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XIV

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Es war Montag, der 6. Januar 2006. Draußen war es noch hell und winterlich kalt. Nachdem sich Kiara wieder gefasst hatte, begab sie sich zum Büro ihres Chefs, Dr. Koch, dessen Assistenzschwester für die Erstellung der Dienstpläne zuständig war. Er saß an seinem Tisch und nahm den ersten Kaffee des Tages zu sich, ohne den er keine Gespräche mit Kollegen oder Patienten zu führen bereit war. Als die Sekretärin Kiara ankündigte, las er seine Zeitung. Obgleich sie ihm eine der liebsten Kolleginnen war, empfing er sie an diesem Tag nur ungern in seinem Büro. Er fühlte sich an diesem Morgen nicht wohl. Nichtsdestotrotz begrüßte er sie lächelnd und bat sie, hereinzukommen.

»Setzen Sie sich, Kiara«, sagte er und bot ihr einen Kaffee an, den sie mit ernster Miene abschlug.

»Wir haben ein Problem«, sagte sie ohne Umschweife.

Koch wurde hellhörig und setzte sich auf seinen Sessel. »Worum geht es?«, fragte er mit ernster Stimme.

»In der Nacht von Samstag auf Sonntag hätte ich Dienst haben sollen. Darüber hat mich jedoch niemand in Kenntnis gesetzt, den Dienstplan habe ich auch nicht bekommen. Zufällig war ich in dieser Nacht im Institut, um mich nach dem Zustand des Patienten Luca Illoni zu erkundigen. Da ich niemanden auf der Station antraf, fragte ich beim Pförtner nach, wer in dieser Nacht Dienst hatte.« Kiara sprach wie eine Schülerin, die einen dürftig vorbereiteten Vortrag halten musste.

»Und?«, fragte Koch mit gespielter Neugier. In Wahrheit kümmerte ihn die Antwort herzlich wenig.

»Im Dienstbuch, in dem alle Mitarbeiter beim Betreten des Instituts Dienstbeginn und -ende eintragen müssen, steht ein Name, den weder der Pförtner Rocco noch ich kennen.«

»Wie lautet er?«

»Ich weiß es nicht mehr genau. Der Vorname war Helga. Rocco und ich haben den Nachnamen leider vergessen. Wir gingen beide davon aus, dass eine neue Ärztin eingestellt worden sei.«

»Aber Sie wissen doch, dass neue Kollegen anfangs keine Dienste übernehmen können«, sagte Koch in strengem Ton.

»Das weiß ich, aber was hätte ich mitten in der Nacht unternehmen sollen? Ich konnte ja schließlich nicht bei Ihnen zu Hause anrufen«, erwiderte sie und zögerte einen Augenblick, bevor sie fortfuhr. »Aber das ist ja gar nicht das Merkwürdigste«. Wieder hielt sie einen Augenblick inne.

»Was könnte noch merkwürdiger sein als die Tatsache, dass Sie Ihren eigenen Dienst vergessen haben?« Koch war mittlerweile gereizt.

Am liebsten hätte sie geantwortet, dass es nicht ihre Schuld sei, dass er bei der Auswahl seiner neuen Mitarbeiterinnen nach dem Aussehen ging und nicht nach der fachlichen Kompetenz, aber sie behielt ihren Kommentar für sich. Sie wusste, dass sie es jetzt nicht wagen durfte, seine Klara zu beleidigen. Er hätte jedoch nicht leugnen können, dass Klara äußerst nachlässig gehandelt hatte.

»Ich sage es Ihnen noch einmal, ich habe von Schwester Klara keinen Dienstplan erhalten, den sie mir nach seiner Fertigstellung eigentlich hätte überreichen müssen. Aber das ist jetzt unwichtig. Entscheidend ist, dass diese Ärztin, die angeblich Dienst gehabt haben soll, offiziell gar nicht existiert.«

»Wieso existiert sie nicht?«

»Als ich heute Morgen am Institut eintraf, habe ich mir vom Pförtner wieder das Dienstbuch geben lassen, um nachzuschauen, um wie viel Uhr diese Ärztin in jener Nacht die Station wieder verlassen hatte, doch der Eintrag war nicht mehr zu sehen, auch nicht, wann sie angefangen hatte. Der Name war einfach aus dem Buch verschwunden, ausgelöscht. Noch seltsamer ist, dass er nicht einmal in der Computerdatenbank auftaucht, und an der Stelle, an der ihr Name stehen sollte, steht mein Name geschrieben.« Kiaras Stimme klang jetzt aufgebracht.

»Sie nehmen mich auch nicht auf den Arm?«, fragte Koch misstrauisch.

»Nein, Dr. Koch, ganz sicher nicht. Sie können es selbst anhand der Aufzeichnungen der Überwachungskameras überprüfen, auf welchen die Ankunft dieser Frau zu sehen ist, aber …« Kiara sprach nicht weiter.

»Aber …?« Koch hob die Augenbrauen.

Kiara gingen seine kurz angebundenen Fragen allmählich auf die Nerven, weil sie sich anhörten, als glaube er ihr nicht. In ruhigem Ton fuhr sie fort: »Man erkennt das Gesicht dieser Frau nicht. Man sieht nur ihre Haare.«

Danach wurde es für einen Moment vollkommen still. Koch konnte als Erster seine Gedanken ordnen. »Bringen Sie mir die Videoaufzeichnung, auf der diese mysteriöse Frau zu sehen ist«, befahl er.

Kiara nickte und verließ das Büro. Sie begab sich zum Institutseingang, um sich von Rocco die CD mit den Videoaufnahmen geben zu lassen, und ging danach wieder zu Dr. Kochs Büro zurück. Sie war überrascht, ihn dort nicht anzutreffen, und beschloss, auf ihn zu warten. Kurz darauf betrat Schwester Klara, die für die Erstellung der Dienstpläne verantwortlich war, den Raum.

»Dr. Koch musste dringend fort. Er ließ ausrichten, dass Sie mir die CD geben sollen. Ich werde sie ihm dann persönlich übergeben, sobald ich ihn sehe«, sagte Klara in strengem Tonfall.

»Er hätte warten können, es hat nur wenige Minuten gedauert, um die Aufzeichnung zu besorgen. Ich habe mich gar nicht lange aufgehalten«, sagte Kiara enttäuscht.

»Ich kann Ihnen nur sagen, was Herr Dr. Koch mir Ihnen auszurichten aufgetragen hat«, entgegnete Klara mit Nachdruck.

Kiara wunderte sich, warum Koch ausgerechnet die für die Dienstplanzusammenstellung verantwortliche Person damit beauftragt hatte, die CD entgegenzunehmen, händigte ihr aber den Datenträger aus, ohne sich noch länger mit diesem Gedanken zu befassen.

»Sie können dann gehen. Ich werde Dr. Koch die CD geben, Sie können sich darauf verlassen«, sagte Klara mit einem Lächeln, das Kiara nicht gefiel. Sie fand Schwester Klaras süffisante Bemerkung unverschämt.

»Sie glauben doch nicht, dass dieser Vorfall, von dem mein Patient und meine Station betroffen sind, nicht meine Angelegenheit ist?« Absichtlich provozierte Kiara die Frau, die ihr gänzlich unsympathisch war, ein wenig. Sie musste zugeben, Klara war sehr attraktiv. Sie hatte ein ebenmäßiges Gesicht und große, dunkle Augen. Auf diese Weise wirkte sie geheimnisvoll, nicht wie eine Person, zu der man Vertrauen fassen konnte, was in Kiara noch stärkere Abneigung hervorrief.

»Nein, das glaube ich nicht. Es besteht kein Grund zu dieser Annahme«, erwiderte Klara. Sie hatte aufgehört zu lächeln.

Kiara erhob sich vom Stuhl und schickte sich an, den Raum zu verlassen. Kurz bevor sie die Tür hinter sich schloss, wandte sie sich noch einmal zu Klara um.

»Richten Sie Dr. Koch aus, er soll mich anrufen.«

Schwester Klara nickte, ließ sich jedoch nicht dazu herab, Kiara eine Antwort zu geben. Sie war zornig, weil die Ärztin herausgefunden hatte, dass ihr bei der Dienstplanzusammenstellung ein kleines Missgeschick unterlaufen war.

Die Stimme

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