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Tauffrage
ОглавлениеDie Tauffrage ist Eberhard Arnold und seiner Emmy von außen aufgenötigt worden. Emmys Schwester Else hatte unter dem Einfluss einzelner Gemeinschaftsleute im Mai 1907 erklärt, sie wolle sich taufen lassen. Die Eltern von Hollander waren strikt dagegen und baten den theologisch bewanderten Schwiegersohn brieflich via Emmy, auf Else entsprechend einzuwirken. So sah er sich überhaupt erst gezwungen, nach biblischen Argumenten für und wider die Kinder- bzw. Gläubigentaufe zu suchen – bis dahin war das für ihn kein Problem gewesen. Nachdem die Frage einmal aufgekommen war, dauerte es knapp fünf Monate, bis Eberhard Arnold seinen endgültigen Standpunkt gefunden hatte. Emmy von Hollander kam im ständigen Austausch mit ihm, aber auf eigenen Gedankenwegen zur selben Überzeugung. Anhand des Briefwechsels kann man diesen Erkenntnisprozess Schritt für Schritt verfolgen.
Am 11. Mai 1907 hält Eberhard Arnold unter Berufung auf Römer 3,1–3,9 „die Kindertaufe nicht für ungültig, sondern von Jesus und Gott gewollt; will der einzelne ihren Heilswert besitzen, so muss er Herzensbeschneidung (Bekehrung) und Geistestaufe erleben.“
Am 31. Mai schreibt er an die Eltern von Hollander, „dass wir der Kirche unendlich viel verdanken und den häufig behaupteten Widerspruch ihrer Taufpraxis zur Schrift für unerwiesen halten müssen.“
Am 16. Juni an Emmy: „Ich habe diese Tage ernste Zweifel an meiner Tauftheorie mit starker Hinneigung zur Gläubigentaufe! Der Grund ist die schwierige Frage: Wie ist die von Jesus und den Aposteln gewollte und durchgeführte, streng abgeschlossne Gläubigengemeinde denkbar, wenn die Taufpraxis in meinem Sinne ausgedehnt werden sollte? Damit ist meine Position erschüttert, fast gestürmt. – Das ist alles noch unklar und vielleicht verkehrt.“
Am 25. Juni berichtet Emmy ihm: „Über die Taufe habe ich noch keine ganz bestimmte Auffassung. Nur eins weiß ich: ich persönlich habe nichts von der Kindertaufe gehabt. Durch meine Bekehrung bin ich zu Gott gekommen, nicht durch die Taufe.“
Am 29. Juni warnt er sie: „Ohne eine unantastbar feste, tief gegründete Überzeugung wäre es eine Sünde, eine folgenschwere Sünde!“ – nämlich die Glaubenstaufe vollziehen zu lassen.
Am selben Tag berichtet Emmy in einem Brief vom ersten Taufgottesdienst der Gemeinschaft. Einige der Täuflinge seien ihrer Meinung nach „etwas stark erregt“ gewesen. „Wenn wir uns vielleicht taufen lassen, so wollen wir besonders bitten um einen heiligen Frieden vorher.“
30. Juni: Er stellt für sich eine Art Prinzipienkatalog auf:
„Ich tue unter allen Umständen den klar erkannten Gotteswillen. Ich tue nichts, was mir nicht allseitig begründete Überzeugung ist. Ich trete mit nichts hervor, was ich nicht klar als biblisch belegen kann. Aus meinen augenblicklichen Eindrücken ergibt sich für die nächste Zukunft: Ich durchforsche Neues Testament und Geschichte nach der Tauffrage, ganz objektiv. Bestätigt sich mein jetziger Eindruck, dass die Gläubigentaufe allein biblisch sein könnte, so lasse ich mich taufen, sobald ich es biblisch und geschichtlich ganz fest habe. Das praktische Fazit ist aber dies: Ich kann jetzt nicht getauft werden, ohne zu sündigen.“
Im selben Brief sorgt er sich darum, wie wohl seine Eltern einen entsprechenden Schritt auffassen würden.
2. Juli: „Die Taufe mit Wasser ist weder Geistestaufe noch Sterben und Auferstehen. Das gibt Enttäuschungen oder Täuschungen.“
Am 30. Juli berichtet Emmy von Hollander, der Hallenser Allianz drohe mittlerweile die Spaltung, „da die Tauffrage in den Mittelpunkt geschoben ist statt des Kreuzes und Gewissen damit beunruhigt worden sind“. Emmy kann das Vorgehen der Taufgesinnten auch nicht restlos gutheißen: „Es war nicht alles Wahrheit, so viel Heimlichkeit, ich kann darüber nicht hinweg.“
6. August: Eberhard Arnold quittiert die Entwicklung mit einem Zitat Ludwig von Gerdtells: Es sei furchtbar, dass die Taufpropaganda auch diesmal der Tod der Erweckung sei, wie so oft.
10. August: Emmy hat sich von einer Gemeinschaftsschwester anhören müssen, sie sei „noch eine Leiche, mit Jesus gestorben, aber da nicht getauft noch nicht begraben und auferstanden.“
Antwort am 11. August: „Hältst Du mich für eine Leiche? Ich nicht! Das ist bedauerlicher Unsinn!“
Indessen sucht er aber weiter nach endgültiger Klärung und berichtet am 3. September: „Über Galater 3,26.27 komme ich nicht hinweg. Ich sehe mich vor kolossalen Entscheidungen und werde einfach und bestimmt Gott gehorchen, sobald ich Gewissheit habe. Dem Lamme nach, wo es hingeht!“
4. September: „Diese Stunde des Gebets und der Hingabe hat mir eine ernste, folgenschwere Entscheidung gebracht, die unserm Leben eine scharf abgegrenzte, leidenschwere Richtung gibt. Du, meine mutige, treue Braut, bist natürlich der erste Mensch, dem ich mitteile, dass ich heute von Gott in Ruhe und nüchtern biblischer Gewissheit von der einzigen Berechtigung der Gläubigentaufe überzeugt bin.“
Wie kam es zu der Erkenntnis, wohin führt sie? „Von Gal. 3,26.27 ausgehend bin ich in fortwährendem Überlegen mit Jesus, in einfach wahrhaftigem Gebet klargeworden, dass die Schrift nur Eine Taufe kennt, die der Gläubiggewordenen. (...) Ich sehe mich somit als ungetauft an und erkläre damit den bestehenden Kirchensystemen den Krieg.“ Er möchte natürlich auf Emmys Stellungnahme warten und dann die Eltern und Schwiegereltern unterrichten, deutet an, dass er möglichst bald getauft werden und die Landeskirche verlassen will. Er werde sich noch vor dem Wintersemester erkundigen, ob er unter diesen Umständen das erste theologische Examen ablegen kann, und andernfalls sofort zur Philosophie umsatteln.
Zunächst nahm er Emmy das Versprechen ab, über seine Absichten vorerst zu schweigen. Nur ganz kurz dachte er an den Fall, dass sie wider Erwarten zu einem anderen Schluss kommen könnte: „... so brauche ich ja nicht erst zu sagen, dass unsere völlige Gemeinschaft davon in keiner Weise berührt wird ...“ Nicht auszudenken, was in dem Fall tatsächlich passiert wäre. – Emmy erklärte wenige Tage später ihrerseits, sie könne „die Kindertaufe nicht als die Taufe ansehen, wie die Bibel sie kennt“, und müsse sich daher taufen lassen.
Theologisch suchte sich Eberhard Arnold gründlich abzusichern. „Gerade ich muss nachweisen: Es ist ruhige, klar begründete Überzeugung vom Willen Jesu und der Apostel“, schrieb er schon am 13. Juli. „Sonst sagt man rasch: Ach, erst Heilsarmee! Jetzt Baptismus! Eben immer Extreme! Das liegt in seinem Temperament! Nein, was ich tue, will ich mit ganzem Nachdruck tun.“ Das Ergebnis der Recherchen fiel zu seiner Überraschung eindeutig aus: fünf seiner Theologieprofessoren waren selbst der Ansicht, dass die Kindertaufe biblisch nicht zu belegen sei. Unabhängig davon: „Nicht die Bücher und Artikel kirchlicher und außerkirchlicher Theologen sind mir entscheidend, sondern die Worte des Geistes in der Schrift.“