Читать книгу Die Stimme - Marijana Dokoza - Страница 17

XII

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»›Wenn du erfolgreich sein willst, musst du neue Wege einschlagen und nicht auf den ausgetretenen Pfaden des gemeinhin akzeptierten Erfolges marschieren‹, hat John Davison Rockefeller einmal gesagt. Warum solltest du nicht seinen Ratschlag befolgen?«, redete Nick auf Marcus ein, der noch immer zweifelte, ob er auf das Angebot des amerikanischen Tycoons, der an seinem Parfüm interessiert war, eingehen sollte.

»Dieser amerikanische Senator sagt die Wahrheit, aber ich bin nicht sicher, ob sich das Geschäft für mich lohnt. Wie, sagtest du, heißt er?«

»David Louis. Sein Vater war früher Professor, später kam er durch ein Millionenerbe zu Geld. Die Hälfte des Geldes investierte er in irgendein Projekt, wodurch sich das Geld verdoppelte. Sie besitzen eine Hotelkette. Ich habe gehört, dass der alte Herr von den krummen Geschäften seines Sohnes gar nichts hält, was wiederum euren Deal gefährden könnte. Louis will sein Parfüm, und wir werden es ihm geben, wir werden es aber selbst produzieren. Er benutzt zu diesem Zweck für gewöhnlich die Firma seines Vaters. Der Plan ist wasserdicht. Diese Dokumente belegen alle Details, wir sind abgesichert, und er behauptet, sein Vater habe in das Geschäft eingewilligt.«

»Hat er sich auch schon einen grandiosen Namen für sein Parfüm ausgedacht?«

»Er will es David Louis nennen.«

»So jung und schon so egoistisch«, sagte Marcus.

»Genau die Eigenschaften, die für einen blitzschnellen Aufstieg notwendig sind«, entgegnete Nick.

»Schon möglich, aber genauso schnell stürzt man auch wieder in die Tiefe hinab.«

»Vielleicht, aber was soll’s?« Nick war sichtlich bemüht, Marcus’ Bedenken zu zerstreuen.

Marcus war bereit, sich das Geschäft, bei dem er kein gutes Gefühl hatte, noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. »Ich werde dir in ein paar Tagen Bescheid geben. Du kannst so lange im Hotel unserer Firma übernachten.«

»Einverstanden, aber überleg es dir gut. Ich werde in der Stadt bleiben. Melde dich, wenn du bereit bist, den Vertrag zu unterschreiben. Louis braucht nur wenige Stunden, um mit dem Flieger anzureisen und sich mit uns an den Tisch zu setzen. Er wartet nur noch auf dein Einverständnis. Du kannst natürlich auch zu ihm nach New York fliegen.«

»Wie kommt’s, dass er kein amerikanisches Unternehmen mit der Produktion seines Parfüms beauftragt hat?«

»Ihm ist zu Ohren gekommen, dass du in der Vergangenheit für bekannte Tycoons gearbeitet hast. Und für diesen australischen Schauspieler, wie hieß er noch? Weißt du, wen ich meine?«

»Russell Crowe?«

»Ja, genau!« Du kennst doch die Leute, die schnell zu Geld kommen. Die wollen auch so schnell berühmt werden.«

»Gut, in einigen Tagen hörst du von mir«, sagte Marcus, verabschiedete sich von Nick und verließ das Hotelcafé, das sie sich ausgesucht hatten, um sich ungestört unterhalten zu können.

Da es schon sehr spät und Marcus sehr müde war, beschloss er, nicht nach Hause zu fahren – eine einstündige Autofahrt wollte er sich nicht mehr zumuten –, sondern im Hotel seiner Firma zu übernachten. An der Rezeption holte er den Zimmerschlüssel und wählte das Zimmer aus, in dem er jedes Mal übernachtete, ob alleine oder in Begleitung einer Dame. Danach begab er sich zum Aufzug.

»Diesmal ganz alleine unterwegs?«, rief ihm Anthony zu, die Bedienung an der Rezeption.

»So ist es, mein Freund. Ich hatte schon lange keinen Damenbesuch mehr.«

»Eine kleine Pause tut zur Abwechslung bestimmt auch mal ganz gut«, erwiderte Anthony.

Marcus lachte. »Ich kann nur hoffen, dass diese Pause nicht zu lange andauern wird.«

Er stieg in den Aufzug und drückte den Knopf mit der Nummer 3. Auf der linken und der rechten Seite des Aufzugs befand sich jeweils ein Spiegel, der von der Decke bis zum Boden reichte. Marcus drehte sich zur rechten Seite und zog seinen Mantel zurecht, der ihm sehr gut stand. Über sein Aussehen konnte er sich wirklich nicht beschweren. Er lächelte zufrieden. Obwohl er ganz alleine war, überkam ihn plötzlich das Gefühl, dass jemand hinter ihm stand und ihn beobachtete. Er drehte sich um, als ob ihm der Aufzugspiegel als Beweis nicht ausreiche. Hinter ihm stand niemand – das hätte er sich denken können. Er musste schmunzeln, weil er für einen Augenblick tatsächlich an der Realität gezweifelt hatte. Kurz darauf, in der dritten Etage, öffnete sich die Aufzugtür. Auf dem Gang war niemand zu sehen. Marcus begab sich zu seinem Zimmer, steckte den Schlüssel ins Schloss und warf einen letzten Blick auf den Aufzug, bevor er die Tür öffnete. Erneut musste er über sich selbst lachen. Er wunderte sich über sein Verhalten, da er normalerweise nicht an seinem Verstand zu zweifeln pflegte. Wer sollte außer ihm im Aufzug schon gewesen sein?

Als er schließlich sein Hotelzimmer betrat, warf er zuerst seinen Mantel über die Couch. Er war so müde, dass er sich einfach aufs Bett fallen ließ. Einen Moment lang blieb er mit geschlossenen Augen liegen. Er musste an Kiara und ihre Begegnung am Bahnhof denken. Plötzlich fiel ihm ein, dass das kleine Notizbuch, das Kiara auf dem Tisch hatte liegen lassen, noch in seiner Manteltasche steckte. Er stand auf, griff nach seinem Mantel und holte das Büchlein aus der Tasche heraus. Danach setzte er sich wieder aufs Bett und schaute in den Terminkalender, in dem nur eine einzige Telefonnummer notiert war, allerdings ohne den dazugehörigen Namen. Marcus konnte Kiara nicht anrufen, weil er ihre Nummer nicht hatte. Er wusste aber, wo sie arbeitete, und beschloss, ihr in den nächsten Tagen, wenn er wieder etwas mehr Zeit haben würde, einen Besuch abzustatten. Als er sich ausgekleidet hatte und gerade ins Bett legen wollte, bemerkte er auf dem Nachttisch ein Magazin. Er nahm es zur Hand, legte es gleich darauf aber wieder auf den Tisch zurück und griff nach dem Telefonhörer. Sogleich überlegte es sich jedoch wieder anders, legte den Hörer auf und griff erneut nach dem Magazin. Es erinnerte ihn an National Geographic, eine Zeitschrift, die er regelmäßig las. Er begann, in der Ausgabe zu blättern, doch dann schaute er sich das Titelbild noch einmal etwas genauer an. Vorne war eine Frau mit blasser Hautfarbe und pechschwarzem Haar abgebildet, die mit ihrem leeren Blick wie eine Tote aussah. Sein Blick verharrte auf dem Datum der Ausgabe des Magazins. Die Zeitschrift war vor siebzig Jahren erschienen. Auf der ersten Seite stand: 5. Januar 1936. Marcus schaute auf seinem Handy nach, welcher Tag heute war, und murmelte:

»Dasselbe Datum. Genau siebzig Jahre später. Was hat diese alte Zeitschrift in meinem Hotel zu suchen?«

Er blätterte bis zur Seite 36 vor, wo der komplette Artikel zur Titelgeschichte zu finden war. Die Überschrift lautete: Die Zombiefrau. Obgleich ihn das Erscheinungsdatum des Magazins und das Gesicht der Frau auf der Titelseite mehr interessierten als die Überschrift, die für seinen Geschmack zu reißerisch war und auch zu offensichtlich das Ziel verfolgte, möglichst viele Leser anzuziehen, las er weiter.

Die als vermisst geltende und vollkommen verwirrte Frau, von der man annahm, sie habe aufgrund irgendeines Vorfalls, womöglich auch Gewaltaktes, den Verstand verloren, wurde in Haiti aufgefunden, wo sie ziellos umherirrte. Die Frau konnte oder wollte nicht sprechen. Die Ärzte konnten weder feststellen, was ihr widerfahren war, noch, worunter sie genau litt. Die Krankenakte verriet lediglich, dass ihr Gesicht ausdruckslos war und ihr Blick dem Blick einer Toten glich. Ihre Augenlider waren völlig weiß, während die restliche Augenpartie verätzt schien. Sie wurde schließlich als Maria Moure identifiziert und die Farm, auf der sie einige Bauern fanden, als die ihres Bruders, der behauptete, dass seine Schwester Maria bereits vor neunundzwanzig Jahren überraschend gestorben und ihr Leichnam daraufhin verbrannt worden sei. Seine Aussage stellte sich als wahr heraus. Die Bewohner des Dorfes, in dem sie lebte, und alle anderen Menschen, die von dieser Geschichte hörten, glauben auch heute noch daran, dass es sich bei der jungen Frau um eine wandelnde Tote handelt, die durch einen Voodoozauber zum Leben erweckt wurde. Auch heute noch glauben neunzig Prozent der Einwohner Haitis an Voodoo.

›Vollkommen unmöglich‹, dachte Marcus.

Er blätterte noch eine Weile in dem Magazin und schaute sich einige interessante Bilder an, bis er die Zeitschrift müde zur Seite legte und das Licht ausschaltete. Aber schon wenige Minuten später machte er das Licht wieder an und schlug erneut das Notizbuch auf. Er nahm den Telefonhörer ab und wählte die Nummer, die als einzige in dem Büchlein verzeichnet war, obwohl er bezweifelte, dass sich jemand melden würde. Am anderen Ende der Leitung war zuerst nichts hören. Dann hörte er ein Rauschen und schließlich die Stimme einer automatischen Ansage: Diese Rufnummer ist zurzeit nicht vergeben.

Marcus legte auf. Er musste sich verwählt haben und versuchte es deshalb erneut. Einen Augenblick wartete er. Wie beim ersten Versuch hörte er zunächst ein Rauschen, das ihn an das Rauschen der Wellen im Meer erinnerte. Danach wieder die automatische Ansage. Marcus fragte sich, wie jemand zu einer Telefonnummer kam, die gar nicht mehr existierte. Er maß diesem Umstand jedoch keine größere Bedeutung bei, schaltete das Licht wieder aus und legte sich endlich schlafen. Da er nach wenigen Minuten bereits fest schlief, hörte er das Telefon nicht. Es klingelte nur zwei Mal. Danach war es im Zimmer vollkommen still.

Die Stimme

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