles täuscht, hieß der Mann Terry Lence. Er behauptete, das Gegenmittel gefunden zu haben. Man erklärte ihn jedoch aufgrund seiner Besessenheit von dem Fall Merricks, die auch nach dessen Tod nicht nachgelassen hatte, für unzurechnungsfähig. Deshalb fand seine Entdeckung keine Beachtung. Er bekam nie die Gelegenheit, seine Theorie an einem Menschen auszuprobieren. Wir hätten nun die Gelegenheit, sie an Luca zu erproben, nur …«

Kiara hielt inne und schien das, wovon sie sprach, selbst zu bezweifeln.

»Nur zu, Frau Doktor Horst, sprechen Sie alles aus, was Lucas Genesung zuträglich sein könnte«, ermutigte sie Dr. Koch. »Der medizinischen Wissenschaft würde es sicher auch zugutekommen.«

»Da wären noch die Ratten und ihre Gedärme …«, brachte Kiara schließlich hervor.

Die Kollegen schauten sie verwundert an. Sogar Johannes Helke, der von ihr als Wissenschaftlerin noch nie viel gehalten hatte – in Wahrheit war er von jeher neidisch auf ihren Erfolg und ihre völlige Hingabe an den Arztberuf – und keinen Wert auf das legte, was sie zu sagen hatte, wandte den Blick von seinen Unterlagen, die er vorbereitet hatte, ab und sah sie neugierig an.

»Was für einen Blödsinn redest du da, Kiara?«, erdreistete er sich. »Du willst doch nicht allen Ernstes an einem menschlichen Wesen herumexperimentieren, nur um die Idee eines armen Irren umzusetzen?«, wandte er mit lauter Stimme ein.

Johannes Helke wusste genau, wovon sie sprach. Er hatte in den Archiven etwas über diesen Fall gelesen. Obwohl er selbst den Wunsch verspürte, die Theorie dieses »armen Irren«, wie er ihn nannte, weiter zu erforschen, hatte er aufgrund seines mangelnden Selbstbewusstseins nie gewagt, dies laut auszusprechen.

»Auf einer von der berühmten US-amerikanischen Vereinigung zur Erforschung menschlicher Anomalien organisierten und in Texas abgehaltenen International Medicine Conference wurden die neuesten Erkenntnisse über die Wirkungsweise von Sildenar dargelegt. Diese Erkenntnisse wurden anhand eines Tierversuches gewonnen, bei dem aufgrund einer Verstopfung der zerebralen Hauptarterie eine Gehirnquetschung festgestellt werden konnte. Die Versuchsobjekte wurden mehrere Tage lang beobachtet und bekamen jeweils 3 und 7 mg von diesem Medikament injiziert. Nach zwanzig Tagen stellte sich heraus, dass sich die Gehirnzellenzone bei den Tieren, denen man ursprünglich 3 mg Sildenar verabreicht hatte, um 225,35 mm erweitert hatte. Wenn das tatsächlich zutrifft, könnte man durch diese Behandlung auch eine funktionelle Genesung bewirken. Bevor Lucas Kopf sich zu deformieren begann, hatte er eine Gehirnquetschung. Das Medikament, das man anwendete, half ihm. Trotzdem nahm seine Kopfanomalie zu. Die Studien, die Lence begann, könnten der Schlüssel zur Heilung von menschlichen Anomalien sein und bieten eine völlig neue Perspektive. Lence erklärte, dass Sildenar und das Heilmittel, das aus Rattendärmen gewonnen wird, bei gleichzeitiger Anwendung das Virus bekämpfen könnten, das für die Anomalien verantwortlich ist. Wenn Sie mir gestatten, ein Experiment mit diesen zwei Substanzen durchzuführen, könnte das zu einer interessanten Entdeckung führen, auf deren Grundlage sich künftig auf einfache Weise und kostengünstig Kopfanomalien beim Menschen behandeln ließen. Bevor wir uns aber mit weiteren klinischen Studien beschäftigen, müssen wir noch einige Informationen sammeln, um die Anwendung dieses Medikaments hinreichend begründen zu können. Im schlimmsten Fall wird der Patient durch die Verbindung der beiden Substanzen nicht geheilt werden, verlieren können wir aber nichts, außer vielleicht unsere Hoffnung. Wenn wir noch länger warten, könnte Luca dagegen sehr viel verlieren. Sein psychischer Zustand wird zunehmend instabiler. Wenn wir es schaffen, die Anomalie seines Kopfes zu beheben, bleibt uns ein völlig gesunder Körper. Das heißt natürlich nicht, dass sein Körper auch weiterhin gesund bleiben muss, weil das Virus, das seinen Kopf befallen hat, sich schneller ausbreitet, als wir vermutet hatten.« Kiaras Vortrag ließ darauf schließen, dass sie von dem unangemessenen Kommentar ihres Kollegen Johannes unbeeindruckt geblieben war.

»Eine interessante Theorie«, sagte Dr. Koch bedächtig. »Wenn wir Ihr Vorhaben unterstützen, können Sie uns dann auch sagen, wie es unserem Patienten ergehen wird? Können Sie uns garantieren, dass er zumindest keine Schäden davontragen wird? Wir verlangen nicht unbedingt, dass sich sein jetziger Zustand verbessert; was wir aber verlangen, ist, dass Sie ihn keiner zusätzlichen Gefahr aussetzen.«

»Ich kann nicht versprechen, dass es ihm nach der Behandlung besser gehen wird«, sagte Kiara in aller Ehrlichkeit. »Wie ich bereits gesagt habe, werden sich keine Komplikationen ergeben. Wenn ich wider Erwarten auch nur die geringsten Anzeichen für eine Komplikation feststellen sollte, werde ich die Behandlung augenblicklich abbrechen. Luca wird selbstverständlich in unseren Plan eingeweiht, und er soll auch entscheiden, wann wir mit unseren Behandlungsmaßnahmen beginnen.«

Dr. Koch dachte nach. Es schien, als sei er mit seinen Gedanken woanders. Als er sich wieder besann, sah er Kiara an.

»Kiara, Sie sind eine ausgezeichnete Ärztin, und ich zweifle nicht daran, dass Sie Ihr Bestes versuchen werden, um dem jungen Mann wieder auf die Beine zu helfen. Nichtsdestotrotz muss ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich ein reines Gewissen haben werde, falls sich sein Zustand verschlechtert. Sie alleine tragen die Verantwortung für sein Leben, sofern er sich Ihnen als Versuchskaninchen überhaupt zur Verfügung stellt.«

Kiara gefror das Blut in den Adern. Sie war sich ihrer großen Verantwortung auch zuvor schon bewusst gewesen. Nun aber, da dieser angesehene Arzt es aussprach, war sie sich nicht mehr sicher, diesem Druck alleine standhalten zu können. Trotzdem zögerte sie nicht.

»Also gut«, sagte sie entschlossen und versuchte, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen.

Man konnte Helkes Gesicht ansehen, dass er gar nicht erfreut war. Aber er traute sich nicht, auch nur ein Wort zu sagen.

Die Stimme

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